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Geschrieben von pflaumenbaum am 21.06.2022, 16:06 Uhr

Ergänzung

Ja, natürlich, Sprache konstituiert und konstruiert die Wirklichkeit. Nur in der Soziologie, den Kulturwissenschaften gibt es eine Richtung (der sogenannte Poststrukturalismus), die davon ausgehen, dass es allein die Sprache (der "Diskurs) ist, der die Gesellschaft konstituiert. Der Baum wird erst zu einem Baum, indem wir ihn Baum nennen. Die Frau wird per Sprechakt zur Frau, sie ist nicht schon Frau. Dies ist nicht prinzipiell falsch. Dennoch gibt es in der Soziologie noch ein paar mehr Ansätze, die sowohl Sprache und Kultur eine wichtige Bedeutung zuweisen und dennoch z.B. dem menschlichen Handeln (der "Erfahrung") eine eigene Qualität beimessen.

es ist sehr schwierig, diese Debatte auf wenige Sätze zu reduzieren. Ein zentrales Problem ist dabei, dass der Poststrukturalismus (à la Judith Butler z.B.) auch vereinfacht gelesen wird. Im Zentrum steht hier eigentlich die Dekonstruktion. Stattdessen ist im medialen Diskurs eine Weltsicht entstanden, die davon ausgeht, dass man die Welt verändert, indem man besser spricht (gendersensibel, diskriminierungsfrei).

Nehmen wir dein Beispiel mit der Bezeichnung von Juden als Untermenschen. Hier verweist die Sprache auf ein faschistisches System, eine Diktatur. Was wäre jetzt gewonnen, hätte man Hitler dazu bringen können, anders zu sprechen? Wohl gar nichts, weil das System das gleiche ist.

Anderes Beispiel: Behinderte Menschen, Menschen mit Behinderung, Inklusionskinder etc. - alles Bezeichnungen die auf eine Gruppe von Personen verweisen, die in unserer Gesellschaft diskriminiert werden, weil sie von Normen abweichen. Was ändert jetzt ein anderes sprechen über diese Menschen? es ändert nichts, weil die Normen bestehen bleiben. Wir müssten also über die Normen sprechen, um etwas zu verändern. Das funktioniert aber nur, wenn man diese Gruppe weiterhin bezeichnet, damit sie sichtbar bleibt.

Noch zum Thema "Gruppe": In der Debatte über Diskriminierung werden fortlaufend Gruppengrenzen produziert. Es gibt bei Marx eine Unterscheidung zwischen der Klasse "an sich" und der Klasse "für sich". Die Frage ist: fühlen sich die Menschen, die einer Gruppe zugeordnet werden (von der Gesellschaft oder der Wissenschaft) auch dieser Gruppe zugehörig? Oder ist das rein eine Beschreibung von außen? Die meisten Weißen in weißen Mehrheitsgesellschaften fühlen sich der Gruppe der Weißen nicht zugehörig, weil mit dem Weißsein nichts verbunden wird. Dies wird als "white privilege" bezeichnet. Die Weißen sind aber keine Gruppe, genauso wie die Schwarzen auch keine Gruppe sind. Eine Gruppe wären sie, wenn sie auch so etwas wie eine gemeinsame Kultur hätten, eine kollektive Identität. Für manche ethnische Minderheiten mag das wohl gelten. Aber die Hautfarbe an sich reicht normalerweise nicht.

 
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