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von Leena  am 06.11.2014, 13:32 Uhr

Thema in der Familie...

Vielleicht ist das auch ein springender Punkt bei dieser ganzen Diskussion, inwieweit das Dritte Reich, der Zweite Weltkrieg und die anschließende Nachkriegszeit in der Familie "Thema" war...

Meine Mutter stammt aus dem heutigen Polen, mein Vater aus dem Großraum Berlin, sie haben allerdings beide Flucht und Vertreibung miterlebt und dieses "die Russen kommen". Die Großmütter meines Vaters wurden bei von russischen Soldaten vergewaltigt - die eine zu Hause, die hat sich später dann selbst erhängt, die andere unterwegs auf der Flucht... die andere ging offenbar sehr viel pragmatischer damit um. Die Mutter meiner Mutter wurde auf der Flucht mehrfach vergewaltigt, teilweise auch vor den Augen der Kinder... ja, ich glaube, das hat meine Mutter extrem geprägt. Meine Großmutter hatte immer wieder sehr depressive Phasen.

Aber sowohl für meine Mutter als auch für meinen Mann ist mit dem Krieg die Welt, wie sie sie kannten, quasi "untergegangen" und alles war danach komplett anders.

Allerdings ist mein Vater sehr anders mit der Thematik umgegangen als meine Mutter, glaube ich - er hat mir öfters vom Krieg erzählt, aber mehr als "Normalität im Kinderleben", mehr als Kind mit großen Augen, das zugeschaut hat - bei allem möglichen und unmöglichen. Er hat auch seinen Vater nach dessen Zeit als Soldat befragt - und mein Großvater hat auch geantwortet, ohne Ohrfeigen o.ä. Von sich aus erzählt hat mein Großvater aus dieser Zeit allerdings nie - meistens erzählte er von seiner Kindheit und Jugend in Weststernberg... Mein Vater war auch sonst immer derjenige, der mir Dinge wirklich erzählt hat, die dunklen Familiengeschichten etc. kenne ich nur von ihm - meine Mutter hat sich immer darüber aufgeregt, er durfte mir sowas eigentlich gar nicht erzählen...

Meine Mutter war der "Augen zu und was ich nicht sehe, das gibt es nicht"-Typ, und genau das hat sie uns Kindern auch vorgelebt. Über unerfreuliche Dinge spricht man nicht, Punkt.

Ich glaube, dieses Negieren und diese Selbst-Zensur hat mich aber leider viel mehr geprägt als die pragmatische Redebereitschaft meines Vaters... als Kind habe ich halt immer bei meiner Mutter gespürt, dass die Welt, die ich empfand, und die Welt, wie sie lt. meiner Mutter war, nicht deckungsgleich war - und entsprechend immer an mir gezweifelt. Es kam erst viel später, ab Teenager-Alter etwa, dass mein Vater mir manche Dinge doch noch erzählt hat...

Heute macht es mich fast wütend, vor allem auf meine Mutter, wie viel von der "Familiengeschichte" ich selbst heute noch quasi als "Last" mit mir herum schleppe, wie sehr ich mich selbst in diesem Artikel wiedererkenne, obwohl ich doch nun wirklich mehrere Jahrzehnte nach Kriegsende erst geboren wurde. Diese Großfamilie mit ihrem bedingungslosen Zusammenhalt, die ich früher als Kind immer als hehres Ideal vorgelebt bekam - die empfinde ich heute als verlogen, als "schöner Schein", als extremen Widerspruch zwischen dem Bild, das nach außen vermittelt wurde, und dem tatsächlichen Zustand im Inneren. Man regelte die Dinge eben unter sich, nach eigenen Regeln. *würg*

Vielleicht ist es im Grunde genau das, was ich meiner Mutter vorwerfe - dass sie einerseits eindeutig auch so ein Nachkriegskind ist, wie in dem Artikel beschrieben, dass sich bedingungslos und ohne zu fragen um ihre Mutter und andere Verwandte dieser Generation kümmerte - andererseits aber genau das genau so auch von meiner Schwester und mir erwartete und einforderte. Es hat nicht funktioniert. :-(

Vielleicht kann ich ansatzweise, und gerade durch die Beschäftigung mit diesem Thema, irgendwo ein wenig nachvollziehen, warum meine Mutter so geworden ist, wie sie ist. Aber ich bin definitiv (noch?) nicht so weit, dass ich nachvollziehen kann, warum sie all das nie irgendwie in Frage gestellt hat, warum sie nie versucht hat, manche Muster zu durchbrechen... statt alles nochmal wiederholen zu wollen.

Demgegenüber staune ich in der Familie meines Mannes bei meiner Schwiegermutter immer wieder, wie wenig die 30er und 40er Jahren im Leben meiner Schwiegermutter irgendwie "Eindruck gemacht" haben oder "bleibende Spuren hinterlassen" o,ä. ... nein, irgendwie anscheinend extrem wenig. Sie kommt aus einem winzigen Kuhkaff im tiefsten Sauerland, ihr Vater musste nicht in den Krieg, die Familie hat vorher und nachher in demselben Ort in demselben Haus mit denselben Nachbarn gewohnt, gut, sie erinnert sich an ein paar Umzüge von Uniformierten durch ihren Heimatort, die sie aber anscheinend, so, wie sie jetzt darüber spricht, nicht wirklich anders empfunden hat als die regelmäßigen uniformierten Umzüge vom örtlichen Schützenverein. Okay, sie hat Hunger und Lebensmittelknappheit miterlebt - aber beides gab es dort bei ihnen offenbar vorher schon und war insoweit "normal" und "nichts besonderes". Gut, nach dem Krieg kamen dann ein paar Flüchtlingsfamilien - meine Schwiegermutter wundert sich heute noch, dass Menschen, die weder aus dem Sauerland stammen noch katholisch sind, im Grunde auch nur ganz normale Menschen sein können... ;-)

 
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