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Geschrieben von Hase67 am 02.08.2021, 13:03 Uhr

Freie Meinungsäußerung, ein Kommentar von Michel Friedman

"Nur am Rand bemerkt, aber da du immer schreibst "jüdischen Glaubens". Das Judentum ist nicht nur in erster Linie eine Religion, sondern eben vor allem eine Volksgruppe. Nicht im völkischen Sinne zu verstehen, sondern im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft. Kannst du ja genauer nachlesen. Wenn jemand Jude oder Jüdin ist sagt das erstmal nichts darüber aus, ob man gläubig ist. Ob der Eigentümer hier gläubig ist oder nicht wissen wir nicht.
Ich bringe es deswegen hier an, weil genau dies ein ganz wichtiger Kernpunkt ist um Antisemitismus überhaupt zu verstehen. Es wird nicht gegen eine Religion gehetzt, sondern gegen eine Volksgruppe, welcher der antisemitische Wahn zuschreibt, mächtig zu sein, die Weltherrschaft anzustreben etc. Deswegen sind Verschwörungstheorien grundsätzlich gepaart mit Antisemitismus und/oder befördern diesen, auch wenn das Wort "Jude" da gar nicht unbedingt fallen muss. Wenn die Rede davon ist, dass "durch geheime Machenschaften im Hintergrund die Welt geleitet wird" ist das im Kern antisemitisch, auch wenn man nicht explizit von Juden schreibt. Juden sind aber seit Beginn des christlichen Antijudaismus die Sündenböcke für alles gewesen und deswegen befördern Spekulationen über "geheime Machenschaften" etc. immer auch Antisemitismus, auch wenn man sich darüber nicht explizit bewusst sein muss."

"Jüdischer Glauben" ist für mich eine Verlegenheitslösung, weil ich eben genau dieses "Volksgruppen-Narrativ", das auch missbräuchlich verwenet werden kann, nicht bedienen möchte. Andererseits erlebe ich gerade unter den israelischen und international vernetzten Akademikern, die mit meinem Mann zu tun haben, eine sehr massive Abgrenzung gegenüber traditioneller lebenden jüdischen Gruppierungen, vor allem gegenüber orthodoxen Juden aus dem osteuropäischen Raum. Da ist dann wieder die Frage, ob es nicht innerhalb der Volksgruppe auch Vorurteile gibt. Die Israelis, die ich persönlich kenne, stellen sich durchaus auch Fragen wie "Wird die Shoa von der älteren Generation als Opfermythos instrumentalisiert?"

Dass mir darüber hierzulande und ohne jüdischen Background weniger ein Urteil zusteht als einem Israeli, ist mir klar, aber ich hatte andererseits auch schon beruflich indirekt mit der Problematik zu tun, mit zwei jüdischen (die eine einheimisch, die andere vorwiegend mit streng religiösen, osteuropäischen Mitgliedern) Gemeinden in unserer Stadt über einen Text für eine Gedenkstele verhandeln zu müssen, die an einem Denkmal für die jüdischen Opfer des Holocaust hier aufgestellt wurde, nachdem der Architekt das Denkmal in einer Weise geplant hatte, die gerade bei der jüdischen Gemeinde mit den osteuropäischen Mitgliedern auf extremen Widerstand stieß (das ist ein Wasserspiegel, durch den früher Kinder barfuß liefen). Als man mit den Verhandlungen hier auf Gemeindeebene an einem aus Sicht dieser Gemeinde "toten Punkt" angekommen war, ging es auf Bundesebene weiter, und es wurde Volker Beck eingeschaltet, der mit den Gegebenheiten hier vor Ort und den vorab stattgefundenen Verhandlungen gar nicht vertraut war. Das war ein - auch von mir persönlich so erlebtes - sehr schwieriges Kapitel in der Thematik Shoa-Gedenken/Zuschreibung von unbewusstem Antisemitismus, und das hat mich damals auch stark für die Thematik sensibilisiert.

 
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