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Geschrieben von Hase67 am 27.07.2014, 0:12 Uhr

@ butterflocke: das gefällt dir bestimmt auch

Hi,

ich hänge mich da gerade noch mal mit an, weil es unten doch nur untergeht: Auch ich habe bei beiden Kindern nicht beobachtet, was im Trailer (den ganzen Film habe ich nicht gesehen, aus besagten Gründen) beschrieben wird - also normiertes Leistungsstreben schon in der Grundschule. Möglicherweise liegt es daran, dass wir selbst leistungsorientiert sind, vielleicht sind meine Kinder also schon viel früher mit dem "Virus" infiziert worden, nämlich durch uns selbst.

Meine Tochter ging in der Grundschule wahnsinnig gern zur Schule, weil sie sich total mit ihrer Lehrerin und der Schule identifizierte, und die Lehrerin war fordernd und leistungsbezogen, hat es aber dennoch geschafft, allen Schülern in der Klasse - schwachen wie starken - sehr gut gerecht zu werden. Mit der Schule und der Klassenlehrerin war ich selbst auch hochzufrieden.

Mein Sohn ödet sich auf der neuen Schule (wir sind zwischenzeitlich in einen anderen Sprengel umgezogen) seit der ersten Klasse an, trotz Sonder- und Extraaufgaben. Zum Springen sahen wir nie eine Veranlassung, weil sich dadurch auch nichts verändert hätte - meinem Sohn hatte nicht unbedingt einen Wissensvorsprung, aber er begreift sehr schnell und sicher und stört sich an den ewigen Wiederholungen, dem permanenten Wiederkäuen von Inhalten und dem "plastischen" Darstellen von Lerninhalten, die er abstrakt bereits super erfasst hat. Er ist nämlich kein haptischer oder visueller Lerntyp, wovon die Grundschule hier mit ihrem Ansatz ausgeht.

Mein Sohn ödet sich also ganz gewiss nicht an, weil der Anspruch an ihn zu hoch wäre oder er stur auf Leistung genormt würde. Er ödet sich an, weil die Lehrerinnen es hier selbst in Kleinstgruppen (in der Klasse meines Sohnes sind 16 Kinder) nicht schaffen, unterschiedlichen Begabungen gerecht zu werden, den Schwächeren genauso wenig wie den Leistungsstärkeren. Eine große Gruppe von Kindern (insgesamt 9) ist chronisch unterfordert, in den verschiedensten Bereichen, 3 erreichen das Klassenziel nur mit Mühe, und die restlichen 4 sind im Mittelfeld anzusiedeln. Das Problem an dieser Schule ist nicht etwa, dass nicht gesehen würde, was die Kinder an Persönlichkeit oder Befähigung "mitbringen". Das Problem ist eher, dass den Lehrerinnen selbst, zumindest in unserer Klasse, die eigene Hose näher ist als die Jacke (sprich: ihre Befindlichkeiten und Prioritäten rangieren vor denen der Kinder). Das heißt konkret, dass das Niveau generell sehr niedrig und "unaufwendig" angesiedelt ist und dass nur auf beharrliches Nachfragen der Eltern und Motzen der Kinder anspruchsvollere Aufgaben gestellt werden. Das im Spiegeltext vorgestellte "Kunst-Problem" kennen wir hier aber auch, durch eine völlig inkompetente Zeichenlehrerin: Sture Vorgabe von idiotischen Regeln, und wenn sich jemand erlaubt, diese Vorgaben zu hinterfragen und für sich zu "korrigieren", wird er vor der Klasse kritisiert.

Das ist aber keinesfalls ein allgemeines "Bildungsproblem" oder gar ein "Werteproblem" der Einrichtung Schule oder auch dieser Schule im Speziellen: Es ist auf inkompetentens und unmotiviertes Personal zurückzuführen.

An der weiterführenden Schule meiner Tochter ist es so, dass von den insgesamt 70 (?) Lehrern im Kollegium über die Hälfte unterhälftig Teilzeit arbeiten - viele sind junge Mütter mit relativ kleinen Kindern. Deren Unterricht fällt verhältnismäßig oft aus, da sie entweder selbst krank sind oder ihre Kinder krank sind. Dadurch entstehen Lücken, die aufgrund von Strukturmängeln in der Schulorganisation kaum kompensiert werden können (simpler ausgedrückt: die Vertretungslehrer haben gar kein Material, mit dem sie weiterarbeiten können). Und so kommt es, dass viele G8-Schüler das Gymnasium stundenmäßig gesehen eigentlich in G7 oder gar G6 machen. Und das dass nicht hinhaut, müsste selbst der dümmste Bildungspolitiker kapieren.

So, und schlage ich den Bogen zurück zu deinem Posting, Flocke: Das von dir so verteufelte Leistungsprinzip wird unseren Schulen schon zum Verhängnis, aber eher im umgekehrten Sinne: Dass nämlich die Lehrer nicht leistungs- und engagementangepasst bezahlt werden, sondern zumeist verbeamtet sind und dann schlichtweg, so sie keinen persönlichen Ehrgeiz entwickeln und sich diesen auch dauerhaft erhalten, auf ihrem sicheren Posten vor sich hindümpeln. Gerade dieses nicht-leistungs und engagementorientierte System korrumpiert die Leute meines Erachtens.

Unten schreibst du, ich würde Individualität als Bedrohung für die Gesellschaft sehen. Das siehst du zu schwarz-weiß. Individualität ist definitiv eine Bereicherung für die Gesellschaft, aber ein staatliches Schulsystem, das sich aus Steuern finanziert, kann es m. E. nicht leisten, jeden einzelnen Schüler in der Grundschule genau da abzuholen, wo er/sie steht. Eine gewisse "Normierung" ist erforderlich, um überhaupt ein gemeinsames Klassen- und Bildungsziel zu erreichen.

Natürlich finde ich es auch toll, wenn Kinder auf einer freien Schule z. B. Demokratie durch Mitbestimmung hautnah erleben und mehr Eigenständigkeit und Kreativität erlernen. Dennoch würde es mich selbst in höchstem Maße irritieren, wenn meine Kinder in Klasse 5 noch immer nicht lesen und sicher schreiben könnten - so habe ich es selbst im Bekanntenkreis bei einem Kind erlebt, das eine Schule mit einem solchen alternativen Konzept besucht hat.

Ich halte mich prinzipiell für relativ offen für reformpädagogische Ansätze, aber ich halte dennoch nichts von realitätsfremden Inseln der Glückseligkeit, die einige Waldorfschulen und manche komplett freien Schulen einfach darstellen.

Meine Kinder wären da rettungslos verloren und unglücklich, weil es weder unserem Leben entspricht noch dem Anspruch, den sie an sich selbst stellen. Ich will gar nicht werten, ob unser Bildungsanspruch oder die Ansprüche der Kinder an sich selbst positiv oder negativ sind, was der Film m. E. aber tut. Die Leistungsorientierung ist aber tatsächlich da und nicht von einer äußeren Institution aufgezwungen. Das mag ich mir auch nicht von einem Film oder einem Buch ausreden lassen, die pauschal behaupten, Bildung, wie sie bei uns stattfände, würde Kinder grundsätzlich kaputt machen und in ihrem Wesen verleugnen. Das ist m. E. völlige Schwarzweißmalerei.

Es trifft natürlich in Zeiten von G8 und allgemeiner Wirtschaftskrise mit Zukunftsängsten, gerade im Hinblick auf die Zukunft der Kinder, auf sehr fruchtbaren Boden. Ich unterstelle dem Regisseur auch, dass ihm das sehr wohl bewusst ist, dass er einen Zeitgeist aufgreift und daraus ein für ihn sehr lukratives Projekt macht.

Für mich liegen die Probleme unseres Bildungssystems (und auch die Probleme, die Kinder damit haben und durch die sie unglücklich sind) ursächlich ganz woanders.

LG

Nicole

 
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