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Geschrieben von Antje&Tim am 10.09.2007, 15:02 Uhr

G8 - ist es wirklich so schlimm? - LANG

Hallo, diesen Artikel aus der FZ hat mir mein Chef heute auf den Schreibtisch gelegt. Da kann einem ja himmelangst werden. Ist es wirklich so schlimm??

Gruß
Antje
(deren Sohnemann gottseidank erst in der 2. Klasse ist)



Das verkürzte Gymnasium macht aus Kindern Manager

Wenn sie am Montag nach acht Schulstunden gegen sechzehn Uhr nach Hause kommen, landet der
bleischwere Schulranzen dort, wo er hingehört: neben dem Schreibtisch. Denn dann geht es an die
Hausaufgaben, und zwar in drei Hauptfächern. Darüber vergehen noch einmal zwei Stunden. Dann ist
Feierabend. Privater Musikunterricht, Fußballtraining, Schwimmbad - alles längst abgesagt oder gleich
ganz gestrichen. So geht die Woche hin, dreimal am Nachmittag Unterricht, zweiunddreißig
Wochenstunden. Die Rede ist von Elfjährigen, Sechstklässler an einem ganz normalen deutschen
Gymnasium. Oder sagen wir: an einem ehemals normalen Gymnasium.
Die Kinder sind der erste Jahrgang, den die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre (G 8) ereilt
hat. Wenn sie 2014 Abitur schreiben, werden sie endlich Zeit haben, darüber nachzudenken, was
denn das nun gewesen sein soll? Eingesperrt in ein Korsett, das ihnen regelmäßig Zwölfstundentage
aufnötigte, der schmale Rest an Kindheit, der noch für sie vorgesehen war, geopfert. Leere
Nachmittage, Muße, Sport, Musik, Spiel mit Freunden - Luxus längst vergangener Tage.
Dafür haben sie gelernt, sich zu organisieren. Sind lauter kleine Filofaxe und Blackberrys geworden,
den Terminplaner im Kopf, das Handy am Ohr. Sind Statisten einer Regieanweisung, die sich der
Staat im Deckmantel der Fürsorge für sie ausgedacht hat: Weil er sich gern in alles einmischt, was
ihn nichts angeht. Das Jahr Lebenszeit, das Jahr Kindheit musste in Hessen - wie in den meisten
anderen Bundesländern - als Symbolpreis bezahlt werden, um den Pisa-Schock mit Aktionismus zu
dämpfen. Die hessische Kultusministerin schlägt zur Begründung verbale Purzelbäume am laufenden
Band. So gibt es nun das Wortungetüm "Epochalunterricht", wohinter sich aber nichts Historisches
verbirgt, sondern der fragwürdige Umstand, dass man Nebenfächer in Halbjahreshappen
unterrichtet: So haben die sechsten Klassen beispielsweise im ersten Halbjahr Erdkunde und Physik,
im zweiten Geschichte und Biologie. Leistung gilt wieder etwas, spricht die Ministerin. Ihre
"Unterrichtsgarantie plus" führt dazu, dass offiziell keine Stunden mehr ausfallen - die Schüler
machen Hausaufgaben oder werden von Aushilfskräften mit Filmen ruhiggestellt.
Das ist die Einführung der Ganztagsschule über die Hintertür, wobei die Betonung auf dem ganzen
Tag und nicht auf dem ganzen Kind liegt. Dass zur Herausbildung einer Persönlichkeit mehr zählt, als
Schule leisten kann, dass die freie Entfaltung des Geistes durch musische, sportliche, handwerkliche
Zugaben befördert wird, ist eine Binse. Es ist schon eine merkwürdige Vorstellung, wenn
Bildungspolitiker glauben, mittels der Formung von internetgeübten Power-Point-Robotern, die im
Alter von zehn Jahren beginnen, ein Erwachsenenleben zu führen, der internationalen Konkurrenz
begegnen zu können. Aber die staatliche Anmaßung im Namen einer nachgeholten Bildungsinitiative -
die anderen Länder machen es doch auch! Schauen Sie mal nach China! - zielt im Kern auf nichts
weniger als auf die Zermürbung der letzten intakten Familienstrukturen. Ausgerechnet der Familie
traut man scheinbar nichts mehr zu; ausgerechnet der sozialen Organisationsform, der dieses Land
gerade in der globalisierten Wirtschaft jede Menge mittelständische Weltmarktführer zu verdanken
hat.
Jetzt, viel zu spät, sind die Eltern aufgewacht. Aber das Wehklagen hilft nicht. In dem endlosen
föderalen Stimmengewirr, das sich Bildungspolitik nennt, haben sie eben Pech gehabt - und sind in
einer instabilen Reformphase gelandet. Immerhin gilt der Leistungsgedanke auch für Eltern,
besonders im Fach "Zeit- und Facilitymanagement".
Spontane Verabredungen mit Nachbarskindern sind die Ausnahme, Kindergeburtstage bedürfen
sorgfältiger Absprachen, das gesamte Schuljahr muss akribisch durchgeplant werden. Darunter leiden
auch die Musikschulen, die jene Ausbildung anbieten, die der Staat in musischen Fächern
marginalisiert hat. Vor dem späten Nachmittag kann kein Unterricht mehr stattfinden; für
Mittelstufenkinder ist es keine Seltenheit, um sieben oder acht Uhr abends zur Musikstunde
anzutreten. Kinderärzte berichten, dass Eltern verstärkt Antibiotika für die Kinder verlangen, um
Fehlzeiten abzukürzen. Immer mehr Schulkinder klagen über Erschöpfungszustände.
Die Lehrer sehen das Elend, sind aber den Weisungen ihres Dienstherrn verpflichtet. Sie unterrichten
teilweise mit Büchern, die für das neunjährige Gymnasium entwickelt wurden; im laufenden
Schulbetrieb werden Lehrwerke ausgewechselt, was zu erneuter allseitiger Verunsicherung führt. Die
Lehrpläne wurden in manchen Fächern entschlackt, aber nicht in allen. Der Frontalunterricht nimmt
tendenziell zu, der Selektionsdruck sowieso.
Die Schulen sind in einer misslichen Lage: sie haben sich in Baustellen verwandelt. Aufenthaltsräume,
Mensen und Cafeterien müssen nachgerüstet werden. Bei einer Mittagspause von fünfundvierzig
Minuten kommt es einer Meisterleistung gleich, ganze Schüler-Hundertschaften abzufüttern. Das
Essen kann man im Internet vorbestellen, Abbuchung bei Ausgabe per Chipkarte. Schöne neue
Schulwelt: Eine leistungsorientierte Schulleitung ließ der Elternschaft unlängst bei einem Elternabend
mitteilen, man befinde sich unzweifelhaft inmitten einer Entwicklung hin zur Ganztagsschule - genau
das, was die versammelten Eltern nicht wollten, als sie ihre Kinder dorthin schickten.

 
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