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Geschrieben von Kleine Fee am 17.03.2017, 13:29 Uhr

Verlust durch Strukturanpassungen

Ich habe bei ZEIT ONLINE in folgenden Artikel reingelesen:

http://www.zeit.de/2017/12/ostdeutschland-sachsen-kirche-fluechtlinge-pegida

Mal abgesehen davon, dass der Artikel vom Ex-Mann von Frauke Petry, der Pfarrer in Sachsen ist, geschrieben wurde, bin ich an folgender Passage hängengeblieben:

"... das Dorf, dessen Pfarrhaus seit Ende 2009 mein Wohn- und auch Arbeitsort ist, war im Oktober 1990 eine selbstständige Gemeinde (...) und zählte offiziell 660 Einwohner. Es gab einen Bürgermeister, einen Kindergarten, eine Schule, einen Fußballplatz, die Freiwillige Feuerwehr, zwei Gaststätten, eine Post, eine Sparkassenfiliale, Bäcker, Konsum – kurz: alles, was man für den normalen täglichen Bedarf an Infrastruktur braucht.

Heute sind davon noch die Feuerwehr und der Kindergarten übrig – und das Pfarramt. (...) Seit 1990 leben die Menschen hier mit ständiger Veränderung, die gemeinhin Strukturanpassung genannt wird. Die zahlreichen Verbesserungen, die es durchaus gegeben hat, treten demgegenüber in den Hintergrund, und das auch mit Erfahrungen unterlegte Gefühl sagt: Veränderung heißt Verlust, ..."

Ich stamme aus einer Stadt und wohne jetzt auch in einer Stadt. Daher kann ich das gerade nicht einordnen. Diese Strukturanpassungen, die in den Dörfern zum Verlust von Läden, Ämtern und anderen Einrichtungen vor Ort führen, gibt es doch überall in Deutschland, oder? Gebietsreformen gibt es doch nicht nur in Ostdeutschland und die Tante-Emma-Läden verschwinden auch flächendeckend. Das ist kein rein ostdeutsches Phänomen, oder? Vielleicht aber dort besonders stark ausgeprägt? Wer kann aus dem ländlichen Raum seiner Region berichten?

 
3 Antworten:

Re: Verlust durch Strukturanpassungen

Antwort von Leena am 17.03.2017, 14:07 Uhr

Mich erinnert das sehr an das Dorf meines Onkels, irgendwo in der Mark Brandenburg... selbe Größe, auch knapp 600 Einwohner.

Da gab es früher auch einen Konsum, mindestens eine Gaststätte, Kindergarten, Schule, Bürgermeister, Pfarrer, Bäcker, was man halt so brauchte. Heute haben sie davon gerade mal noch einen ehrenamtlichen Ortsvorsteher, die Pfarrgemeinden wurden zusammengelegt und einmal im Monat kommt einer und pastert. Einkaufsmöglichkeiten gibt's schon lange nicht mehr. 2002 wurden sie in eine Großgemeinde eingemeindet, haben damit quasi sogar ihren Namen verloren...

So extrem kenne ich das hier aus dem Westen definitiv nicht, hier sterben zwar auch die Tante-Emma-Läden, dafür werden auf der grünen Wiese Einkaufszenter gebaut und Neubaugebiete für junge Familien, die dann täglich in die nächste Stadt pendeln, und noch ein paar Gewerbegebiete, die ausgewiesen werden... hier ist definitiv auch viel im Wandel, aber eben im Wandel, nicht im Aussterben. Allerdings sind wir hier auch "Speckgürtel" der nächsten Großstadt, in den strukturschwachen Gebieten im Westen kann das durchaus auch ganz anders aussehen...

Wobei man vom Dorf meines Onkels eigentlich täglich nach Berlin pendeln könnte - tut aber niemand und will offenbar auch niemand.

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Der Unterschied ist die Dynamik.

Antwort von Petra28 am 17.03.2017, 15:00 Uhr

Während sich im Westen (Norden, Süden) der Strukturwandel schleichend vollzogen hat, ist dies in Ostdeutschland quasi "über Nacht" und mit hoher Dynamik geschehen. Nach 1990 wurden dort, wo früher Dörfer und dazwischen jede Menge Felder lagen, riesige Einkaufsgebiete errichtet, die natürlich sofort jegliche Kaufkraft aus den Dörfern und kleineren Orten abgezogen haben und auch bessere Preise als Tante Emma bieten konnten. Kleinere Kinos konnten sich nicht halten, weil sie nicht mit den neu errichteten Cinedomen mithalten konnten. Die Gaststätten und Kneipen konnten nicht überleben, weil zunächst einmal niemand mehr Zeit und Geld hatte, sich dort sein Feierabendbierchen zu gönnen. In den 90ern war man damit beschäftigt, im großen Stile "wegrationalisiert" zu werden und zu sehen, wo man finanziell bleibt - und zwar nicht, wie im Westen, aus einer Gewissheit heraus, dass so etwas immer passieren kann, sondern aus einer Gesellschaftsform heraus, wo es so etwas wie Existenzängste nicht gab. Dass Veränderung Verlust bedeutet, haben viele Menschen "hochdosiert" erfahren müssen, ich kann gut nachvollziehen, was Pfarrer Petry da schreibt.

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Re: Verlust durch Strukturanpassungen

Antwort von lisi3 am 17.03.2017, 20:11 Uhr

Wir wohnen in einem kleinen Dorf in Hessen.
In Westdeutschland sieht es im ländlichen Raum auch nicht wesentlich besser aus. In den letzten ca. 15 Jahren haben hier ein Raiffeisenhandel, eine Poststelle, ein Bauernladen, eine Metzgerei-Bäckerei, ein Geschäft mit diversen Dingen, ein Elektrogeschäft geschlossen. Zweimal pro Woche ist eine Ärztin für ein paar Stunden für die älteren Leute vor Ort. Ein Geschäft gibt es immerhin noch, weil einige bewusst dort einkaufen, um es im Dorf zu halten. Einen Pfarrer haben wir nicht mehr, aber immerhin einen eingruppigen Kindergarten. Die Schulkinder haben Busfahrzeiten zwischen 30-45 Minuten zur Grundschule und 60-90 Minuten zur weiterführenden Schule.
Die Strukturschwäche im ländlichen Raum ist also kein rein ostdeutsches Phänom. Dafür haben wir zum Ausgleich viel Natur und bei "Not am Mann" findet man immer jemanden, der einem hilft.

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