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Geschrieben von Elisabeth mit Fumi & Temi am 08.01.2004, 9:44 Uhr

Stimmt nicht

Hallo Sterntaler,

Zitat:
"nein, in der tat ist es nicht völlig meschugge,@moneypenny...es liegt in der natur der frau, ihre "jungen" zu pflegen und zu behüten,
aber 2004 leider nicht mehr realisierbar!"

Da widerspreche ich vehement. Nur weil etwas in den letzen 100 Jahren so war, liegt es noch lange nicht in der Natur der Sache. Tatsache ist, daß von den mehreren tausend Jahren der Menschheitsgeschichte nur etwa 100 Jahre lang dieses Ideal - die Kinder werden von der Mutter versorgt - gelebt und gelobt wurde. Und das auch nur im "Abendland". Wenn Du Dir andere Kulturen anschaust - sowohl zeitlich als auch örtlich von uns getrennt - wirst Du nur wenige finden, die die Mütter komplett zur "Kinderpflege" freigestellt haben.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

In der bäuerlichen Großfamilie oblag die Kinderbetreuung den Alten, die nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnten. Die Arbeitskraft der - meist noch sehr jungen - Mutter wurde dringend gebraucht.

In Westafrika ernährt der Mann sich selber, meistens durch Handwerk, die Frauen ernähren sich und die Kinder durch Feldarbeit und Handel. Bei der Kinderbetreuung helfen Frauen sich gegenseitig, auch Großeltern und ältere Geschwister werden intensiv mit eingebunden.

Bei den alten Griechen galt es als verpönt, Kinder selber zu erziehen. Vor allem reiche Griechen gaben die Kinder in die Hände von Haussklaven und Ammen. Ab einem gewissen Alter wurden Jungen von Männern erzogen, Frauen durften nur die "minderwertigen" Mädchen erziehen.

Im Mittelalter galt es sogar als ganz gräßlich, seine Kinder selber zu stillen. Sogar die Mittelschicht engagierte Ammen, die oft die eigenen Babys zugunsten der "Fremdbabys" verhundern ließen.

Erst das Großbürgertum, das Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, erzeugte das Ideal der sorgenden und nur auf die Kinder konzentrierten Mutter, allerdings noch unterstützt durch Kinderfräulein und Hauslehrer. Im Zuge der Industrialisierung haben die Kirchen und konservative Kreise dieses Ideal auch auf Arbeiterfamilien übertragen. Das war vor allem praktisch. Die Großfamilie, die einen Bauernhof und/oder Handwerksbetrieb leitete, zerbrach. Stattdessen entstanden Kleinfamilien, die in den kargen Arbeiterunterkünften weniger Platz wegnahmen. Es fand eine deutliche Trennung in Erwerbsarbeit und Familienarbeit statt, bedingt durch die räumliche Trennung derselben und unterstützt von einem Wertewandel, der Familienarbeit zu etwas "instinktgesteuertem" machte.

Der Nationalsozialismus hat hier in D diesen Wertewandel ins abstruse abgleiten lassen. Es fällt auf, daß vor allem in eher wertkonservativen Gesellschaften wie Deutschland und USA von Frauen erwartet wird, daß ihr Instinkt sie zur Kinderbetreuung prädestiniert. In diesen Gesellschaften haben Frauen auch viel öfter ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Kinder in fremde Hände geben. In anderen Gesellschaften wie Frankreich und Skandinavien ist dieses schlechte Gewissen längst nicht so verbreitet, weil dort die großbürgerliche Entwicklung des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht den starken Ausschlag fand wie z.B. in D. Das schlechte Gewissen ist erwiesenermaßen nicht angeboren sondern anerzogen. Noch ein ganz naheliegender Beweis: Auch in der DDR gab es dieses schlechte Gewissen nicht. Zu dem sozialistischen, anti-bürgerlichen Frauenbild aus der UDSSR paßte das nicht. Die BRD wurde aber eher von wertkonservativen Kräften - auch aus den USA - geprägt, und da galt halt noch das großbürgerliche Ideal.

Leider bin ich nicht zu Hause, sonst könnte ich Euch ein paar sehr interessante Literaturtipps dazu geben. Aus dem Kopf weiß ich "Mythos Mutterschaft" von Shari Thurer, aber ich habe auch ein superspannendes Buch von einem amerikanischen Autor über die Entwicklung des Frauenbildes in der deutschen Verfassung nach dem 2. Weltkrieg. Leider fällt mir den Name gerade nicht ein. Aber auch "Backlash" von Susan Faludi ist sehr interessant.

Mir haben diese Erkenntnisse sehr geholfen, diese Ansprüche an mich zu relativieren. Wir Frauen stöhnen doch immer, daß zu viele Leute zu viel von uns erwarten - und eigentlich erwarten wir selber viel zu viel von uns. Wenn man sich mal vor Augen führt, daß viele dieser Erwartungshaltungen in einem historischen Zusammenhang zu sehen sind, kann man viel besser seine eigenen Ansprüche an sich selber aufteilen in "das ist MIR wichtig" und "das denken andere, daß es mir wichtig sein sollte".

Nur zur Klarstellung, weil das oft mißverstanden wird: Ich habe prinzipiell nichts gegen "Nur-Mütter". Ich bin nur nicht bereit, den Zustand der "Nur-Mutter" als gottgegeben oder "natürlich" (im Sinne von "von der Natur vorgesehen") anzunehmen.

Schöne Grüße,
Elisabeth.

 
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