Rund um die Erziehung

Rund um die Erziehung

Fotogalerie

Redaktion

 

Geschrieben von Hase67 am 19.06.2009, 10:46 Uhr

Gewagte These?

Hallo Vio,

so 1:1 kann man deine These sicher nicht stehen lassen. Fakt ist aber, dass Kinder, die bewusst "schreien gelassen" werden, weil das angeblich die Lungen stärkt, sie auch mal lernen müssten zu warten und ähnlicher wilhelminischer Unfug, dazu führt, dass das Stress-System dieser Kinder schon zu einem Zeitpunkt aktiviert sind, wo sie noch komplett auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Die Folge ist nicht selten (natürlich nicht immer, weil nicht jeder Mensch gleich ist), dass diese Kinder später eine gestörte Stress-Regulation entwickeln, weil sie schon von frühester Kindheit an darauf "geeicht" wurden. In akuten Stress-Situationen wird dann sehr viel schneller und in höherer Menge Cortisol ausgeschüttet, das auf die Gehirnentwicklung und die Verschaltung der Synapsen negative Auswirkungen hat. Säuglinge, um die man sich - auch wenn es anstrengend ist - immer schon nach kurzer Zeit kümmert und ihr Bedürfnis wahr nimmt (auch wenn es "nur" das Bedürfnis nach Zuwendung ist, also Langeweile und der Wunsch nach Kontakt, wo ein Baby ja nicht selbst Abhilfe schaffen kann), zeigen statistisch gesehen später keine "Verwöhntheitssymptome", sondern am ehesten eine gesunde Gehirnentwicklung. Das ist kein psychologischer Schnickschnack, sondern wissenschaftlich erhärteter Fakt.

Nun gibt es natürlich Situationen, wo es absolut nicht möglich ist, sich um das Kind zu kümmern (weil noch Geschwister da sind, deren Bedürfnis gerade dringender ist oder weil eine akute Notsituation ansteht). Da ist es sicher legitim, das Kind auch mal sich selbst zu überlassen. Aber das sollten Ausnahmen sein und keinesfalls die Regel, weil man aus irgendwelchen überholten Vorstellungen (oder aus persönlicher Bequemlichkeit) heraus meint, das Kind jetzt zum "Parieren" zwingen zu müssen. Natürlich passen sich die Kinder an (sie haben ja keine andere Wahl), aber optimal ist was anderes. Und natürlich ist das Gehirn bis ins hohe Alter plastisch und kann auch später noch in der Kindheit entstandene Schäden kompensieren, aber es wird schwieriger und langwieriger.

Was ich oben mit den Stressreaktionen schrieb, ist übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen, ich lese gerade "Das Gedächtnis der Gene" von Joachim Bauer. Da sind diese Zusammenhänge sehr gut und einleuchtend beschrieben. Bauer ist eine anerkannte Größe in Sachen Neurobiologie und zitiert in dem Buch Erkenntnisse vieler namhafter Neurobiologen, Psychologen, Psychiater und Pädagogen. Ich bin jedenfalls begeistert.

Aber zurück zu deinem Punkt: Kinder, auf deren Bedürfnisse man nicht hört, lernen natürlich irgendwann, diese zu unterdrücken. Sicher nicht immer entwickeln sich aus solchen Kindern aufsässige Charaktere, die auf Durchzug schalten - manche implodieren auch und werden depressiv, entwickeln Ersatzstrategien (diverse Süchte o.ä.) oder kompensieren sonstwie das Defizit, das sie erfahren haben. Ein Defizit entsteht aber ganz sicher, da besteht medizinisch erwiesen kein Zweifel.

LG

Nicole

 
Unten die bisherigen Antworten. Sie befinden sich in dem Beitrag mit dem grünen Pfeil.
Die letzten 10 Beiträge
Mobile Ansicht

Impressum Über uns Neutralitätsversprechen Mediadaten Nutzungsbedingungen Datenschutz Forenarchiv

© Copyright 1998-2024 by USMedia.   Alle Rechte vorbehalten.