Forum Aktuell

Aktuelles und Neuigkeiten

Fotogalerie

Redaktion

 

Geschrieben von Hase67 am 02.08.2021, 7:18 Uhr

Freie Meinungsäußerung, ein Kommentar von Michel Friedman

Ich kann deine Überlegungen nachvollziehen, zumal du dich beruflich (oder persönlich?) mit der Thematik Diskriminierung und Völkermord, vor allem in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus, sehr intensiv auseinanderzusetzen scheinst. Ich räume auch gern ein, dass es mir da an bewusster Auseinandersetzung und schlichtweg Hintergrundwissen fehlt. Ich bin von Berufs wegen Übersetzerin und streife das Thema allenfalls oberflächlich und theoretisch, wenn ich eine Doku zum Thema übersetze - oder wenn ich mich - ebenfalls theoretisch und oberflächlich - mit israelischen Kollegen meines Mannes über das Thema Antisemitismus und Shoa auseinandersetze. Auch wenn mir das von manchen hier gern unterstellt wird, ich würde mich für "allwissend" halten, ich weiß ziemlich genau, wo mein Wissen und mein Urteilsvermögen endet.

In dem von mir eingestellten Strang war der Vorwurf - anfangs - vor allem deshalb absurd, weil zumindest ich am Anfang gar nicht wusste, wem das Gebäude gehört. Ich kannte die Kämpfe um die Liebigstraße 34 hauptsächlich aus der Presse, ich kenne Berlin auch nur von Besuchen und Berichten von Kollegen. Ich habe dann im Nachgang, als der Eigentümer erwähnt wurde (von IchNiSan, glaube ich) bei Wikipedia nachgelesen, dass er ein Geschäftsmann (jüdischen Glaubens) sei. Erst da hat sich mir auch der Antisemitismusvorwurf erschlossen.

Die von Leena (zuerst) und im Nachgang dann von mir und anderen erwähnte Praxis des warmen Abrisses hatte zunächst mal weder mit der Person des Eigentümers noch mit seinem Glauben zu tun, sondern war ein Gedanke, der für mich (und ich glaube auch für Leena) aufgrund der Tatsache nahelag, dass brennbares Material aus dem Haus nicht gleich abtransportiert, sondern vor Ort liegen gelassen wurde. Das wird ja durchaus so praktiziert, weil Neubauten (insbesondere für Flüchtlingsunterkünfte) aus städtischen, Bundes- und im Falle von Berlin auch aus Senatsmitteln, üppig bezuschussst werden.

Ich lebe selbst in Freiburg, das zu weiten Teilen in der Hand von Immobilienheuschrecken ist (die ich zwar namentlich kenne, aber weder weiß, welchen Glaubens sie sind noch ob das für ihre Geschäftspraktiken eine Rolle spielt), das wurde übrigens unter unserem grünen OB Salomon massiv verstärkt, weil man Investoren aus dem Ausland anlocken und für die Stadt zu teure Immobilienprojekte gewinnbringend abstoßen wollte. Erst seit Amtsantritt von OB Horn und dem neuen Baubürgermeister vollzieht sich da eine Trendwende.

Und auch hier gibt es das Phänomen der leeren und verfallenden Schrottimmobilien, die teilweise in Eigenregie von Wohnprojekten wiederhergerichtet werden, später dann aber doch enteignet, weil der Baugrund entweder der Kirche oder der Stadt gehört und so teuer ist, dass es sich nur für außerordentlich gut vernetzte und finanziell üppig aufgestellte Großinvestoren lohnt, diesen Grund zu erwerben. Gerade geschieht so eine "Entmietung" und Enteignung hier wieder im sogenannten Metzgergrün. Die Bewohner haben sich lange dagegen gewehrt, das ist eine Siedlung mit eigenem Charme und Charakter in einer recht zentralen Lage mit guter Infrastruktur. Wenn jetzt dort abgerissen und neu gebaut wird, sind die Mieten oder Immobilienpreise für die Menschen, die momentan dort leben, nicht mehr ansatzweise finanzierbar, allein der Boden des Areals kostet über 1000 Euro/qm, und da steht dann noch nichts Bewohnbares drauf.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ging in dem Strang lediglich um das Geschäftsgebaren des Immobilienbesitzers, und ich habe in dem Zusammenhang den Blog der Geschädigten dieses Geschäftsgebarens ausfindig gemacht. Nun gibt es natürlich immer zwei Seiten, die des Investors und Geschäftsmanns und die der Menschen, die in dessen Objekten leben. Dass es aber gerade bei großen Immobilienkonzernen Probleme mit einerseits Sanierungsstau und andererseits maximaler Gewinnabschöpfung auf Kosten der (oft hilflosen, weil weder finanzkräftigen noch rechtlich ausreichend versierten) Mieter gibt, ist auch kein großes Geheimnis. Und allein um dieses Thema ging es (mir) hier.

Der von dir angesprochene unbewusste Antisemitismus (genau wie unbewusster Rassismus, unbewusste Diskriminierung von LGBTQ etc.) ist mir nicht unwichtig, ganz im Gegenteil. Ich lerne gern dazu, und ich schließe auch für mich nicht aus, dass ich Fehler mache, dass ich Zusammenhänge nicht ausreichend bedenke, dass ich Vorurteile mit mir herumschleppe, die überdenkenswert sind und die ich auch gern überdenke, wenn mich jemand darauf hinweist. Ich fand es auch sehr interessant, was Maca bei der letzte Diskussion zum Thema Völkermord schrieb, weil ich mir nie wirklich bewusst gemacht hatte, dass ein Völkermord aus Gründen der Religion oder Abstammung die Betroffenen wirklich in der Essenz und an den Wurzeln ihres Seins packt und damit mehr ist als nur die grausame Tötungsmaschinerie eines Krieges, der unterschiedslos alles vernichtet.

Ich wehre mich aber dagegen, dass mir in Zusammenhängen ein unbewusster Antisemitismus unterstellt wird, wo ich eine Geschäftspraxis, nicht eine Person, kritisiere, und mir dieses Person im Vorfeld nicht einmal bekannt war, geschweige denn, dass ich mich mit ihrer Abstammung oder ihrem Glauben auseinandergesetzt hätte.

 
Unten die bisherigen Antworten. Sie befinden sich in dem Beitrag mit dem grünen Pfeil.
Die letzten 10 Beiträge
Mobile Ansicht

Impressum Über uns Neutralitätsversprechen Mediadaten Nutzungsbedingungen Datenschutz Forenarchiv

© Copyright 1998-2024 by USMedia.   Alle Rechte vorbehalten.