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Geschrieben von Schniesenase am 12.01.2019, 23:31 Uhr

Pamphlet

Hallo Niki, und wer immer Muße hat, dieses Pamphlet jetzt zu lesen,

danke für Deinen Beitrag und Dein großartiges Kompliment. Ich mag kontroverse Diskussionen, und das am Ende ging runter wie Butter. :-)

Ich verstehe bei Deiner Argumentation am Anfang ein paar Zusammenhänge, die Du herstellst, nicht bzw. sehe es anders:

- Warum sollen Rechtschreibregeln (wie z.B. die Methode, Endlaute durch Verlängerung zu hören [Der Hund - die Hunde = d statt t am Ende]) nur der Methode "Lesen durch Schreiben" zugeordnet werden? Sie werden in allen drei in der Studie untersuchten Methoden unterrichtet und begleiten quasi alle konventionell unterrichteten Schüler ihr ganzes Schulleben lang. Rechtschreibung KANN nicht nur durch das Erlernen von Wortbildern geschafft werden. Glaubst Du das wirklich? Kann ich mir irgendwie gar nicht vorstellen. Und auch mit der Lesen-durch-Schreiben-Methode zum Lesetechnikerwerb werden Wörter gelernt, Ausnahmen gelernt. Da unterscheiden sich die Methoden nicht, da "Lesen durch Schreiben" eben nur der ANFANG ist. Danach machen fast konventionellen Schulen den üblichen Unterricht mit Lernwörtern, Rechtschreib- und Grammatikregellernen, Lauterkennungsschulung usw., also alles, was Du als viel zu kompliziert benennst, weil es so viele Ausnahmen gibt. Keine Methode kommt darum herum.

- Im Übrigen ist das Dehnungs-h in den meisten Lehrgängen, egal welcher Methode, als zusammenhängendes Graphem vorhanden, also man lernt nicht, dass Vokale lang gesprochen werden, wenn ein h dahinter steht, sondern es wird vermittelt, dass das h nicht gesprochen wird, den Vokal vorher aber lang macht, wobei eben letzteres, das ist der Trick, keinen Schwerpunkt am Anfang hat. Hier kommt es auf das Fingerspitzengefühl der Lehrkräfte an: Überfrachtet man das ohnehin schon am Anschlag stehende Kind damit oder macht es Sinn, das an dieser Stelle schon mal zu erwähnen?

- Die von mir genannten Regeln sind "sichere Regeln": Verlängerung des Wortes lässt sicher den Endbuchstaben hören (b/p, d/t, g/k, g/ch), ein Dehnungs-h wird nie gesprochen, ebenso das e hinter dem i (ie). Nicht sichere Regeln (also solche mit Ausnahmen) führt kein Mensch direkt am Anfang des Schriftspracherwerbs ein, das wäre absurd. Und ich würde auch nie mit der ganzen Klasse 1 besprechen, dass man das Wort verlängern kann, um den Endbuchstaben zu hören. Das würde ich mit einer kleinen Gruppe von Schülern ansprechen, die das offensichtlich wechseln können, auch an dieser Stelle.

- "DAs naechste ist, dass Kinder vom Besonderen ins Allgemeine schliessen. Sie lernen nach Mustern und nach vielen Wiederholungen."
Hier widerspreche ich Dir. Ich stimme insofern zu, dass das bei der Mehrzahl der Kinder so ist, keinesfalls aber bei allen. Das ist wie in allem, wenn wir es mit Menschen zu tun haben: Alle sind verschieden voneinander, nehmen verschieden wahr, lernen auf unterschiedliche Weise. Ich habe schon viele solche Behauptungen gehört und viel mehr Beispiele von Kindern erlebt, die sie widerlegten, bei meiner Tochter, schon als sie sehr klein war, bei meinen Nichten und anderen Kindern im Umfeld, aber auch bei einer großen Anzahl der von mir in 21 Jahren Schule erlebten SchülerInnen.
Und selbst wenn man diese Behauptung absolut sieht: Sie bekommen doch bei der "Lesen durch Schreiben-Methode" genauso viele Muster und Wiederholungen. Es werden Wörter immer wieder wiederholt, gelesen, geschrieben. Und ALLE Methoden vermeiden das außerlautliche Verbessern am Anfang, als das Verbessern nach Rechtschreibregelverständnis, weil eben die Kinder diese kognitive Leistung an dieser Stelle noch nicht leisten können. Deine Aussage spricht gar nicht gegen die Methode.

- "Viel kindgerechter ist es also von diesem Standpunkt, viele Woerter zu lernen, und irgendwann die Regel dahinter zu begreifen, wieso die eben so geschrieben werden, und nicht umgekehrt."
Das sehe ich für eine Mehrheit der Kinder genauso. Wenn ab Klasse 2/3, je nach Stand des Schriftspracherwerbs mit den RS- Und Grammatikregeln begonnen wird, lässt man die Kinder z.B. lauter Wörter mit Dehnungs-h schreiben, lesen, lernen, Reime bilden, als Schleichdiktat schreiben usw. Es wird das Dehnungs-h mit dem vorangehenden Vokal in diversen Listen und Texten detektivisch genau entdeckt, um die Kinder aus dieser Menge der Übungswörter und immer wieder richtig dargestellten Wörter heraus zu befähigen, den richtigen Schluss zu ziehen: Alle Vokale davor sind lang. Lautübungen werden gemacht, damit Kinder, die das nicht hören können (langer/kurzer Vokal), hier geschult werden, denn längst nicht alle können es hören. Es werden zu der entsprechenden RS-Regel Lernwörter immer wieder auf vielfältige Weise gelernt, so dass sich das hoffentlich einschleift, ein Wortbildgedächtnis angelegt wird, insbesondere bei denen, die eben überhaupt gar nicht nach solchen Regeln lernen können. Und auch da gibt es eine kleine Gruppe von Kindern, die das gähnend langweilig finden, weil man es ihnen einmal erklärt, einmal am Beispiel zeigt, ggf. noch ein, zweimal übt, und dann können sie es umsetzen, und dann ist für diese Kinder die ganze Übung Unsinn, Überfrachtung mit langweiligem, nutzlosen Kram.

- "Du sagst selbst, dass eine enorme kognitive Arbeit dahintersteckt, die eigentlich recht mit Undank bezahlt wird." Genau das ist Teil des anfänglichen Schriftspracherwerbs. Ich habe damit den Schriftspracherwerb im Allgemeinen beschrieben, nicht die Methode, die so sehr kritisiert wird. Unsere Sprache IST eine Lautsprache, das heißt, das Erlernen der Schriftsprache geht anfangs zwangsweise über die Dekodierung der Zeichen in Laute und anderes herum. Egal, mit welcher Methode, diese kognitive, visuell (sehtechnisch), motorisch und auditiv (hörtechnisch) höchst anspruchsvolle Leistung müssen ALLE Kinder erbringen, die in unseren Breiten Schriftsprache erlernen. Im Gegensatz zu z.B. Chinesisch, bei dem ein Zeichen ganze Begriffe beschreibt, und bei dem man weitgehend alle Zeichen nur wissen kann, indem man das Zeichen auswendig lernt. Das beschreibt die Mühen des Schriftspracherwerbs allgemein, nicht die Leistung, die ein Kind nur bei Anwendung der "Lesen durch Schreiben"-Methode erbringen muss. Wir kommen nicht drum herum: Schriftspracherwerb IST sehr mühsam.

- "Weiters gehst du davon aus, dass von den Eltern ein grosser Teil der Arbeit kommt, die richtige Aussprache, das "Schubsen" in die richtige Richtung, etc. Das ist aber in einem kleinen Prozentsatz der Familien so moeglich, das muss ich nicht weiter ausfuehren."

Das ist ein Missverständnis. Davon gehe ich nicht aus. Ich leiste aber, weil ich es kann und mein Kind es möchte, entsprechende Zusatzarbeit. Auch das ist von der Methode unabhängig. Die Frage von Cube war ja, wie bzw. ob sie ihr Kind da richtig unterstützen kann, das in der Schule so lernt.

Zu glauben, dass soziale Vorteile beim Lernen (durch die Herkunft) in Schule komplett ausgeschaltet werden können, halte ich für eine Utopie. Das geht ja schon damit los, wie viel und wie in der frühesten Kindheit mit den Kindern gesprochen wird. Die Kinder aus entsprechenden Elternhäusern haben per se da einen Vorteil, den Schule nicht auflösen kann. Vielleicht werde ich jetzt gesteinigt, aber diese politische Diskussion, so wichtig sie grundsätzlich ist, findet oft in schwindeligen Ideologiehöhen statt, bei denen es um Prestige und Populismus geht. Haarsträubend wird es dann, wenn Kinder am besten fast gleich nach der Geburt in die frühkindliche Bildung geschickt werden sollen, damit alle gleiche Chancen haben. So lange unsere Gesellschaft so ungleich und ungerecht gestaltet ist und die Ressourcen, auch die intellektuellen, so ungleich verteilt sind, wird das alles nicht über eben diese Ungerechtigkeit hinwegtäuschen.

- "Abgesehen davon, dass dieses System auch nur in Teilen Deutschlands funktionieren kann, in anderen, oder gar bei uns in Oesterreich ginge das gar nicht. z.B. gibt es in Oesterreich in der Aussprache keinen Unterschied zwischen b und p, d und t und oft auch zwischen g und k. Also z.B. Beppo hat nur einen Konsonanten, naemlcih ein Laut, der zwischen b und p liegt."
Das ist spannend: Wie wird denn dann in Österreich Schriftsprache gelehrt? Lernen die Kinder andere Lautregeln? Oder gibt es "Hochsprache" und "Österreichische Aussprache" als Vergleich? Das ist eine ernst gemeinte Frage.
Das Problem, das Du hier ansprichst, haben viele Menschen in vielen Bereichen Deutschlands. Ich kenne mich besser im norddeutschen Raum aus. Beispiel: Im Bremer Raum spricht man Endungen auf -er eher wie ein "or" aus, also weiter [waito] (offenes O wie bei Tor), statt [waitöa] und im Schleswig-Holsteinischen und auch im Mecklenburger Raum heißt das dann eher [waitä:], also langes ä. Ich muss also den Holsteinischen Schülern beibringen, dass der Laut tä: am Ende eines Wortes meist -er geschrieben wird, den Bremern muss ich dasselbe für einen to-Laut mit offenem O beibringen. Noch schlimmer: Oft sprechen sie dann "weidäh", und das heißt "weiter", als das d ist im Schreiben ein t.
Man merkt, das Ganze ist wirklich kompliziert, aber wieder: Das ist es bei jeder Methode, denn es IST eine Lautsprache.

- Du zitierst: "Am Anfang merken sie sich die Wörter noch nicht, weil sie noch kein Wortbildgedächtnis entwickeln, zu schwierig ist die Lautiererei noch, und ein Wort als Ganzes wird noch nicht erkannt. Hier ist also gar keine Gefahr, dass sich was falsch einprägt."

... und schreibst daraufhin: "Das ist einfach nicht richtig. Vielmehr ist es so, dass je kleiner Kinder sind, desto hoeher ist der Prozentsatz eines fotografischen Gedaechtnisses, anfangs sogar nach einigen Studien bei fast 90%. Mein Sohn hat in der ersten bereits die Woerter sehr bald *gesehen*, nicht mehr *gelesen*, und ich weiss, dass das bei sehr vielen Kindern schon im Kindergarten so ist, dass sie ihren eigenen Namen und den der anderen allein am Wortbild erkennen, ohne lesen zu koennen. In meinen Augen ist genau da die ganz grosse Gefahr, sich etwas falsch einzupraegen. Bewegungsmuster koennen noch sehr flexibel ausgebessert werden, Schwimmen, radfahren, Eislaufen, Turnen, etc. da kann man besonders als Kind noch hundertmal umlernen, entgegen der Befuerchtungen von vielen Eltern. Aber Bilder gehen sehr schnell ins Langzeitgedaechtnis und bleiben da."
Du weist auf einen wichtigen Aspekt hin, der für junge Kinder oft richtig ist. Anfang des 20. Jahrhunderts hat man das für Schulkinder auch noch so gesehen. Mein Stand ist der, dass neuere Studien hier vorsichtiger und differenzierter werden. Sicher ist: Im kindlichen Gehirn sind noch sehr viel mehr Synapsen und Verbindungen vorhanden, die die Fähigkeit geben, sich Bilder zu merken. Viele davon werden im Laufe der Zeit wieder zurückgebildet. Aber das Wortbildgedächtnis ist zunächst einmal ein sehr kurz andauerndes Gedächtnis, da geht es um unter zehn Minuten, bevor das Bild wieder vergessen wird. Es hält also nur mit Übung länger an, manifestiert sich dann allerdings wirklich schnell und gründlich. Außerdem scheint sich diese Fähigkeit des Bilderlernens immer mehr abzuschwächen, je weiter das Kind im Sprachlernprozess ist (eben durch die Rückbildung der Hirnverbindungen, weil komplexer gelernt wird), d.h. (mit wenigen Ausnahmen) Kinder, die sprachlich sehr weit sind, scheinen ein schlechteres Wortbildgedächtnis zu haben. Auch hier finde ich es schwierig, allgemeingültige Behauptungen aufzustellen, weil die Vielfalt so groß ist. Und, wenn man ehrlich ist, weiß man es doch auch nicht sicher genug, um eine für alle gültige Aussage zu treffen. Zu unterschiedlich ist da die Entwicklung in den ersten ca. 4-7 Jahren. Ich sehe das Problem mehr darin, dass durch zu spätes Verbessern und Regelverstehen dem Gehirn signalisiert wird, dass es egal ist, wie ein Wort aussieht. Dieses Phänomen hat sich nach meiner Erfahrung sehr verstärkt, seit es SMS und Whatsapp & Co gibt, da die Menschen immer nachlässiger werden, was das korrekte Schreiben angeht. Sie bringen dem Gehirn im Laufe der großen Verbindungsbahnbildung bei, dass die Schreibweise unwichtig ist, also werden entsprechende Bahnen zurückgebildet, das Gehirn hat die richtige Schreibweise also für so unwichtig gehalten, dass es die Verbindungen, die dafür notwendig sind, teilweise zurückgebildet hat. Das ist eine Beobachtung von mir, keine wissenschaftlich belegbare Aussage.

Dein Sohn konnte/kann(?) gut in Wortbildern lernen. Das wäre also für ihn eine gute Möglichkeit. Für manche andere sind andere Möglichkeiten besser. Meine Tochter lernt gar nicht gut in Wortbildern, hat aber sehr schnell Laute zusammenschleifen, hört die Laute sehr gut und kann auch sichere Regeln trotz ihres noch anfänglichen Schreiblernprozesses schnell umsetzen. Sie kann auf diese Weise definitiv besser lernen. Ich hab das tatsächlich mal getestet, weil ich das eher selten in der Schule so hatte. Wie gesagt, die Vielfalt ist riesig.

Zum Schluss noch einmal meine persönliche Einstellung zur Methode "Lesen durch Schreiben", eigentlich zu jeder der drei in der aktuell so viel diskutierten Studie untersucht wurden: Ich bin überzeugt, dass jede einzelne Methode streng durchgeführt große Schwächen hat, weil sie alle, sklavisch ausgelegt, die Möglichkeit, verschiedene Lernwege anzusprechen sehr begrenzen. Das gilt auch für "Lesen durch Schreiben". Wie schon vorher erwähnt, kenne ich keine Lehrerin, die eine dieser Methoden streng nach uralter Definition verwendet, und das ist gut so. Die Mischung der Methoden macht es. Klar, dass bei 29er Klassen, wie oben erwähnt, jede Lehrerin da an Grenzen stößt, aber sie kann dennoch ANBIETEN. Den Rest schreibe ich an anderer Stelle, damit er noch gelesen wird, finde ich nämlich wichtig.

Bis hierher geschafft? Glückwunsch!;-) Sorry für die Länge, das beschäftigt mich so sehr, weil ich mich schon so viel damit herumgequält habe, den Kindern den Schreiblernprozess leichter zu machen und Ursachen für die Probleme zu finden, die dabei bestehen.

Ich mag Deine Beiträge immer sehr. Sie zeigen, wie sehr Du die Kinder für voll nimmst, sie auf ihrem Weg unterstützen, aber nicht manipulieren und gängeln oder dressieren möchtest! Außerdem schwimmst Du nicht immer mit, sondern äußerst auch mal unbequeme oder unpopuläre Überzeugungen.

Liebe Grüße

Sileick

 
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