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Geschrieben von Frühlingswind am 12.12.2016, 21:52 Uhr

Einigkeit in der Erziehung..

Hallo Baerchie,

du hast mein volles Verständnis und dass dich die Situation gerade bei euch zu Hause so beunruhigt, verstehe ich gut!

Zum Essens-Thema: Wir handhaben das ganz genauso wie ihr und das seit 3,5 Jahren. Für mich ist sowas kein "wischi-waschi-laissez-faire-Erziehungsstil", sondern ein respektvoller Umgang dem Kind gegenüber. Wenn ich Hunger habe, dann esse ich, wenn ich ein bisschen Hunger habe, habe ich ein bisschen und wenn ich keinen Hunger habe, dann esse ich nichts. Wenn ich zu einer Mahlzeit keinen Hunger habe und mir ein Mensch, den ich sehr mag/liebe die Ansage machen würde, "Wenn du jetzt nichts isst, dann gibt es aber später nicht gleich wieder was, sondern erst dann und dann", und dabei weiß, dass Essen in greifbarer Nähe ist, dann würde ich mich alles andere als wertgeschätzt fühlen und deutlich meine Meinung sagen. Es ist Essen schnell und unkompliziert herbei zu holen und nein, es schadet erstmal grundsätzlich keinem, wenn das für alle so okay ist! Das hier gleich wieder das "Kinder müssen nun mal lernen, dass es Regeln gibt, an die man sich zu halten hat" aufgefahren wird, hatte ich schon erwartet. Wo sagt die AP denn, dass es bei ihnen zu Hause keine Regeln gibt? Richtig, nirgends. Wenn alle Beteiligten mit der Essenssituation zufrieden sind, dann ist das in Ordnung so. Nun ist es der Mann aber auf einmal nicht mehr und ich denke, das hat kaum etwas damit zu tun, dass er sich urplötzlich aus dem Nichts nicht mehr wohlfühlt am Tisch, oder sich vielleicht nie wohlgefühlt hat und sich erst jetzt traut, etwas zu sagen, sondern das hat, so vermute ich, einen anderen Grund - dazu später mehr.
Bei so kleinen Kindern macht man ja oft das Essen dann, wenn man selbst Hunger hat bzw. annimmt, die Kinder werden Hunger haben, wenn das Essen fertig ist. Unsere Annahme kann aber falsch sein und nur weil wir jetzt großen Hunger haben, kann es den Kindern anders gehen.

Warum sitzen wir Erwachsenen und auch schon viele Kinder ab einem bestimmten Alter so gerne am Tisch zusammen? Weil es für so viele von uns eine schöne Erfahrung ist - man isst ja nicht still vor sich hin (zumindest meistens nicht), sondern vor allem auch das Miteinander-Sprechen ist für viele von uns so wichtig. Für uns - für Kinder im Alter von 1 oder 3 Jahren (und um Kinder in diesem Alter geht es hier), ist Spielen so viel wichtiger als dieser kommunikative Aspekt. Je mehr das Miteinander-Sprechen über dies und das am Tisch für die Kinder an Bedeutung gewinnt (und das kommt von ganz allein), umso länger werden sie am Tisch sitzen bleiben - ohne Druck.

Aber das Thema Essen ist ja hier nur ein Beispiel von vielen.
Du hast geschrieben, der Auslöser für den plötzlichen SInneswandel ist der Besuch bei einem Freund, welcher ein durch Lob und Tadel dressiertes, funktionierendes Kind hat und genau da würde ich mal genauer, und dabei sehr sensibel nachfragen, wie es deinem Mann bei diesem Treffen ergangen ist.
Könnte es vielleicht sein, dass die andere Familie das Verhalten eurer Kinder negativ bewertet hat und dein Mann sich durch diese Aussagen (da reicht schon ein kurzer Kommentar) hat beeinflussen lassen? Es gibt leider nicht wenige Menschen, die fühlen sich als Elternteil inkompetent, wenn ihr Kind nicht den leider noch oft in den Köpfen verankerten Ansichten entspricht, nach denen das Kind stets und gleich zu tun hat, was die Eltern sagen und sich früh an die geltenden Normen anzupassen hat.

Es könnte gut sein, dass es um das Selbstwertgefühl deines Mannes nicht sonderlich gut bestellt ist - und das ist es bei den meisten Menschen nicht, denen es nicht oder nur schwer gelingt, sich in die Lage des Kindes hineinzuversetzen, die Aussagen wie "Mir hat das nicht geschadet", "Da müssen sie durch." usw. treffen. Solche Aussagen weisen oft daraufhin, dass diese Menschen in ihrer eigenen Kindheit nicht wenig Leid erfahren haben, sich dessen aber nicht mehr bewusst sind.

Hier mal ein Ausschnitt aus dem Buch "Die narzisstische Gesellschaft" von Hans-Joachim Maaz zum besseren Verständnis dessen, was ich ausdrücken will:
"Kinder können äußerlich bestens versorgt sein, so dass alle Welt an eine vorbildliche Familie glaubt und selbst die Kinder, wenn sie erwachsen geworden sind, eine "glückliche Kindheit" erinnern, und doch war die primäre narzisstische Sättigung ungenügend. Die beschönigende Erinnerung dient der Abwehr des unerträglichen und bedrohlichen Mangelschmerzes. Die menschliche Psyche hat mehrere Möglichkeiten, auf den Liebesmangel zu reagieren und ihn ggf. zu vertuschen (...) In der Folge des Liebesmangels lernen Kinder allmählich herauszufinden, wofür sie Anerkennung und Zuwendung von den Eltern beklommen können. Damit beginnt ein lebenslang anhaltender Prozess der Entfremdung (von seinem wahren Selbst, Einfügung von mir). Man tut nicht mehr, was zu einem passt und individuell möglich ist, sondern was erwartet wird, um über die Anpassung Bestätigung zu erfahren. (...) Lob und Tadel sind die Erziehungsinstrumente, die das falsche Selbst züchten. Allmählich werden die erwünschten und geforderten Verhaltensweisen so selbstverständlich, dass man sie als ureigene empfinden mag und andererseits kaum noch Erfahrungen sammeln kann (...), die das wahre Selbst entwickeln und zur Geltung bringen können."

Menschen, die im Laufe ihres Heranwachsens gezwungen worden sind, sich von ihrem wahren Selbst zu entfernen, haben, wenn sie ihre Erfahrungen zumindest nicht wenigstens in Ansätzen aufgearbeitet haben, so gut wie immer nur ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Sie sind mehr oder weniger stark (meist mehr) abhängig von der Bestätigung von außen. Bleibt diese aus (und ich geh mal stark davon aus, dass keiner oder kaum jemand aus eurem Umfeld sagt "Hey, ich find das klasse, wie ihr das natürliche Hunger-/Sättigungsgefühl eurer Kinder beachtet!") oder erntet man sogar Kritik, fällt man ganz schnell wieder in den Anpassungsmodus zurück und macht das, von dem man sich erhofft, dass es einem Bestätigung bringt. Im Falle deines Mannes ist es möglicherweise so, dass in die mehr oder weniger deutlich geäußerte Kritik bei dem Treffen mit der anderen Familie so getroffen hat (und Menschen mit geringem Selbstwertgefühl reagieren sehr empfindlich auf Kritik, ganz besonders wenn sie nicht sachlich geäußert wird), dass er sich jetzt so unwohl fühlt und den (starken) Wunsch hat, Bestätigung zu bekommen - indem eure Kinder auch so ein "wohlerzogenes" Benehmen an den Tag legen wie das Kind der anderen Familie.

Vielleicht gelingt es dir, mit deinem Mann so offen reden zu können, dass er genauer sagen kann, warum er plötzlich so vieles anders machen möchte.
Ich denke, es bringt nicht viel, wenn du ihn mit Argumenten zu überzeugen versuchst, die ein Sich-in-das-Kind-hineinversezten erfordern - das kann er zum jetzigen Zeitpunkt nicht, denn sich in eure Kinder hineinzuversetzen, würde bedeuteten, sich in das eigene Kindheits-Ich hineinzuversetzen und das wehrt sein Unterbewusstsein aufgrund der evtl. leidvollen Erfahrungen erstmal ab.

Das alles ist natürlich nur Spekulation und damit nicht mehr als ein kleiner Gedankenanstoß - ich kenne euch ja nicht und auch nicht die Geschichte deines Mannes.

Kompromisse in einer Partnerschaft - klar. Kompromisse wenns um ganz entscheidende Fragen der Begleitung/Erziehung von Kindern geht (und das ist bei euch der Fall) kämen für mich (für mich!) nicht in Frage - dazu ist mir die psychische Gesundheit meines Kindes viel zu wichtig. Und dir, Baerchie, scheint es da auch so zu gehen. Und alle, die hier auffordern, Kompromisse einzugehen, bitte ich, die Frage zu beantworten, wie sie denn reagiert hätten, wenn nicht die Essensfrage von Baerchie als Beispiel gewählt worden wäre, sondern das Schreien lassen. Dass also der Partner unbedingt das Schreien lassen ausprobieren lassen möchte und die AP nicht. Würdet ihr dann auch dazu raten, einen Kompromiss zu finden (z.B. mal schreien lassen und mal nicht, viel mehr Kompromisse sind ja da nicht denkbar). Sicher nicht und zwar deshalb nicht, weil ihr da der gleichen Meinung wäret wie die AP und für euch das Schreien lassen ein NoGo wäre. Beim Thema Essen aber ratet ihr genau dazu, zum Kompromiss, weil ihr das so seht wie der Mann. Die AP hat aber eine andere Ansicht, die - zwar nicht hier in diesem Forum - aber von nicht wenigen Menschen geteilt wird.
Ich rate nicht dazu, denn das halte ich für den falschem Weg - Kompromisse finden löst nicht das Grundproblem, sollte ich mit meinen Spekulationen weiter oben richtig liegen.

Ich rate auch nicht dazu, weniger zu lesen und mehr auf das Bauchgefühl zu hören - das Bauchgefühl ist nur das Ergebnis der eigenen Erfahrungen u.a. aus der eigenen Kindheit und führt leider viel zu oft dazu, dass das eigene erfahrene Leid unbewusst an die nächste Generation weitergegeben wird - Alice Miller erklärt das z.B. sehr einleuchtend und ausführlich in ihren Büchern (z.B. Am Anfang war Erziehung). Im Gegenteil, Baerchie, lies weiter, z.B. im Buch "Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch Trotzphasen" und viele andere mehr, die dafür plädieren, sich immer und immer wieder in das Kind hineinzuversetzen und respektvolle Wege des Miteinanderlebens zu beschreiten, selbst zu denken, anstatt nur das zu tun, was als gültig angenommen wird (z.B. wenn es Kinder nicht von früh an lernen, dass man gemeinsam am Tisch sitzt und es nichts mehr gibt, wenn man aufsteht, dann wird es später große Probleme im Kindergarten/in der Schule bekommen. Wir müssen Kindern wirklich einige Dinge beibringen - dass man nicht in Steckdosen fasst, dass man nicht über die Straße geht, ohne zu schauen, ob diese frei ist und einiges andere mehr, aber ganz vieles lernen sie ganz von selbst in ihrem eigenen Tempo - wenn man sie lässt. Je älter Kinder werden, umso mehr verstehen sie dann auch, das woanders manches anders ist als zu Hause und können damit auch gut umgehen.)

Dass manche hier recht ungehalten darauf reagieren, dass eure Kinder so selbstbestimmt essen dürfen, ist Abwehrverhalten - das eigene Verhalten den Kindern gegenüber kann nicht falsch gewesen sein, also muss es das der anderen auf jeden Fall sein. So kommt es dann zu unsachlichen Äußerungen - ein "Ich finde es nicht richtig, weil ich befürchte, dass ..." wäre völlig ausreichend. Dahinter steht die Angst, die jeder von uns hat: dass wir uns gegenüber unseren Kindern nicht richtig verhalten haben könnten, dass wir ihnen möglicherweise geschadet haben - verständlich, daher ganz sicher auch verzeihlich, schön und konstruktiv ist es aber nicht. Und weil hier der Vorwurf kam, du würdest nur nachplappern - ich find das einen ziemlich abwertenden Begriff für das Wiedergeben einer Ansicht, mit der man sich (intensiv) auseinander gesetzt hat und die einem als richtig erscheint. Dass Kinder von früh an lernen sollen, dass zusammen gegessen wird und es danach nichts mehr gibt, ist auch nur das, was man entweder selbst erfahren, gehört oder gelesen hat. Viele sind nur deshalb sehr überzeugt von ihrer Meinung, weil sie (noch?) dem Mainstream entspricht (wobei das, was Mainstream ist, auch vom Umfeld abhängt). Schreien lassen, strenge Sauberkeitserziehung, Erziehung mit körperlicher Gewalt war vor nicht allzu langer Zeit auch mal Mainstream - inzwischen glücklicherweise nicht mehr.

Was hilft, ist nicht nur, Bestärkendes zu lesen, sondern auch der Austausch mit anderen, die deine Ansichten zu teilen - das hilft auch gut, dass man sich nicht ganz so oft wie ein Alien fühlt. Es gibt ein Internetforum, in dem du sicher deutlich mehr Verständnis für deinen Weg, deine Kinder beim Heranwachsen zu begleiten, finden wirst (mir zumindest hat es geholfen, so ging es mir nämlich auch lange Zeit!). Weil ich nicht weiß, inwieweit hier das Nennen eines anderen Forums erlaubt ist, schick ich die eine PN :)

Ganz zum Schluss; Eventuell ist das Kapitel "Die Wut der Eltern" aus dem schon oben genannten Buch "Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn." ein hilfreicher Ansatzpunkt, um über die Gefühle deines Mannes ins Gespräch zu kommen (dort findet man auch u.a. das Zitat von Maaz weiter oben) - sind nur einige Seiten, die ihr gemeinsam lesen könntet. Wenn du ihm diesen Vorschlag machst mit den Worten im Vorfeld, dass du ihn gern besser verstehen möchtest (und nicht, dass du ihn überzeugen willst!), kommt vielleicht bei deinem Mann ein bisschen was ins Rollen.

Alles Gute für euch!

 
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