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Geschrieben von Ralph am 27.10.2011, 23:58 Uhr

@anbin: (lang)

Ein Gutachten reicht nicht, um nach 2/3 verbüßter Freiheitsstrafe wieder rauszukommen aus der Haft.

Die Bearbeitung eines solchen Antrages des Häftlings auf Entlassung nach 2/3 der Haftzeit ist ein richtiges "Projekt". Da gibt es, natürlich, zunächst einmal ein Gutachten, meistens von einem externen Gutachter. Desweiteren wird der Häftling vom Vollzugsabteilungsleiter mehrmals inständig befragt. Da klärt sich oft schon einiges, den diese Abteilungsleiter sind ja auch nicht von gestern und kennen ihre Pappenheimer sehr genau. Dann kommt der ganze Fall in die Ebenenkonferenz, da werden dann auch die Wachleute gehört, wie sich der Betreffende denn eigentlich und überhaupt so geführt hat. Die Haftakte wird hinzugezogen, gab es Disziplinarverfahren usw., ja, und dann kommt die "nächsthöhere" Konferenz, das ist die sogenannte Hauskonferenz, da werden dann andere Vollzugsabteilungsleiter gehört, die auch mit dem Betreffenden gearbeitet haben, die Hauspsychologen werden nach IHREN Eindrücken befragt, und die weichen oft genug von der Einschätzung des externen Gutachters ab, wenn letzterer die Prognose allzu positiv sieht (der kennt ja den Haftalltag des Antragstellers in der Regel nicht). Man kann solche externe Gutachten auch "umdeuten", relativieren, verbiegen.. bis es paßt. Das alles fließt in eine Stellungnahme für eine 2/3-Entlassung ein. Und diese wird dann an die zuständige Strafvollzugskammer (Gericht) weitergeleitet, und DIE entscheidet dann über den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung.

Was ich sagen will, ist, daß gefährliche Gewaltverbrecher nicht "mal so eben" frühzeitig entlassen werden. Das ist ein ziemlicher Akt, den der Häftling durchlaufen muß, wenn er erfolgreich sein will. Nichtauseinandersetzung mit der Straftat führt sofort zur sehr schnellen negativen Stellungnahme mit entsprechender Entscheidung durch die Strafvollzugskammer. Da braucht's nicht mal ein Gutachten, das steht schon im Bericht des Hauspsychologen.

Ich selbst habe einmal eine Stellungnahme zu solch einem Antrag entwickelt. Das Ergebnis war von Anfang an klar - negativ. Auch der Häftling wußte das von vornherein, er stellte den Antrag nur für sich, um für sich selbst sagen zu können, alles versucht zu haben. Er war unberechenbar und im Grunde jederzeit eine Gefahr. Wenn er auf einer Station "ausflippte", war jedesmal Alarm in der ganzen Anstalt. Er saß viel in Isolierhaft zur Abkühlung. Ich habe mich dennoch mit ihm mehrmals allein zum Gespräch getroffen, wir haben insgesamt bestimmt 4-5 Stunden geredet, in denen er immerhin ein gewisses Vertrauen aufbauete. Dabei hat er mir ziemlich klar seine beruflichen Zukunftsvorstellungen definiert, die ich ihm, ebenso klar, realistsicherweise zunichte machte. Dennoch hatte er eine realistische Vorstellung, was sein Heimatland betraf (Afghanistan), und ich erfuhr Dinge aus seinem Leben, die seine Taten zwar nicht weniger grausam werden ließen, aber trotzdem in Ansätzen nachvollziehbar werden ließ,en weshalb er so wurde, wie er war (Vater wurde erschossen, hernach mit 14 Jahren nachts mit Messer in der Hand als "Mann" vor dem Haus die Mutter und Schwestern beschützt, anschließend in der Armee der Mudschaheddin als "Offizier", vollkommen klar also, was der Mann als Jugendlicher dort bereits erlebt und getan haben mußte, irgendwann über Frankreich - dort lebten Verwandte - nach Deutschland gekommen).
Auf jeden Fall war das ein Mann, der mir die Aussage meines Ausbilders bestätigte: Selbst diese menschliche Kampfmaschine war ein Mensch, der seine Träume und seine Bedürnisse hatte. Und er war hochintelligent, keinesfalls dumm. Und dennoch konnte von jetzt auf gleich seine Stimmung kippen, ich war deshalb innerlich äußerst angespannt und auf der Hut.

Die Gespräche und Begegnung mit diesem Häftling, der zu 100% entweder nach Afghanistan abgeschoben oder immer noch in Haft ist, hat mich sehr geprägt und mir sehr viel in meiner Lebenserfahrung gegeben.

Natürlich kann man die Meinung vertreten, daß solche Menschen nicht resozialisierbar sind (wohl die richtige Einschätzung) und deshalb am besten staatlich beschlossen beseitigt werden.
Ich habe dazu eine andere Meinung.

Nun bin ich sehr vom Thema abgekommen, aber ich denke, mein Beitrag paßt dennoch gut zum Thema.

Viele Grüße
Ralph

Ich erzähle das alles, weil der Mensch ein komplexes Wesen bleibt, auch wenn er unmenschliches anrichtet oder angerichtet hat.

 
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