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Geschrieben von Feelix am 02.05.2008, 12:20 Uhr

Amphetamine für Kinder mit AD(H)S

Hallo zusammen!

Ein Thema, auf das ich bei "Rund-ums-Baby" immer wieder – wenn auch meist nur in Nebensätzen – stoße, und um das ich bisher (ich gebe besser gleich zu: leicht schaudernd) einen grooßen (;-) Bogen gemacht habe, ist die gewohnheitsmäßige Gabe von bewusstseins-/wahrnehmungsverändernden Substanzen - Amphetaminen - an Kinder(Methylphenidat, „Ritalin“).

Ich verstehe in diesem Zusammenhang ein paar Dinge nicht, und ich dachte, ich könnte heute mal damit beginnen, das zu ändern. :-)

...

Soweit ich weiß – und bei Wikipedia erfahren konnte - stützt sich diese Vergabe von Amphetaminen bei angenommenem AD(H)S an Kinder auf zwei „Hypothesen“ (Hm, das heißt: es könnte auch ganz anders sein? – oder habe ich da etwas falsch verstanden? … Oder gibt der Wikipedia-Artikel hier nicht den neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse wieder …?):


Aus: Wikipedia (Artikel zu „Ritalin“)

„Eine Hypothese besagt, dass bei ADHS bestimmte Bereiche im frontalen Gehirn, die u.a. Impulse kontrollieren, weniger aktiv seien und durch Stimulanzien angeregt würden, wodurch das Gehirn seine Kontrollfunktionen besser wahrnehmen könne.

Laut einer weiteren Hypothese weisen Menschen mit ADHS eine erhöhte Anzahl und Aktivität von sog. Dopamin-Transportern auf. Dieses Rücktransportsystem der Nervenzellen sauge das von diesen Nervenzellen in den synaptischen Spalt freigesetzte Dopamin wie eine Art „Staubsauger“ wieder auf. Methylphenidat blockiere dieses Rücktransport-System vorübergehend, das heißt in aller Regel für drei bis fünf Stunden. Dadurch werde ein Zustand erzielt, der annähernd dem Funktionszustand von Menschen ohne ADHS entspreche, das heißt, die Verfügbarkeit des Dopamins werde verbessert.“


Als Nebenwirkungen für den Körper (die, wenn ich richtig interpretiere, nicht „bloß“ hypothetischer Natur sind …) werden u. a. aufgeführt: Wachstumsstillstand (während des Zeitraums der gewohnheitsmäßigen Einnahme), Rückgang des Appetits (diese Nebenwirkung verliert sich lt. Artikel nach wenigen Monaten), Magenprobleme (da bei der Auflösung von Methyphenidat in Wasser angeblich Salzsäure entsteht), Erhöhung der Herzfrequenz (Herzinfarktrisiko bei Kindern).

Als psychische Nebenwirkungen werden aufgeführt:

„Einige Patienten können durch die Einnahme von Methylphenidat vorübergehend oder andauernd empfindsamer, „weinerlicher“ und auch gereizter und aggressiver werden, dies kann bis hin zu depressiven Zuständen führen. Patienten, die Methylphenidat einnehmen, klagen bisweilen darüber, dass sie „ganz anders“, „gar nicht mehr sie selbst“, „zu ernst“ , "wie eine Maschine" seien, dass ihnen bestimmte Dinge nicht mehr so viel Spaß wie früher machten oder dass sie nur mit der Tablette „brav sein“ könnten. […] Häufig geben Betroffene auch an, jetzt Zusammenhänge und belastende Lebensumstände oder Ausgrenzung stärker zu spüren. Dies ist dann weniger eine Nebenwirkung als vielmehr eine andere Wahrnehmung. Hier ist eine therapeutische Begleitung und Informationsvermittlung, häufig aber auch eine antidepressive Begleitmedikation erforderlich.“


Angesichts des - in meinem bisherigen (!) Verständnis - nicht eindeutig geklärten Verhältnisses von Vor- und Nachteilen (Nutzen und Risiko) bei der Gabe von Amphetaminen an Kinder, wundere ich mich zum einen, weshalb das Thema hier von Müttern zwar nicht selten beiläufig erwähnt wird (meist in der Art von: „ … hat die ‚Medis’ gegen AD(H)S genommen“, „… hat auch AD(H)S und muss seine/ihre ‚Medis’ nehmen“), aber noch nie, zumindest nicht, seit ich „hier“ bin, diskutiert wurde.

- Und ich frage mich und hier nun in dreister Neugier, ob und inwieweit jene Mütter das Thema, wenn schon nicht öffentlich in diesem Internetforum, so doch in fachlicher Umgebung (Kinderarzt) und im direkten familiären Umfeld (mit dem Vater, den älteren Geschwistern) - diskutiert haben und wie die Diskussion verlief … Was letztlich den Ausschlag für die Entscheidung pro Amphetamine gab?

- Oder muss in Deutschland (?) bereits gar nicht mehr diskutiert werden, bevor ein Kind von seinen Eltern (resp. "seinem" Arzt) die erste Amphetamin-Tablette zu schlucken bzw. ins Essen beigemengt bekommt und „die Medi“ per Sprachregelung – so jedenfalls mein Empfinden beim Lesen mancher Beiträge in diesem Internetforum - quasi freundlich-einladend der Rang eines weiteren Familienmitglieds eingeräumt wird, das nun halt auch nett dabei ist …?

- Welcher Leidensdruck wird dabei wie abgewogen? Der der Kinder (gibt es ihn ohne Amphetamine? Gibt es ihn - für die Kinder - mit Amphetaminen, "nur" auf eine andere Weise ...) gegen den der Eltern? Der Leidensdruck der Eltern (gibt es ihn nicht, wenn die Kinder Amphetamine bekommen? Kann man ausschließen, dass er andere Ursachen haben, also auch anders "behandelt" werden könnte?) gegen den der Kinder?

- Kann bzw. mag jemand von den Vätern oder Müttern, die ihrem Kind Amphetamine geben, beschreiben, ob und welche Erfahrungen sie mit den Nebenwirkungen bei ihrem Kind machten? (Oder ist der Wikipedia-Artikel in diesem Punkt unseriös/tendenziös? Oder bedeutet "Einige Patienten": "So gut wie keine"?)

- Und wie sie mit diesen Erfahrungen – auch im Gespräch mit ihren Kindern (und deren Fragen: „Weshalb wachse ich nicht?“, „Weshalb klopft mein Herz so schnell?“, „Weshalb finde ich alles so traurig“, „Warum mag mich niemand?“ … -- oder gibt es diese Fragen nicht?) – umgehen?


In der Hoffnung, vielleicht ja bald besser "verstehen" zu können, mache ich mich mit diesem Posting nun auch (noch ;-) im Aktuell-Forum breit ...


Danke und liebe Grüße, Feelix

 
19 Antworten:

Re: Amphetamine für Kinder mit

Antwort von 3 mal mami am 03.05.2008, 6:45 Uhr

Also ich kann jetzt nur von mir bzw meiner tochter sprechen...

meine tochter hat ADS
bekommt nach langen untersuchungen und test seit oktober letztens jahres methylphenidat,seit 2 Wochen retardkapseln.
bei uns sind keine nebenwirkungen aufgetreten

wir wurden aber über die nebenwirkungen aufgeklärt.

ich denke warum keine mutter hier das näher beschreibt ist einfach der:

Man stößt als mutter von einem AD(H)S Kind immer wieder auf vorurteile und sogar vorwürfen gegen diese medikamente.

sich ständig dafürzu rechtfertigen ist mühsam darum habe ICH als Mutter mittlerweile die haltung dass ich mich nicht mehr rechtfertige uns hilft es , wir haben keine nebenwirkungen und meine tochter ist glücklichund spürt die verbesserung auch bewusst.

es war für UNS und vor allem für SIE die richtige entscheidung das ist die hauptsache ... ADS ist eben sehr komplex und individuell man müsste zu sehr ins detail gehen um verständlich zu machen warum man sich FÜR ein medikament entschieden hat. wir haben es einfach versucht und wwir haben erfolg damit meine tochter hat sogar ihr ziel in die realschule zu kommen erreicht was ohne das medikament nie möglich gewesen wäre... das ist fakt

aber eins ist auch sicher...
es reicht nicht wenn man nur das medikament gibt und abwartet man selbst als mutter bzw die eltern müssen sich darauf einstellen müssen lernen mit dem verhalten des kindes umzugehen , was uns nach der diagnose um einiges leichter gefallen ist.
Man muss sein kind unterstützen und herausfnden wie man ihm am besten hilft sei es mit verständnis mit konsequenz oder einfach auch mal in ruhe lassen... das muss man für dich rausfinden

wie gesagt wir haben keine nebenwirkungen festgestellt was häufiger vorkommt sollen ja appetitlosigkeit und der gleichen sein aber das haben wir alles nicht zudem wird unsere tochter in regelmäßigen abständen untersucht

EKG,Blut, Größe,Gewicht usw

ich für mich kann nur sagen wir sind den richtigen weg gegangen und deswegen rechtfertige ich mich vor anderen nicht mehr, obwohl ichschon kritikfähig bin aber bei sätzen wie: *ach wird sie ruhig gestellt * verdrehe ich nur noch die augen und denkemir meinen teil... und ich entscheide dann kurzfristig ist es mir bei dieser person jetzt wert ihr das zu erklären oder nicht?

lehrern und familie oder freunden das zu erklären macht sinn...leuten die man nur mal abund zu trifft erkläre ich das nicht wozu auch sollen die denken was sie wollen. manche behalten ja ihre meinung egal was man ihnen versucht zu erklären das ist einfach mühsam...

nunja ich hoffe ich habe das thema nicht verfehlt

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Ich habe meine eigene Theorie

Antwort von Hofi2 am 03.05.2008, 7:14 Uhr

zu AD(H)S: Ich höre oft von dieser Krankheit, bei uns auf dem Dorf allerdings nie. Bei uns sind Kinder noch "normal", wenn sie laut, wild und zappelig sind. Meist können sie sich im Unterricht aber einigermaßen konzentrieren, da sie in den Pausen klettern, toben etc. (unsere Schule wurde als bewegungsfreudige Schule ausgezeichnet). Auch nachmittags klettern die Kinder hier auf Bäume, fahren mit dem Fahrrad durchs Dorf, gehen durch den Dorfbach und fangen Kleintiere... Eben das, was wir früher auch gemacht haben, was aber heute nicht mehr selbstverständlich ist.
Die Kinder, die ich mit ADHS kenne, komme aus der Stadt und müssen ständig Rücksicht nehmen und leise sein - in der Mietwohnung, auf dem dazugehörigen Spielplatz, in der Schule...
Vielleicht kommt die Zappeligkeit auch einfach daher?! Wie gesagt, nur eine Theorie von mir. Und nochwas: meine Freundin kommt aus Italien und dort gibt es ADHS gar nicht?!
Nicole

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Re: Amphetamine für Kinder mit

Antwort von hexe81 am 03.05.2008, 7:22 Uhr

Hallo,


danke für deinen interessanten Beitrag. Leider kann ich dir keinerlei Antworten zu diesem Thema geben, da ich selbst keine Erfahrungen in diesem Bereich habe. Mir geht es aber ähnlich, wenn ich von diesem Thema höre oder lese.

Irritiert bin ich zum einen von der relativ schnellen und für meine Begriffe
gesellschaftlich (möchte niemanden persönlich angreifen - bestimmt machen sich viele Eltern Gedanken darüber) relativ unreflektiert akzeptierten Medi-Gabe bei diesem Krankheits (?) - Bild. Angesichts der Tatsache, dass bisher nicht wirklich bewiesen werden konnte, dass diese Symptomatik wirklich krankhaft ist und den möglichen Nebenwirkungen tue auch ich mir schwer mit dem Gedanken, ansonsten gesunden Kindern solche Medis zu geben.

Was mich weiterhin bei dem Thema irritiert ist Folgendes: AD(H)S ist ein derart großes Thema geworden, dass ich fast den Eindruck bekomme, dass jedem Kind, das motorisch oder psychisch unruhig oder unkonzentriert ist oder das sich aggressiv verhält, diese Krankheit zugeschrieben wird. Wenn ich mir die Symptomatik dieser Krankheit anschaue, und ein paar bekannte Kinder gedanklich durchgehe, könnte man bei entsprechender Deutung ihres Verhaltens auch auf den Gedanken kommen, sie hätten ADHS. Was ist mit den anderen möglichen Ursachen? Unruhe, Unkonzentriertheit und Aggressivität kann mit vielen Ursachen zusammenhängen - vielleicht ist das Kind körperlich unausgelastet oder hat Probleme? Vielleicht liegt es nicht an ADHS, dass das Kind sich nicht konzentrieren kann sondern an seelischen Belastungen? Zudem gibt es ja ruhigere und eher sehr aktive Kinder...
... mir ist die ganze Thematik jedenfalls etwas suspekt und ich verstehe manches nicht. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht genug drin in dem Thema, deshalb fände auch ich Antworten auf deine Fragen von betroffenen Elternteilen hilfreich.

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@Hofi2

Antwort von Feelix am 03.05.2008, 8:42 Uhr

Hallo Hofi2!

Ich finde Deinen Beitrag und die Beobachtungen darin hochspannend!

Müsste sich dieses (Groß-)Stadt : Land (Dorf)- Gefälle nicht recht präzise ermitteln lassen? Gibt es denn inzwischen eine Art "geografische Karte" zu AD(H)S-Diagnosen? Oder hast Du eine Idee, ob (statistische Übersichts-)Daten, die Deine Theorie stützen, bereits irgendwo ermittelt worden sind?

Liebe Grüße, Feelix

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Ja, hexe81 ...

Antwort von Feelix am 03.05.2008, 8:58 Uhr

... "suspekt" trifft sehr gut das Gefühl, das auch ich bei der Konfrontation mit dem Thema habe ...

Und darüber, dass bisher (!) nicht bewiesen werden konnte, dass "AD(H)S" tatsächlich (genau) die Störungen zugrunde liegen, für die dann Amphetamine helfend einspringen sollen -- sich also sowohl Diagnostik als auch Medikation in einer "Könnte so, könnte aber auch ganz anders sein ..."-Sphäre bewegen -- stolpere ich auch immer wieder und ich wundere mich, weshalb betroffene Mütter angesichts dieser ungesicherten Lage (... Oder ist sie das nicht mehr und ich bzw. "Wikipedia" haben die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse schlicht noch nicht zur Kenntnis genommen?!) bei der Gabe bewusstseins-/wahrnehmungsverändernder Substanzen an Kinder nicht mindestens so beunruhigt sind, wie ich es als nichtbetroffene Mutter bin ...

Liebe Grüße, Feelix

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3 mal mami, Du hast das Thema ganz und gar nicht "verfehlt " ... :-)

Antwort von Feelix am 03.05.2008, 9:08 Uhr

... und ich danke Dir für Deine Erklärung, obwohl Du längst erklärungs- bzw. rechtfertigungsmüde bist.

Aber ist es vielleicht nicht das schlechteste Zeichen "für uns alle" ist, dass wir "aufeinander aufpassen" und Du Dich für die regelmäßige Drogengabe an Dein Kind (noch?) rechtfertigen musst? Ich finde schon ... (und hoffe sehr, Du verstehst, wie ich es meine.)

Liebe Grüße, Feelix

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Meine Meinung

Antwort von Stryla am 03.05.2008, 10:41 Uhr

AD(H)S hat es schon immer gegeben in der Geschichte der Menschheit sonst wäre so eien Geschichte wie der "Zappelphilipp" niemals geschrieben wurde. Folglich ist für mich klar: diese Krankheit gibt es. Und es wird wohl weine ganz klar organische Krankheit sein.

Leider scheint diese Krankheit Symptome zu besitzen die auch auf andere Krankheiten und Zustände passen können, sodass es schwierig isat zu sehen, we hat es, we hat es nicht oder was anderes? Das ist die Problematik in meinen Augen. Wie gut diagnostizierbar diese krankheit ist weiss ich nicht.

Aber es ist für mich auch ganz klar, dass leider viele Eltern, gerade aus Familien wo Kinder sich anpassen müssen, ruhig sein müssen, keinen Auslauf haben, etc, denken ihr Kind hat AD(H)S obwohl es eigentlich ein kleiner Wildfang ist und das MKonzentrationsproblem vielleicht anderer Natur ist. Diese Kind werden dann einfach mit über einen Kamm geschert, weil es halt ein Mittelchen gibt und alle Sorgen sind weg. Wobei ich noch nicht mal glaube, dass die Eltern die Schuld tragen, sondern auch die Erzieher/innen und Ärzte.

Viele Menschen dagegen hinterfragen die Aussagen der Ärzte nicht, sondern nehmen alles hin. Kenne das sogar aus meinem Bekanntenkreis und der Mann hat studiert. Der ist 2 Jahre lang von A Reha zu Reha. Warum ihn sein Arzt nicht zum CT geschickt hat, weiss ich nicht. Ich habe ihm gesagt, vielleicht kommt es vom Rücken, seine Antwort "Nene, das ist eine Muskelverspannung. Ich soll jetzt öfter mal Rad fahren". Auf die Idee einen anderen Arzt zu fragen ist der nie gekommen, bis ich ihn überredet habe. Dieser Artz meinte dann, das wäre nur psychisch, er müsse nichts tun. Wie gesagt nach 2 Jahren konnte er plötzlich nicht mehr gehen, Not-Op.

Das soll jetzt kein Vorwurf an Eltern sein, die meisten werden bestimmt alles gründlichst untersuchen bevor sie Medikamente geben. Kenne aber halt auch leider auch ganz andere, die z.B. ihrem Baby ein bisschen Vodka in die Flasche tun, damit es besser schlafen tut. Begründung: "Wie hätten meine Eltern im Krieg mich ruhig gehalten, wenn nicht so?"

Wie gesagt will keinen angreifen, bin mir ganz sicher, dass die Eltern die genaue Tests machen wirklich AD(H)S-Kinder haben und das Richtige tun, da es die Krankheit ja gibt, nur trotzdem fällt auf, dass auf einmal so ziemlich jedes Kind AD(H)S hat.

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Re: Ich habe meine eigene Theorie

Antwort von +emfut+ am 03.05.2008, 11:02 Uhr

Fumi hat ADS ohne Hyperaktivität.

Ja, sie braucht regelmäßige Bewegung, aber die bekommt sie auch, obwohl wir in einer Großstadt leben. Sie ist im Sportverein, sie geht auf eine Schule mit rythmisiertem Ganztagsunterricht, wo sie zwischen den Schulstunden Bewegungszeit hat und jeden Tag Sport. Aber: Das heilt ihre ADS nicht. Es hilft ihr, besser damit umzugehen, aber es ist keine Heilung. Deswegen nimmt sie "trotzdem" Methylphenidat.

Meine Nichte hat ADHS und der zusätzliche sportunterricht und der Sportverin fast jeden Nachmittag reicht ihr. Es kommt wohl auf die Schwere der Störung an.

Aber: In meinen Augen ist der wichtigere Faktor, daß die Kinderarztdichte in der Großstadt höher ist. Da muß man ja was bieten, wenn man "Kunden" haben möchte. Bei uns werden Kinderärzte, die "gerne" AD(H)S diagnostizieren, unter den Eltern gehandelt.

Mein "Vorwurf" geht also eher an die Ärzte als an die Eltern. Denn: Ich nehme den Eltern unbesehen ab, daß sie überfordert und verzweifelt sind. Sie suchen nach Hilfe - und finden Medikamente. Klar: Medis sind im Zweifel leichter zu verteilen udn billiger als spezielle Förderung an den Schulen, als Erziehungshilfen und Therapien.

Ich bin mir bewußt, daß die Diagnose auf AD(H)S nicht selten völlig unberechtigt ist. Und gerade WEIL ich betroffen bin, ärgert das mich - weil m.E. genau das dazu führt, daß echte AD(H)S nicht ernst genommen wird.

Ich erfahre viel Unverständnis, dabei entspricht Fumi mit der ADS ohne H nicht mal dem gängigen Zappelphilipp-Bild des betroffenen Kindes. Sie geht nicht über Tische und Bänke und ist auch nicht aggressiv. Deswegen war MEIN Leidensdruck als Mutter tatsächlich kaum vorhanden. Ich hätte Fumi einfach durchlaufen lassen können. Vieren in der dritten Klasse, Hauptschulempfehlung - kein Thema, sie hätte so weitermachen können, MIR hat es nicht persönlich weh getan. Den Leidendruck hatte Fumi, weil sie total unglücklich war mit der unglaublich hohen Diskrepanz zwischen ihrem Können und ihrem Potential. Die Prognose der Psychiaterin war: Hauptschule, Unterforderung, Schulabbruch, gescheiterte Existenz. Wenn sie nicht vorher schon vom Balkon gesprungen wäre oder (illegale) Drogen genommen hätte.

Tatsachen sind:
Erstaunlich viele erwachsene Menschen mit Depressionen haben oder hatten AD(H)S.
Eine unbehandelte AD(H)S führt in einem signifikant hohen Prozentsatz der Betroffenen zum Konsum vom illegalen Drogen.
Auch die Selbstmordrate ist signifikant erhöht.

So, jetzt stehe ich als Mutter also da und habe die Wahl zwischen dem Teufel und dem Beezlebub: Methylphenidat oder Selbstmord?
Für mich war diese "Wahl" sehr real, denn ich habe Fumi - damals 8 - vom Balkongeländer gepflückt.

Und TROTZDEM haben wir es lange und immer wieder ohne Medis versucht. Letzten Herbst hatten wir das Methyphenidat ausgeschlichen, es ging ihr auch eine Weile gut damit. Aber jetzt rutscht sie wieder ab, und wir werden wieder damit anfangen.

Und dann noch, um das Thema mit den Antidepressiva hierherzuholen - obwohl ich das eigentlich ungern tue:
Ich nehme seit Jahren Antidepressiva. Die bewußtseinsverändernde Wirkung der Antidepressiva wirkt "langfristiger" als bei Methylphenidat, weil es Depotmedikamente sind. Wenn ich einen Tag meine Medis nicht nehme, merke ich das kaum. Wenn Fumi einen Tag die Medis nicht nimmt ist es, als ob sie nie Medis genommen hätte.

Wenn ich einen Partner hätte, der Depressionen hat, würde ich ihn jeden Tag an die Antidepressiva erinnern. Ich vermute mal Du, Feelix, hast noch nie einen unmedikamentierten Menschen mit echten Depressionen erlebt? Das ist - auch für einen (liebenden) Partner - kaum zu ertragen. Und zwar nicht (nur), weil man als Partner sozusagen unter den Launen leidet. Sondern auch, weil man seinen geliebten Partner bei einem Leid zusieht, das man sich kaum vorstellen kann.
Wieder die Wahl zwischen dem Teufel und dem Beezlebub? Wahrscheinlich.

Was nützt mir ein schickes Original-Bewußtsein, wenn ich tot unter'm Auto liege?

Ich glaube übrigens nicht, daß ich mich sehr verändert habe. Während meiner Depressionen war ich stärker verändert - ich habe die ja nicht immer gehabt. Insofern könnte man sagen, daß die Medis meinen "Original-Zustand" wieder hergestellt haben.

Und so sehe ich auch das Methyphenidat bei Fumi: Die Medis stellen den Zustand her, der in Wirklichkeit unter der ADS liegt und den die ADS nicht rausgelassen hat. Denn: Fumi hat sich ja von allen am meisten geärgert darüber, daß sie nicht so sein konnte wie sie wollte. Sie WOLLTE organisiert, konzentriert und aufmerksam sein, sie KONNTE es nur nicht. Sie konnte ihr Potential nicht ausschöpfen - und ich glaube, es gibt kaum etwas Schlimmeres für einen Menschen, als wenn man sein Potential nicht ausschöpfen kann.

Es gibt noch so viel, was mir zu dem Thema im Kopf herumschwirrt. Aber ich belasse es jetzt mal dabei, es ist lang genug.

Gruß,
Elisabeth.

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@emfut

Antwort von Feelix am 03.05.2008, 12:10 Uhr

Hallo emfut!

Ich danke Dir für Dein ausführliches Posting "im Erklärmodus“ (:-) und hätte weitere Verständnisfragen, die Du nur beantworten solltest, wenn Dir (überhaupt noch ;-) danach ist …

Du skizzierst hier den Weg der AD(H)S-Diagnostik, den Deine Tochter auf ihrem Weg zum und mit Methylphenidat genommen hat. Und kurioserweise spielst Du dabei – ohne es zu merken? - die dokumentierten Nebenwirkungen von Methylphenidat (s. „Wikipedia“) mit den Symptomen von „AD(H)S“ aus, und ich sorge mich nun – offen gestanden - einmal mehr um die grundsätzliche wissenschaftliche Haltbarkeit in puncto Diagnostik und darauf abgestimmter Therapie mit Amphetaminen … Denn glaube ich den Ausführungen von Wikipedia, ist ein „maschinenhaftes“ Funktionieren, ein subjektives Gefühl dauerhaften grundlosen Traurigseins, ein verfälschtes Wahrnehmen im zwischenmenschlichen Zusammenspiel bis hin zu paranoiden Tendenzen ... in meinem Verständnis nicht weniger ein Auseinanderklaffen von möglichen und gelebten Potentialen im inneren Erleben meines Kindes. Kannst Du den Widerspruch sehen?



Du schreibst, Du glaubst nicht, dass Du Dich durch die Einnahme von Antidepressiva stark verändert hat, und vermutest das – da bei Methylphenidat quasi „noch nicht einmal“ eine Depotwirkung angenommen werden muss – für Fumi ebenso. (Oder habe ich Dich in diesem Punkt falsch verstanden …?)

Nun, prinzipiell halte ich eine Beurteilung der Veränderung der eigenen Persönlichkeit durch Einnahme von bewusstseins-/wahrnehmungsverändernden Substanzen w ä h r e n d der Einnahme bewusstseins-/wahrnehmungsverändernden Substanzen (methodologisch, wenn Du so willst …) für (wenigstens) problematisch. Auch wenn ich bei Dir emfut (:-) die allerwenigsten Probleme hätte, mir diese quasi-objektive Beurteilung theoretisch vorstellen zu können …

... Mist, emfut, ich möchte hier eigentlich nichts weniger als „rumrechten“ - und fürchte, ich bin mittendrin :-( … Dabei glaube ich, Du hast vermutlich ja sogar recht: Vielleicht bleibt/wird/ist es wirklich eine Frage der Wahl zwischen „dem Beelzebub und dem Teufel“ … und mein größtes Problem bei der Thematik ist - je mehr ich darüber nachdenke - wohl die Tatsache, dass mein Kind mit seinem „Originalbewusstsein“ -- das andere „AD(H)S“ taufen – in dem Alter, in dem die Verabreichung von Amphetaminen zumeist relevant wird, nicht in der Lage ist, selbst für sich zu entscheiden, ob es lieber den Beelzebub oder den Teufel haben möchte und ob es sein „Originalbewusstein“ „schick genug“ finden darf. Weil andere -- in der Verlängerung der Interpretation seiner Leidensgeschichte („Es geht unserem Kind schlecht, es sagt uns das und wir (die Eltern, Ärzte, Lehrer …) können es doch alle sehen, und es wird im Selbstmord enden …“) -- meinen, ein anderes Bewusstsein anbieten zu können und zu dürfen …

In diesem Zusammenhang sei die – alles andere als provokativ gemeinte - Frage erlaubt: was passiert denn, wenn Deine Tochter mit ihrem „Originalbewusstsein“ „abrutscht“? Was ist dabei – für wen? – das Schlimme, wenn sie abrutscht? Wenn sie auf die Hauptschule geht? Wenn sie die Schule gar abbricht …? Wie habt Ihr das für Euch herausfinden können? Habt Ihr es für Euch heraufinden wollen? Welches Ergebnis (beim Herausfinden) von wem zählt?



Deine Anschauung von Amphetaminen in Bezug auf den den „verfälschten“ bzw. „eigentlichen“ Bewusstseinszustand:


„Und so sehe ich auch das Methyphenidat bei Fumi: Die Medis stellen den Zustand her, der in Wirklichkeit unter der ADS liegt und den die ADS nicht rausgelassen hat.“


ist, mit Verlaub, in meinem (!) Verständnis eben das, was Du siehst, emfut. Und ich behaupte (zum jetzigen Zeitpunkt …), ich könnte es bei meinen Kindern anders sehen … so anders, dass es zum gewohnheitsmäßigen Verabreichen von Amphetaminen bei uns nicht käme.


Liebe Grüße, Feelix

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Meine "nur" Gedanken...als "Nicht-wirklich-Betroffene"....:-)

Antwort von Butterflocke am 03.05.2008, 12:25 Uhr

Interessant wäre für mich mal, von den Betroffenen (Eltern meine ich in diesem Falle) zu erfahren, durch WEN und WIE diese Krankheit (setzen wir sie mal voraus!) diagnostiziert wurde! Ein "nur" Kinderarzt scheint mir für diese Diagnose trotz aller Erfahrung, die ich ihm unterstellen kann, nicht der Richtige...oder zumindest niemals der alleinig(!) Richtige zu sein!
Und hier wären sehrwohl die Eltern in der Verantwortung! Aber sicher! Es gibt SO viele Möglichkeiten, sich über diese Krankheit oder sagen wir über die `Ursachen bestimmter Symptome´ zu informieren. Wenn ich auch nur den ERSTEN Schritt in diese Richtung der Information anstelle, dürfte mir als Mutter klar sein, dass KEIN "normaler" Kinderarzt zu einer abschließenden Diagnose kommen kann und es eigentlich auch nicht DÜRFTE!!!!, wäre er verantwortungsvoll.
Des Weiteren dürfte es ein Problem des Gesundheitssystems heutzutage sein, ein Kind wirklich in ALLER GRündlichkeit zu untersuchen. Es ist schlicht ein finanzielles Problem, glaube ich.
Es gibt SO dermaßen viele Tests und Untersuchungen, die durchaus Sinn machen, aber dennoch alle nur Indizien(!) liefern, weshalb niemals nur "die eine oder andere" Untersuchung ausreichen dürfte.
Insofern sind nicht nur Speziealisten nötig, sondern auch umfangreiche Untersuchungen, die WER bezahlen soll? (gehen wir mal vom "Kassen-Kind" *JewiegrausamdiesesWort* aus!)

Ebenso schwierig (setzen wir wieder die Krankheit voraus) ist doch die Therapie. Gut, Elisabeth hats bereits angedeutet....;-)
Es kann genauso wenig sein, dass allein(!) durch Medikamente therapiert wird! (was auch immer "es" nun sein mag!)
Es MUSS doch -und das kann durchaus auch einem med. Laien und Nicht-Betroffenen spontan einleuchten- eine Therapie auf mehreren Ebenen stattfinden. Parallel! Und eben NICHT nur medikamentös!!!! Wieder ein finanzielles Problem?
Auch bei Depressionen (mit denen ich mich leider auch gut auskenne....bisher habe ich "nur" Mirtazapin und Citalopram kennenlernen dürfen. Nicht ich bin die Betroffene....) kann doch auch eine begleitende Psychotherapie sinnvoll sein. Nicht, um die Medikamente zu ersetzen. Meinetwegen auch nicht als Ziel, von ihnen weg zu kommen. Sondern als "Studium" des eigenen Ich und der Vorgänge in mir! Denn ICH (oder wer auch immer) muss die Depression, die unter Umständen nicht nur vorübergehend durch irgendwelche Lebensumstände verursacht wurde, ein Leben lang "zu deuten wissen", sie unter Kontrolle haben, damit mein Leben und das meiner Angehörigen so wenig wie möglich beeinträchtigt wird.

UND: Es kann nicht nur der Betroffene therapiert werden. Die ganze Familie müßte es sein, denn die ganze Familie ist es auch, die in Mitleidenschaft gezogen ist! Aber ist das alles der Fall?

Oder wird es gar unnötig durch die Medikamente? SOLL es unnötig gemacht werden? Soll eine "richtige" und umfassende Therapie (Gesprächs, Verhaltenstherapie), kosten -und zeitaufwendige Aufklärung der Eltern (Familientherapie), Schulpsychologen als Ansprechpartner...usw unnötig gemacht werden?

Soll es am Ende auch "Wurscht" sein, OB es überhaupt AD(H)S ist oder nicht? Dann dass bestimmte Medikamente ihre Wirkung nicht verfehlen, EGAL, um welche Grunderkrankung (und OB überhaupt) es sich handelt, dürfte auch klar sein!

Ohweh ich wäre vorsichtig! Vorsichtig mit ALLEM, sogar mit scheinbar neutralen Informationen.

Würde ich diesem Problem gegenüberstehen, würde ich mir wünschen, mein GANZES LEBEN (und das meines Kindes logischerweise) unter die Lupe nehmen zu können...., in der Hoffnung auf den einen oder anderen "ganzheitlichen" Ansatz....

Oder würde ich angesichts des Leidensdruckes und in Ermangelung guter und kundiger/erfahrener Therapeuten in meiner Verzweiflung dann DOCH eher früher als später zu Medikamenten greifen?
Weil aufgrund der Zeit, die damit verbracht wird, etwas zu tun, von dem man nicht weiss, ob es das Richtige ist und ob es VOM Richtigen unternommen wird, mein Kind immer mehr "abrutscht".....????

Wer weiss......

LG
Flocke

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Nachtrag:

Antwort von Butterflocke am 03.05.2008, 12:30 Uhr

"Es gibt SO dermaßen viele Tests und Untersuchungen, die durchaus Sinn machen, aber dennoch alle nur Indizien(!) liefern, weshalb niemals nur "die eine oder andere" Untersuchung ausreichen dürfte."

-----------> schon dreimal nicht NUR die klinischen Befunde!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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Re: @emfut...darf ich ?

Antwort von Butterflocke am 03.05.2008, 13:55 Uhr

Ich fasse mich auch kurz, da ich gerade so gern "zulese".....
Sorry also für die Einmischung!

Nur ein Gedanke:

Zitat Feelix:
"n diesem Zusammenhang sei die – alles andere als provokativ gemeinte - Frage erlaubt: was passiert denn, wenn Deine Tochter mit ihrem „Originalbewusstsein“ „abrutscht“? Was ist dabei – für wen? – das Schlimme, wenn sie abrutscht? Wenn sie auf die Hauptschule geht? Wenn sie die Schule gar abbricht …? Wie habt Ihr das für Euch herausfinden können? Habt Ihr es für Euch heraufinden wollen? Welches Ergebnis (beim Herausfinden) von wem zählt?"

Wie bei so unendlich vielen Dingen im Leben, gilt wohl auch hier: Ob es "richtig" war, weiss man - WENN ÜBERHAUPT - erst hinterher...!
Die Crux mit der Verantwortung für das eigene Kind liegt in der Gefahr, die Dinge ?vorschnell?/ ?falsch? zu entscheiden, eben WEIL man sie - zunächst mal - entscheiden muss. Man wil das sprichwörtl. Kind nicht in den Brunnen fallen lassen. Auch wenn der Brunnen vielleicht gar nicht da oder gar nicht SO schlimm tief ist.
Ich kann es ansatzweise verstehen....!
DAS herausfinden zu wollen, vor dem man Angst hat und nur DESHALB die "Probe aufs Example" zu machen, um herauszufinden, OB es gerechtfertigt war, davor Angst zu haben....?
Ich weiss nicht......Das Leben meines Ki ndes ist kein Experiment, kein Pokerspiel....

Nein ich bin auch skeptisch, was die Medikamente betrifft. Aber wie gesagt....ansatzweise verstehe ich die Beweggründe. Ansatzweise AUCH, weil ich eben nicht selbst betroffen bin!

LG
Flocke

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@ Feelix und Flocke

Antwort von +emfut+ am 03.05.2008, 14:51 Uhr

Feelix, ich sage Dir eines: Sag niemals nie. ;-)

Dein Posting hätte in großen Teilen vor drei oder vier Jahren von mir kommen können. Das ist im Grunde auch das, was ich mit der Wahl zwischen dem Teufel und dem Beezlebub sagen möchte: Ich mag unsere Lösung nicht. Aber ich sehe nicht rasend viele Alternativen.

Im Grund, wenn ich es jetzt so überlege, hat Fumi mir die Entscheidung recht einfach gemacht. Es ging nicht um einen theoretischen Selbstmord in 20 Jahren oder so, es ging um ihren ganz praktischen Selbstmordversuch vor etwa dreieinhalb Jahren. Man darf mich vielleicht also bissi beneiden *schiefgrins*.

Denn: Es geht ja immer um ein Abwägen. Und Abwägen ist immer subjektiv.
Vielleicht wäre eine andere Mutter anders mit Fumi umgegangen, und vielleicht hätte Fumi es mit einer anderen Mutter auch ohne Medis (ach so, dazu eine Anmerkung: Ich schreibe oft Medis, weil Methylphenidat so lang und Ritalin ein Markenname ist; das kommt manchen vielleicht wie eine Verniedlichung vor, aber es ist tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als Faulheit) geschafft. Vielleicht.
Vielleicht wäre eine andere Mutter aber auch leichtsinnig mit dem Kind auf dem Balkongeländer umgegangen, hätte es als Pubertätsmarotte abgetan und Fumi wäre mit einer anderen Mutter heute tot. Vielleicht.

Ich habe dann auh noch das Glück, daß Fumi schon 9 war, als sie schließlich mit den Medis angefangen hat. Sie war sehr reflektiert (meine Gene *lach*) und hat sich selber sehr genau beobachtet. Der KiA war beeindruckt, wie genau sie die Änderungen bei Disoierungsänderungen beschreiben konnte. Das könnte ein Kleinkind sicher nicht, und manches ältere Kind oft auch nicht. die Entscheidung über die Einnahme oder Nicht-Einnahme lag und liegt in letzter Instanz immer bei Fumi. Und - was mich auch beruhigt - sie nimmt die Medis nicht gerne. Sie wägt das tatsächlich immer sehr genau ab.

Insofern bin ich wem-auch-immer dankbar, daß ich die Medis mit realtiv ruhigem Gewissen "in unsere Familie aufnehmen" konnte. Ich stelle mir vor, daß es ungleich schwerer ist, wenn der Leidensdruck bei den Eltern größer ist (wegen der unglaublich schweren Abwägung: "gebe ich das für mich oder für's Kind), wenn das Kind kleiner und/oder weniger reflektiert ist, wenn die Zeichen nicht so deutlich sind.

Bei Temi gibt es jetzt auch erste Anzeichen von ADS, aber MIT Hyperaktivität. Er ist erst 7, er ist auch von der Persönlichkeit her längst nicht so reflektiert, und er leidet selber fast gar nicht darunter. Derzeit gibt es gar keine Diskussion, er ist auch nicht diagnostiziert, und ich werde erst über eine Diagnose nachdenken, wenn der Leidendruck stark ist. Aber ich kann mit vorstellen, daß er es mir nicht so einfach machen wird, falls es denn mal so weit sein sollte. Mist, sowas *stirnrunzel*.

Ich habe auch eine Tendenz, auf Eltern "herabzusehen", wo die Sachlage weniger eindeutig ist als bei mir. Haben die sich so bemüht, die Medis zu vermeiden, wie ich es getan habe? Sind die nicht leichtfertiger als ich? Achten die auch ihren eigenen Leidensdruck, oder den ihres Kindes?
Aber ich reiße mich am Riemen, weil ich in diese Menschen nicht reinschauen kann. Wenn ich nicht so ein mitteilsamer Mensch wäre, wüßte ja keiner, was bei uns zu Hause abging. Und obwohl ich immer wieder als "Verteidigung", Erklärung, was-auch-immer erzähle, wie Fumi über'm Balkongeländer hing: Können die Menschen in meiner Umgebung wirklich nachvollziehen, was WIRKLICH passiert ist? Das war ja kein singuläres Ereignis, es war der Höhepunkt eines langen, dramatischen und fürchterlichen Weges, den ich in seiner ganzen Schrecklichkeit nie werde in Worte fassen können.
Es steht mir also nicht zu, einen einzelnen "Fall" zu beurteilen. Ich kann nicht sagen: Dieses Kind bekommt Medis zu recht, dieses aber nicht. Und deswegen gehe ich bei jedem Einzelfall erstmal davon aus, daß die Eltern sich mindestens so viele Gedanken gemacht haben wie ich (aber habe ich wirklich alle Alternativen bedacht und ausgeschöpft), daß sie bei mindestens so vielen Exterten waren wie ich (aber hätte ich diesen Arzt oder jenes Therapiezentrum nicht noch befragen sollen?) und sich die Entscheidung mindestens so schwer gemacht haben wie ich (aber habe ich mir die Entscheidung schwer genug gemacht?).

Ganz allgemein und auf keinen einzigen konkreten Fall bezogen: Ich bin mir sicher, daß manche Ärzte (!) sich das Ganze zu leicht machen. Und sicher gibt es auch Eltern, die es sich schwerer hätten machen können (wobei das schwerer zu beurteilen ist - vielleicht KÖNNEN sie einfach nicht anders mit einem schwierigen Kind umgehen - ich unterstelle ungerne mangelndes Wollen, denn ich weiß aufgrund meiner Depressionen sehr genau, daß mangelndes Können für Außenstehende oft wie mangelndes Wollen aussieht, das kann man von außen NIE NIE NIE unterscheiden).

Ach, und nochwas: Fumi bekommt neben den Medis diverse Therapien UND geht auf eine spezielle Schule. Leider hat das JA die Übernahme der Kosten für die Schule und einen Teil der Therapien abgelehnt, Widerspruch läuft, aber wenn der Widerspruch erfolglos ist, werde ich sie rausnehmen müssen, ich kann die Schule nicht länger selber bezahlen. Ich bin UNBEDINGT für eine Therapie neben der Medikation und hätte auch keine Probleme damit, wenn das zur Pflicht gemacht werden würde. Allerdings kostet das Geld, das müßte irgendwer in die Hand nehmen wollen.

Ich bekomme ja auch eine Therapie neben den Antidepressiva. leider läuft die Kassenübernahme Ende des Jahres aus, und das macht mir tatsächlich Angst. Ich gehe nicht davon aus, daß ich die Meids dann absetzen kann und fürchte sogar, daß ich die Dosis dann erhöhen muß.

Ach so, noch was wegen der Persönlichkeitsveränderung während der Depression: Das wurde mir von außen gesagt, das war nicht nur mein Gefühl. Als ich endlich anfing, die Tabletten zu nehmen, haben mir meine Eltern und meine Schwestern unabhängig voneinander gesagt: "Endlich bist Du wieder so wie früher!" Aber auch da bleiben Restzweifel: Vielleicht bin ich jetzt endlich wieder so, wie meine Eltern mich haben wollen, und wie ich während meiner Kindheit und Jugend ich mich bemüht habe zu sein, um ihnen zu gefallen.
Aber: Während der Dperession war ich auch nicht in der Lage, mich angemessen um meine Kinder zu kümmern - was die Dperession nicht wirklich besser gemacht hat. Es gibt da also auch so eine Art Rückkopplung, die ich mit den Medis natürlich unterbreche.

Und dann noch was zu dem: "Mein Mann ist nicht "mein" Mann und mein Kind ist nicht "mein" Kind."
Ich sehe mich schon in einer Art Verantwortung für die Menschn um mich herum, vor allem für die Menschen, die ich liebe. Wenn mein Kind z.B. im KKH im Wachkoma liegt und sich vor Schmerzen krümmt, würde ich ihm notfalls auch starke Schmerzmittel geben lassen - auch wenn das Kind (oder der Mann, ich habe nur keinen, deswegen fällt das Beispiel für mich weg) sich dazu nicht selber äußern kann. Ich möchte meinen Lieben Schmerzen und Leid ersparen. Ich finde nicht, daß man sich da aus der Verantwortung stehlen kann indem man sagt: "Kümmere Dich doch selber!" oder "Die Entscheidung mußt Du selber treffen!" Ein Kind und/oder ein entscheidungsunfähiger Mensch braucht Hilfe und Unterstützung, und notfalls muß ich dann eine Entscheidung für jemand anders treffen - UND die Verantwortung dafür tragen, wenn es schief geht.
Vielleicht sagt Fumi in 20 Jahren zu mir: "Mama, das war eine blöde Idee!" Dann werde ich mit diesem Vorwurf leben müssen. Das ist das Risiko, das ich eingehe, aber ich gehe es aus Liebe ein. Ich stehle mich nicht aus der Verantwortung - und Verantwortung tragen heißt manchmal auch, einen über die Rübe zu kriegen, wenn es schiefgeht. Aber damit nehme ich Fumi ja etwas ab, das sie meines Erachtens im Moment einfach nicht komplett tragen kann.
(Ja, Fumi trägt aufgrund ihres Alters ein großes Stück der Verantwortung selber; aber ich hätte die Einnahme der Medis komplett verbieten können, ich hätte ihr verschweigen können, daß es die Möglichkeit gibt, oder ich hätte einfach sagen können: "Friß oder stirb!". Ich habe ihr ein Stück der Verantwortung gegeben, aber nicht mehr, als sie tragen kann - in meinen Augen - also noch eine Entscheidung, eine Abschätzung die ich treffen mußte für jemand anders, und die mir das Leben schwer gemacht hat.)

Und dann noch:
Ich habe mir sehr viele Gedanken zu dem Thema gemacht und mir - mit Verlaub - den Hintern aufgerissen auf der Suche nach der optimalen Lösung für UNS. (Ah, noch ein Thema: Ja, man SOLLTE die Familie mit einbeziehen und das wird unzureichend gemacht.) Aber ich kann das auch, intellektuell und emotional. Kann das jede Mutter, jeder Vater?
(Exkurs: Mein Ex hat sich komplett aus der Chose rausdividiert, ich stehe alleine da mit meiner Entscheidung. Ich finde ja, er hat es sich leicht gemacht: Er wird sich zumindest wegen der ADS-Diagnose und -Therapie nie vor Fumi verantworten müssen. Er kann sagen: "Ich hätte das anders gemacht!" Ah, wie sehne ich mich nach dieser Option.)
Ich z.B. bin völlig überfordet, wenn es um Autos geht. Ich habe keines, aus gutem Grund, aber WENN ich dringend eines bräuchte, hätte ich das "ich will das gar nicht wissen müssen"-Dilemma. Ich würde mir eine Werksatt meines Vertrauens suchen, das Auto hin und wieder da abliefern und mich darauf verlassen, daß die das schon richtig machen.
Es gibt sicher viele Eltern, die mit diesem AD(H)S-oder-nicht-oder-was-Zeug so überfordert sind wie ich mit dem Auto. Sie gehen mit dem Kind zum KiA ihres Vertrauens und sagen: "Mach heile!" Kann man diesen Eltern einen Vorwurf machen? Ich finde, das kann man nicht, zumindest nicht generell und pauschel.

Ich bin also - aus reinem Eigennutz - durchaus für eine strengere Überwachung von Methylphenidat und meinethalben auch Antidepressiva. Damit ich eben nicht dauernd das Gefühl habe, ich müßte Fumi ein Schild umhängen, auf dem steht: "Fumi war beim KiA, der eine Ausbildung als Kinderarzt UND als Kinder- und Jugendpsychologe hat, ich war mit ihr bei der Kinder- und Jugendpsychiaterin und bei der Uni-Klink und beim Einzelfallhelfer - reicht das, um die Gabe von Methyphenidat zu rechtfertigen?" Solange es KiÄ gibt, die ohne Zusatzausbildung mal eben einem Kind Methylphenidat verschreiben, fühle ich diesen Rechtfertigungsdruck. Eine restriktivere Ausgabe der Medis würde diesen Rechtfertigungsdruck von mir nehmen. Das wäre schon nett ;-).

Aber es bleibt für MICH, daß ICH meistens mit meiner Entscheidung für die Medis gut schlafen kann.

So, Fumi will endlich den Balkon fertig aufräumen und braucht meine Hilfe. Ich habe sicher wieder nicht jeden einzelnen meiner Gedankenfäden verfolgt und aufgeschrieben. Sie sind etwas wirr und unsortiert und ploppen auch manchmal einfach raus (was man meinem Posting auch ansieht, fürchte ich *schäm*). Vielleicht könnt Ihr trotzdem was für Euch da rausziehen.

Gruß,
Elisabeth.

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@emfut ... (@Butterflocke)

Antwort von Feelix am 03.05.2008, 21:23 Uhr

Hallo emfut!

Hmmm, Du meinst also, die Grenze unseres gegenseitigen Verstehen(-können)s verläuft genau da, wo die Grenze zwischen Theorie und Praxis verläuft?! *Ächz* … Wie ich dieses (Diskussions-Killer-)“Argument“ liebe ;-)))

Nun, diese hier ist eine der wenigen Diskussionen, bei denen ich spüre, dass ich dieses Argument wohl zulassen muss, weil ich es letztlich nicht widerlegen kann - und vor allem: weil ich bei diesem Thema selbst (ja) ein ähnliches Gefühl habe … nämlich das, bei all meinen theoretischen Überlegungen selbst nicht genau zu überblicken, welche Bedeutung sie (noch) in der Praxis hätten.

Denn Praxis findet – gerade bei „AD(H)S“ – nunmal nicht im luftleeren Raum (der Theorie, die in unverbindlicher Dialektik schwebend abwägen und dann vielleicht noch einmal andersrum abwägen und - weil gerade alle aus’m Haus und noch’n bißchen Zeit übrig ist - doch nochmal so rum abwägen kann …) statt. Praxis heißt auch: Zeit verlieren, und Praxis heißt vor allem auch: ich-im-Mittendrin ... meine-Umwelt-um-mich-herum. Und „hier“ ist es eine, die sich in der Tatsache, dass eine beträchtliche Anzahl Kinder gewohnheitsmäßig Amphetamine verabreicht bekommt, immer besser einzurichten scheint. Und ich (und mein Mann) und meine Kinder leben nun einmal in dieser Umwelt (Kinderärzte, Lehrer, andere Eltern ...) und unter (Leidens-)Druck, stelle ich mir vor, neigen wir eher dazu, "Umwelt" zu suchen, statt uns ihr zu entziehen ...


Was ich noch anmerken möchte, emfut: mir gefällt an Deinem Posting außerordentlich gut, dass es selbst(!)kritisch reflektiert, dass es d e n „richtigen“ Umgang mit Diagnostik und therapeutischer Medikation von Amphetaminen bei „AD(H)S“ bzw. eine sinnvoll vergleichende Betrachtung zwischen Müttern, die es „richtig(er)“ machen und denen, die es „falsch(er)“ machen -- und mithin also auch d i e Mutter, die es bei der Vergabe von Amphetamischen an ihr Kind „am richtigsten“ macht, objektiv nicht geben kann – und mir gefällt, dass Du dies ohne Abzüge (!) einräumst. Wenngleich ich das ungeheure Problempotential dieser Aussage (für uns alle …) höher einschätze und seine Konsequenzen weitaus drastischer formulieren würde als Du, die Du es zwar einräumst, aber letztlich hinnimmst …



Trotzdem - Doch – und Danke! - ich verstehe seit gestern tatsächlich „mehr“ und besser. Es tat mir – bei allem Befremdetsein von Postings mit lapidaren Nebensätzen („ … hat auch AD(H)S und muss seine/ihre ‚Medis’ nehmen …“) – vielleicht auch einfach gut, zu lesen und dabei in Teilen nachempfinden zu können, was Mütter auf ihrem Weg zu und mit „Ritalin“ besorgt, was sie dabei bedacht haben, was sie zur Zeit bedenken, und was sie wohl nie aufhören werden, zu bedenken …

Und eines habe ich, vor allem durch Deine Beiträge und die Beschreibung Deiner Tochter (die ich Dir so natürlich einfach glauben muss … ;-), gelernt: dass ich die reflektierte (!) Position der Kinder resp. ihre reflektierende Rolle und ihren selbstbestimmten Platz innerhalb der „AD(H)S“-Diagnostik-„Maschinerie“ bislang offenbar unterschätzt habe … Was wiederum – Du räumtest es ja selbst ein – eine Frage des „richtigen“ Alters der Kinder bei der Vergabe von Amphetaminen sein (oder in der allgemeinen „AD(H)S“-Diskussion überhaupt erst aufwerfen?) könnte.

(… Oha, da merke ich gerade: mit Deinem Verantwortungspostulat in Sachen „’mein’ Mann ist nicht mein Mann“ seh’ ich noch ein Fass in der Ecke stehen -- das ich heute allerdings nicht mehr aufmachen werde … bei Interesse gerne ein andermal ;-)

Einen schönen Abend, emfut.


Und liebe Grüße, Feelix



p.s.: Danke fürs Dazwischenfunken, Butterflocke :-)
… Ja, ich glaube - innerhalb oder außerhalb der "AD(H)S"-Problematik: sein Kind im Nicht-angemessen-Ausschöpfen-Können-des-eigenen-Potentials (oder das, was es selbst in sich vermutet oder was in ihm vermutet wird) „abrutschen“ zu sehen und das bis zu einem gewissen Grad auch auszuhalten, hat verflixt was mit Mut zu tun. Nur passt diese Art von Mut nicht recht in unsere Gesellschaft, aus Gründen, die wir (beide, wenn auch auf die unterschiedlichste Weise ;-) im „Aktuell“ hinlänglich besichtigen können. So dass die Mutter eines „rutschenden“ Kindes wohl annehmen m u s s : der „Brunnen“ ist tiefer denn je …

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Nachtrag: Theorie - Praxis ... "Umwelt"

Antwort von Feelix am 04.05.2008, 9:13 Uhr

...

Ich schrieb, dass ich emfuts Einwurf: "Sag niemals nie!" durchaus beeindruckt, weil ich selbst nicht überblicke, inwieweit meine theoretischen Überlegungen (und tiefsten Überzeugungen) in Hinblick auf das „Originalbewusstsein“ unserer beiden Kinder in der "Praxis" des Selbstbetroffenseins Bestand hätten.

Inwieweit wir der Suggestivkraft unserer „Umwelt“ -- der „Normativen Kraft des F(f)aktischen“ Umgangs meiner unmittelbaren Umgebung (Lehrer, Kinderärzte, andere Eltern ...) mit Kindern, deren spezielles (Bewusstein und Wahrnehmen im „Innen“ und ) Verhalten (im „Außen“) auf eine spezielle Weise bezeichnet und darauf hin mit bewusstseins-/wahrnehmungsverändernden Substanzen verändert wird – standhalten könnten …

Andererseits: ich b i n zugleich auch „die Umwelt“ und für ihr So(undnichtanders)-Sein (mit-)verantwortlich, was durch Hofi2s Bemerkung (wenn ich ihr Glauben schenken darf) besonders anschaulich wird …

Denn wenn ich sie richtig verstehe, bedeutet sie, dass Eltern (und ihre Kinder) in Rom eine gänzlich andere „Umwelt“ und mithin kein „spezielles Kind“, kein „AD(H)S“ und damit nicht nur kein fahrlässig freizügiges Angebot, sondern schlicht gar kein Angebot an Amphetaminen für Kinder vorfänden.

Uff! Es bleibt schwierig …

Liebe Grüße, Feelix

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@ Feelix

Antwort von +emfut+ am 04.05.2008, 12:08 Uhr

Die Umwelt ist sicher das eine.

Aber die Umwelt ist es nur in Kombination mit der Hilflosigkeit angesichts des Leidens eines geliebten Menschens.

Bei mir zumindest war das eher der Auslöser als die Umwelt - im Gegenteil. "Meine" Umwelt ist eher auf der "Da gibt es doch sicher ein Kügelchen"-Schiene, ich werde von Verwandten wegen der Methylphenidat-Gabe massiv angegangen.

Der Weg von "Fumi über'm Balkongeländer" zu "Fumi nimmt Methylphenidat" hat bei uns etwa ein Jahr gedauert. Ein Jahr der "Gibt es eine andere Lösung"-Suche. Sie hat ihre Therapie begonnen, aber die schlug nicht an, weil sie sich nicht auf die Hilfe in der Therapie konzentrieren konnte. Ein Teufelskreis *schiefgrins*: Der Therapeut gab ihr Tips, wie sich sich besser konzentrieren kann, aber sie konnte sich nicht genug konzentrieren, um die Tips anzunehmen und umzusetzen. Die Medis helfen ihr, die Hilfen der Therapie anzuwenden und zu automatisieren.

Was es mir erleichtert hat, glaube ich, sind meine guten Erfahrungen mit Antidepressiva. Auch ich wäre, vermute ich, ohne Medis schon tot. Hmm, ich sage das nicht gerne, aber ich stand schon am Bahnhof, und es war nur ein Schritt auf die Schienen. Dieses Gefühl von "Alles ist besser als das Leben" kenne ich also.

Fumi empfand ihr Leben als Qual. Dank der Medis kann sie die Therapie, die ihr das Leben als schön und lebenswert vermittelt, gut annehmen. Das war für mich der zwingende Grund: Die Alternative, die ich sah, war ein zutiefst unglückliches oder gar totes Kind.
Ob das wirklich die Alternative war, werde ich wohl nie erfahren. Aber es war eben die, die ich sah.

Hast Du mal Schmidbauer gelesen? Ich empfehle für diese Problematik das Buch "Alles oder Nichts". Es geht um Ideale und das Anpassen der Ideale an die Realität.

Gruß,
Elisabeth.

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@emfut

Antwort von Feelix am 04.05.2008, 21:22 Uhr

Hallo emfut!

Zunächst: es tut mir leid, dass Du in Deinem Leben bereits in den Abgrund eines Selbstmordversuchs blicken musstest und ich kann mir vorstellen, wie schwer es fallen muss, darüber zu schreiben. (Und ich hoffte, als ich es las, dass Du nicht das Gefühl hast bzw. ich es Dir hier vermittle, Du müsstest Dir die Stichhaltigkeit Deines Standpunktes in unserer Diskussion mit diesem Einblick in Deine Intimsphäre „verdienen“. Denn das musst Du nicht. Er sticht auch ohne … und trotzdem: danke.)



Hmmm, ich habe nachgedacht, und ich glaube, „Abwägen“ ist mir im Zusammenhang mit „'AD(H)S'-Diagnostik-Methylphenidat-Therapie" zu „schwach“, zu „flüchtig“, genauer: zu „spät“, emfut … Denn nein, nicht das Abwägen (bis hin zur Entscheidung) ist hier mein Problem: es ist das Interpretieren, aus dem der Entscheidungsbedarf erst resultiert …

Vor diesem Akt des fest-stellenden (im Falle von „AD(H)S“ nun einmal (noch?) nicht wissenschaftlich abgesicherteren) „So könnte es sein …“ (der das „Es könnte aber auch ganz anders sein“ redlicherweise mitdenken muss …) habe ich bei dieser Thematik und ihrer (öfter als nötig … wie oft öfter als nötig?) letzten Konsequenz -- der gewohnheitsmäßigen Gabe von bewusstseins/wahrnehmungsverändernden Substanzen an Kinder -- die weitaus größere (Ehr)Furcht als vor dem, was (logisch) „danach“ daraus folgt …

(Vielleicht weil ich – je nachdem, wie radikal ich gerade gestimmt bin ;-) – mit der Idee von der „Interpretationsimprägniertheit allen Seins“, wie es im menschlichen Denken repräsentiert ist, gut etwas anfangen kann und sie mein Leben, wenn ich so darüber nachdenke, zu keinem geringen Teil (mit-)bestimmt. Insofern, als ich – bevor i c h zu interpretieren beginne – meist (… je nachdem, welche Bedeutung das zu Betrachtende für mich hat) zunächst einmal versuche herauszufinden, inwieweit der „Gegenstand“, das „Phänomen“, der oder das in mein Leben tritt und dem ich interpretierend begegne, mir gewissermaßen schon „interpretiert“ zur Vorlage kommt. … Herrje, emfut, ich hoffe, Du kannst das Gewinde dieser Denkschraube noch mitdenken, bevor es gleich qualmend durchdreht … :-))



Wie auch immer und schlussendlich: Es ist und bleibt bei diesem Thema eine Kluft zwischen dem (Schon-)Raum der Theorie und dem Leidensdruck der Praxis … Wie sollte es mir gelingen, sie Dir gegenüber wegzudiskutieren - wenn ich sie noch nicht einmal für mich selbst wegdenken kann?

Liebe Grüße, Feelix



p.s.: Danke für Deinen Schmidbauer-Tip: („Alles oder Nichts“). … Ich hab’ auch einen für Dich (;-):
Es gibt einen ganzen (wie ich finde: hochspannenden!) Zweig in der Philosophie, der sich auf wissenschaftliche Weise mit nichts anderem beschäftigt: Die sogenannte „Spieltheorie“ bzw. „Entscheidungstheorie“.
(Das „Gefangenendilemma“ gilt als eines der berühmtesten Beispiele dieser Disziplin -- vielleicht hast Du ja mal Lust, zu guurgeln … :-)

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Kann man nicht differenzieren?

Antwort von Jamu am 05.05.2008, 12:15 Uhr

Hof2 hat ganz sicher recht!

Ich bin auch ländlich groß geworden, mit Bächen, Feldern, Obstbäumen etc. pp.

Ich hatte immer viele Kinder um mich herum, wir waren wild, laut und immer draußen! Das kennen die meisten Kinder nicht mehr - zumindest nicht die in der Stadt!

ABER: auch zu meiner Zeit gab es den einen oder anderen, der "anders" war - der auffiel, weil er nicht nur wild war sondern auch aggressiv wurde!

Das wäre heute sicher auch ein Kind, welches ADHS als Diagnose hätte! (ich weiß, daß aggressiv nicht jedes ADHS - Kind ist!!!!)

Differenzieren insofern: es gibt heute auch noch sehr wilde Kinder - wie meine Nichten - Horror - und dennoch haben sie nicht ADHS. Es gibt auch einfach sehr sehr viele Kinder, die unnötigerweise ADHS - Medis nehmen müssen obwohl nicht erkrankt!

Deshalb bin ich immer vorsichtig mit meinem Urteil!

ABER: es gibt eben diese Kinder, die es tatsächlich haben!

So wie hier beschrieben!

Ich finde, es ist ganz schwierig, es so pauschal beurteilen zu können - auch als Arzt, denn der lebt nicht längere Zeit mit den Kindern - und jeder versteht unter "wild" eben was anderes!

LG Jamu

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@feelix

Antwort von Hofi2 am 05.05.2008, 13:24 Uhr

Gute Frage, würde mich auch interessieren. Aber wo man an solche Erhebungen rankommt, weiß ich leider nicht.
Nicole

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