Die Geburt

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Geschrieben von Schniesenase am 13.02.2020, 21:18 Uhr

Gewalt unter der Geburt, Realität oder psyche?

Hallo Jeanette,

das ist eine interessante Frage. Wie überall, so gilt auch bei der Geburt, dass alle Menschen individuell unterschiedlich sind. Die einen sind empfindsamer, die anderen robuster, manche ängstlich, manche mutig oder wenig schreckhaft, manche sehr gut aufgeklärt, andere haben gar keine Ahnung, was sie erwartet usw. Dann kommt noch dazu, dass jede Geburt immer anders ist. Es gibt keine Standards, auch wenn man sie immer wieder gern erfinden würde, gerade in der medizinischen Sichtweise von Geburt. Keine Geburt ist gleich.

Die Hebammen und Ärztinnen haben also eine sehr anspruchsvolle Aufgabe zu erfüllen. Sie müssen die Frau in jeder Hinsicht bei ihrer Arbeit unterstützen, müssen zuwarten können, egal, was um sie herum noch geschieht, müssen aber auch erkennen, wann handeln notwendig ist, und sie müssen auf die individuellen Bedürfnisse und Eigenarten der Frauen möglichst feinfühlig und hilfreich eingehen. Dass das nicht immer klappt, kann man sich vorstellen. Manche Frau bräuchte tatsächlich eine resolutere Betreuung, bei einer anderen kann jede Form der resoluten Begleitung schon zu viel sein. Wenn das die geburtsbegleitenden Menschen gut hinbekommen, kann man nur Hochachtung haben.

Gewalt verletzt, körperlich oder seelisch. Unter Gewalt in Bezug auf die Geburt fällt körperlich bei mir, wenn obsolete Methoden angewendet werden, kristellern, insbesondere, wenn das auch noch falsch gemacht wird, Dammschnitte, die Anwendung von Cytotec zur Einleitung, nicht notwendige Einleitungen überhaupt (ca. 20% der Einleitungen in D sind unnötig), vaginale Untersuchungen während der Geburt, insbesondere ohne besonders sensible Ankündigung bzw. Frage, ob es ok ist, das zu tun, die Gebärende in die Rückenlage zu zwingen, wenn sie (was fast immer so ist) nicht für die Geburt absolut notwendig ist, fixieren der Frau in einer bestimmten Lage usw. Gewalt ist auch, wenn Eingriffe gemacht werden, die unnötig sind, insbesondere, wenn sie gegen den erklärten Willen der Frau durchgeführt werden.

Eine Grauzone ist dort, wo die Frau Vorstellungen hat, die mit der aktuellen Lage während der Geburt nicht in Übereinstimmung gebracht werden können, d.h. die Ärztenen und Hebammen müssen gegen den Willen der Frau handeln, wenn sie Mutter und / oder Kind schützen bzw. vor Schäden bewahren wollen. Diesen Teil finde ich am schwierigsten.

Gewalt ist auch, wenn die geburtsbegleitenden Personen zu sachlich handeln, die Gebärende quasi zur mental nicht berücksichtigten Gebärmaschine wird. Es ist wichtig, der Gebärenden gegenüber besonders sensibel und zugewandt zu sein, da sie, wie Du ja geschrieben hast, gerade während der Geburt auch besonders aufmerksam ist, was ihr Geborgenheits- und Sicherheitsgefühl anbetrifft. Harsche Befehle können bei Frauen, die damit sehr gut umgehen können, ok sein, bei empfindlicheren Frauen wären sie schon in den Bereich der seelischen Gewalt einzuordnen. Abfällige Bemerkungen, ignorieren der Frau als Person und Mensch, Unterhaltungen des Personals über die Frau und ihre aktuelle Lage (außer wenn medizinisch bzw. für die Geburt notwendig, und dann sollte die Frau einbezogen werden und das nicht halb mitbekommen müssen), ständiges "Zwischen die Beine schauen", das Nichtvorstellen einer neu hinzugekommen Person, die geburtshilflich an der Frau aktiv wird (was die Frau als Mensch ignoriert) usw

Man, und gerade geburtshilfliches Personal, muss sich klarmachen, dass es letztendlich egal ist, ob eine Gebärende verquere Vorstellungen hat oder "unnötig empfindlich" ist oder irrationale Ängste hat. Sie dort abzuholen ist entscheidend für einen bestmöglichen Ausgang der Geburt. Fühlt eine Frau sich nicht gut betreut, hat das direkten Einfluss auf die Hormonkaskade während der Geburt. Es ist also eine geburtshilflich notwendige Haltung des Respekts und der Feinfühligkeit einer Gebärenden gegenüber, die eine gute Geburt begünstigen. Schon darum halte ich es für ungemein wichtig, dass Geburten in Kliniken nachbereitet werden, auch und gerade mit den Frauen. Denn sie können am besten sagen, wie sie sich während der Geburt gefühlt haben.

Das alles nicht zu berücksichtigen, grenzt schon an Gewalt, denn es führt häufig dazu, dass Geburten unnötig in die Länge gezogen und verkompliziert werden.

Noch mal zur Grauzone: Wenn nach notwendigen Handlungen der Hebammen/Ärztenen während der Geburt Handlungen gegen den erklärten Willen der Frau unternommen wurden, ggf. aufgrund von Dringlichkeit dann eben auch gemacht werden mussten, ohne lange sensibel aufzuklären, warum das wichtig ist, und wenn die Frau dadurch eine Gewalterfahrung erlebt hat, ist es umso wichtiger, dies mit Hilfe entsprechender Therapeuten in Zusammenarbeit mit dem geburtshilflichen Personal aufzuarbeiten, damit die Frau hier keine dauerhaften seelischen Schäden davonträgt.

In allen anderen Fällen ist das ganz vermeidbar, aber natürlich arbeiten auch in Geburtshilfekliniken nicht nur absolute Koryphäen und Naturtalente. Auch hier gibt es Menschen, die ihren Job solide oder eben auch nur hinreichend erledigen. Aber hier ist genau das eben auch besonders fatal, und hier muss ganz besonders auf gute Fortbildung, Monitoring, Begleitung und Verbesserung geachtet werden.

Das ist die Theorie. Die Praxis sieht so aus, dass geburtshilfliches Personal, insbesondere Hebammen, Mangelware sind. Darum haben die, die es gibt, sehr viel zu tun, Zeit für Nachbereitung, Fortbildung, Teamtreffen usw. ist sehr knapp bemessen.

Eine Geschichte aus meinem Umfeld: Eine Freundin von mir wurde während der Geburt von der Hebamme in Rückenlage festgebunden, weil diese sich im anderen Kreißsaal um eine schwierige Geburt kümmern musste/wollte. Die Freundin gebar ihr Kind ganz allein, festgebunden in Rückenlage, und man kann hier wohl sagen, dass das definitiv Gewalt unter der Geburt war. Zum Glück sind solche Fälle extrem selten, und durch die aktuell doch in den Vordergrund gerückte Diskussion um Hebammen, Geburten, Kliniken usw. ist es sehr unwahrscheinlich, dass einer Frau in D so etwas noch einmal geschieht. Es ist ein Extremfall.

Dennoch werden immer noch zu viele Frauen während der Geburt in die Rückenlage gedrängt, geschnitten, leiden unter vielen unnötigen vaginalen Untersuchungen und ebenso unnötigen Eingriffen in ihre Geburt, die ohne Eingriffe gut gelingen könnte. Auch abfällige Bemerkungen und unangebracht derbe Sprüche oder auch einfach nur mangelnde Pietät (man liest davon auch hier bisweilen) sind nicht SO selten. Das Bewusstsein dafür schärft sich in den Kliniken, und ein Wandel ist erkennbar. Hoffentlich geht das so weiter!

Viele Frauen werden sehr kompetent und feinfühlig begleitet, lieben im Nachhinein "ihre" Hebamme und würdigen deren so wichtige und verantwortungsvolle Arbeit auch schon dadurch, dass sie sich wieder eine Geburt bei ihr wünschen.

Ich wünsche allen Schwangeren hier, dass sie von solchen wunderbaren Hebammen begleitet werden!

Viele Grüße

Sileick

 
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