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Geschrieben von Strudelteigteilchen am 09.12.2011, 14:20 Uhr

Schuldfrage - Grundsatzdiskussion

Schwierige Grundsatzfrage.

Erstmal möchte ich ein anderes Zitat von mir dagegenstellen:
"Die Gesellschaft hat ein Interesse an einer Anzeige, das ist richtig. Aber ich als Mutter bin Anwältin meines Kindes - und daher steht für mich das Wohlergehen meiner Tochter über dem Wohlergehen der Gesellschaft. Mein Kind hat nur eine Mutter - die Gesellschaft besteht aus ein paar mehr Menschen als mir."

Und deswegen kann man das nicht pauschal und getrennt von der Mißbrauchs-Diskussion betrachten.

Beispiel:
Wenn ich beobachte, wie jemand das Haus meines Nachbarn ausraubt, dann kann die Gesellschaft und auch der Nachbar selbstverständlich von mir erwarten, daß ich die Polizei rufe und gegebenenfalls die Täter identifiziere, im Prozess gegen die Täter aussage, oder was der Zeugentätigkeiten mehr sein mögen. Denn die Konsequenzen für mich als Zeuge (der nichtmal das Opfer ist!!!) sind minimal.

Aber Mißbrauch ist eine ganz andere Baustelle, weil erwiesenermaßen fast alle Opfer durch den Prozess noch mehr traumatisiert werden.

So, und jetzt wird es problematisch:
JA, die Gesellschaft darf erwarten, daß ein Mitwisser/Zeuge von sexueller Gewalt den Täter anzeigt und dabei hilft, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.

Aber als Mutter liegt meine erste Verantwortung nicht bei der Gesellschaft, sondern bei meinem Kind. Immer und ohne Ausnahme. Wenn ich es für pädagogisch richtig halten würde, würde ich für mein Kind die Aussage vor Gericht verweigern, wenn es etwas "angestellt" hätte. (Und alleine die Tatsache, daß das rechtlich möglich ist, zeigt ja auch, daß die Gesellschaft diese Prioritäten akzeptiert und sogar unterstützt.)

In dem Fall unten ist das Kind ja nicht mal nur Zeuge, sondern auch Opfer und demensprechend traumatisiert. Da muß man als Mutter (weil ein Kind das noch nicht kann - auch mit 15 nicht) abwägen:
* Wie würde mein Kind einen Prozess durchstehen?
* Wie groß ist die Chance, daß das Ergebnis eines Prozesses das Trauma reduziert?
* Oder würde ein Prozess (und das potentielle Ergebnis) das Trauma gar vergrößern?
* Wie groß ist demgegenüber das Interesse der Gesellschaft, diesen Kerl aus dem Verkehr zu ziehen?
* Welche Hilfen gäbe es für mein Kind, falls wir uns zu einer Anzeige entschließen?
* Was sind die Konsequenzen für das Kind und für uns als Familie?
* Ja, und auch: Was würde das mit mir machen, falls ich von anderen Taten erfahre?
* Und in der Konsequenz natürlich weitergehend: Was würde es mit meinem Kind, dem Opfer, machen, wenn es von weiteren Opfern erfährt?

Nochmal: Ich bin an der Stelle Anwältin meines traumatisierten Kindes, und nicht Anwältin der Gesellschaft oder der Allgemeinheit. Die Gesellschaft macht mir als Anwältin meines Kindes die Entscheidung, Anzeige zu stellen, leichter, wenn sie mehr/bessere Hilfen anbietet und guten Opferschutz betreibt. Insofern kann man die "Schuld" dann weiterreichen an die Gesellschaft: Wenn sie es nicht auf die Reihe bekommt, Opfer sexueller Gewalt angemessen zu schützen und weitere Traumata durch den Prozess zu verhindern, dann braucht sie auch nicht mit der Kooperation der Opfer zu rechnen.

Um es mal zu überspitzen:
In Deutschland, wo sich Organisationen wie Zartbitter um Opfer kümmern, wo die Polizei im Großen und Ganzen informiert und sensibilisiert ist, wo es gerade für jugendliche Zeugen besondere Hilfen und Unterstützung gibt, wäre ich eher zu einer Anzeige bereit als in - sagen wir mal - Iran, wo das Opfer noch zum Täter gemacht wird, weil es den Täter ja sicher provoziert hat und Frauen sowieso an allem sexuell Bösen schuld sind.
Aber letztendlich ist es eine individuelle Abwägung, die dem Opfer (bzw. den Erziehungsberechtigten des Opfers, wenn dieses noch ein Kind ist) vorbehalten sein MUSS.

Rein rechtlich ist es ja in Deutschland so, daß die Verjährung für sowas erst einsetzt, wenn das Opfer volljährig geworden ist. Mit solchen Gesetzen wird genau diesen Überlegungen Rechnung getragen - und ich halte das für berechtigt.

In dem Zusammenhang noch was zu dem Posting, in dem die Parallele zum Mobbing gezogen wurde.

In einer idealen Welt klappt das so:
Nach einem sexuellen Übergriff wird der Täter sofort sozial geächtet und aus seinem Umfeld entfernt. Danach kann das Opfer weiterleben, als ob niemals etwas passiert wäre, ohne zusätzlich zum Trauma des Übergriffs auch noch Veränderungen an seinem Umfeld ertragen zu müssen.
Leider klappt das so nicht. Und es wird niemals so klappen, weil die Welt nicht schwarzweiß ist und weil die Menschen nicht so funktionieren.

Deswegen ist es oft für das Opfer sinnvoll, woanders neu anzufangen - auch wenn das nach einer "Strafe" für das Opfer aussieht. Tatsache ist nämlich, daß sich für das Opfer sowieso vieles - wenn nicht sogar alles - ändert. Das Leben des Opfers wird sowieso niemals mehr so sein wie vorher. Es wäre schön, wenn das ginge - aber das ist unrealistisch. Das kann die Gesellschaft auch nicht herstellen. Denn die größten Veränderungen für das Opfer finden sowieso in Bereichen statt, auf die die Gesellschaft keinen Einfluß hat - in der Seele.

 
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