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von Leena  am 05.01.2014, 19:58 Uhr

Gnade der Ignoranz

Ich bin im Westen aufgewachsen, und mit vielen Geschichten aus der Familien-Vergangenheit. Und mit vielen Geschichten, die nicht erzählt wurden, gerade aus der DDR-Zeit, ja.

Mein Großvater (väterlicherseits) erzählte von seiner Kindheit in der Kaiserzeit, er erzählte begeistert, wie er es als Junge erlebt hatte, wie sein Dorf (Stück hinter Frankfurt/Oder) elektrifiziert wurde - Stromleitungen, Anschlüsse etc. haben meinen Großvater sein Leben lang begeistert. ;-)

Mein Großvater und seine Schwestern erzählten auch oft von ihrem Leben als Jugendliche in der Weimarer Republik, wobei sie weniger davon erzählt haben, als mehr miteinander darüber gesprochen haben. Meine Großtante kam jeden Sonntag zu Kaffee und Kuchen, und mein Großvater und sie sprachen dann darüber, ganz viele "weißt du noch", im Grunde... manchmal war noch eine zweite Schwester dabei (meine Großmutter, mütterlicherseits), dann gab es noch viel mehr "weißt du noch"s. Und wir waren dann sonntags immer dabei, und natürlich habe ich viel mitbekommen... gebe aber zu, welche Nachbarn da was mit wem - das hat mich lange nicht wirklich interessiert. Mein Großvater hatte mir dann das, was ihm wichtig war, aufgeschrieben und mir zur Konfirmation geschenkt, mit dem Wissen, dass ich es erst viel später lesen und begreifen würde... das hat ihm nichts ausgemacht. Mittlerweile bin ich ihm dankbar dafür. (In gewisser Weise sicherlich seine Art von "ihm war es wichtiger, zu erzählen und verstanden zu werden, als es mir wichtig war, davon zu hören"). Krieg und Vertreibung bzw. Flucht aus dem Osten war für die Generation meiner Großeltern dabei auch durchaus Thema, auch wenn da gewisse Details immer erst später und häppchenweise und nie coram publico erzählt wurden.

Über seine Zeit als Soldat im 2. Weltkrieg hat mein Großvater praktisch nie geredet, und über seine Zeit als Pfarrer in einem Dorf in der DDR auch nicht viel - einzelne Bilder schon, wie er z.B. von den VoPos abgeholt wurde, um wählen gehen zu "dürfen", wobei ich das dann wieder von meiner Großmutter hörte, die da stand und zuschaute und um ihren Mann (und sicher auch sich und die Kinder) Angst hatte. Anfang der 70er Jahre sind meine Großeltern dann, nach der Pensionierung meines Großvaters, in den Westen übergesiedelt.

Mein Vater hat mir oft von seinen Kindheitserinnerungen erzählt, aber im Wesentlichen waren das Erinnerungen etwa von 1943 - 1947, viel von Hunger und Kartoffeln und Flüchtlingen, die bei ihnen im Pfarrhaus untergebracht wurden und in Erde gebackene Igel aßen. Von Soldaten, die Gewehre an Bäumen zerschlugen, das hat meinen Vater offenbar besonders beeindruckt. Von Nazi-Klamotten, die umgenäht wurden, und von strammen Nazis, die belastendes Zeugs im Wald vergraben haben. Ich habe immer noch Besteck vom RAD (Reichs-Arbeits-Dienst), die andere als "zu belastend" weggeschmissen hatten und die meine Großeltern als "aber das kann man doch noch brauchen und uns verdächtigt eh keiner" wieder eingesammelt hatten.

Von seiner Jugend in der frisch entstehenden DDR hat mein Vater nie viel erzählt, erst rechts nicht viel "politisches". Allerdings hat mein Vater wohl auch ziemlich viel mitbekommen und miterlebt und wurde später wegen illegalen Grenzübertritts festgenommen und Wochen später, nach Vermittlung von Wolfgang Vogel, von der BRD freigekauft wurde. Aber darüber hat mein Vater nie sprechen wollen. Mein Großvater hat mir einiges erzählt, als er mir ein antiquarisches Buch über Berliner Justizgebäude geschenkt hatte, mit einem Bild des Gerichts, in dem er damals lange gesessen und gewartet und gebangt hatte. Mein Großmutter sprach später davon, als Anfang der 90er Verbindungen von Vogel und der Stasi etc. publik wurden und er in die Kritik geriet, und meine Großmutter fand, für ihn war er einfach nur ein Held, der eben unter schwierigen Bedingungen erreicht habe, was erreichbar gewesen sei.

Wir haben in den 80ern öfter die Geschwister meines Vaters in der DDR besucht, und ich habe bei unseren Besuchen genug Angst und Bedrohung mitbekommen, und vor allem Ausgeliefert- und Rechtlos-Sein. Ganz blödes Beispiel - wir fuhren bei Helmstedt über die Grenze, die DDR-Grenzer durchsuchten unser Auto, ob wir auch niemanden rausschmuggeln würden, und rissen dabei mit Kraft die Rückbank aus dem Auto. Dass die Rückbank bis dahin NICHT aufzuklappen oder rauszunehmen ging, interessierte nicht. Allein die Fahrt danach, in dem zerrupften Auto auf der wackelnden Rückbank... und der Schaden war natürlich allein UNSER Problem, klar.

Andererseits erinnere ich mich aber auch an einer Jugendweihefeier, auf der wir auf etwas krummen Wegen bei Nachbarn von Bekannten von Freunden gelandet waren, und die Eltern (vor allem der Vater) des zu befeiernden Kindes war ein sehr strammer Parteisoldat. Der konnte auch problemlos und überzeugt erklären, wieso es moralisch gerechtfertigt und nur im Interesse aller war, Republikverräter beim Versuch des illegalen Grenzübertritts zu erschießen. Und - nein, für ihn waren das keine Flüchtlinge, sondern Verräter. Natürlich hat das niemand von uns auch nur ansatzweise mit ihm diskutiert hätte, um Himmels Willen. Das war mir dann auch schon klar... Aber - dieser Mann hat nicht daran gezweifelt, dass an der Grenze geschossen wurde, aber für ihn war es gerechtfertig und richtig und gut, von daher war für ihn da nichts, was er als "nicht beeinflüssend" hätte empfinden können...

Andererseits habe ich aber auch gelernt, dass auch in der BRD nicht immer alles frei und ungetrübt war und man auch nicht immer seine Meinung frei sagen durfte, ohne negative Folgen tragen zu müssen. Besonders geprägt hatten mich da Erzählungen bzw. zum Teil aus offensichtlich Nicht-Erzähltes eines Lehrers von mir, der im Rahmen der 68er Bewegung auch einiges erlebt hatte. Wobei mir schon bewusst ist, dass man das auch ansatzweise nicht vergleichen kann. Dennoch war auch hier im Westen nicht alles "frei" und "gut".

Aber im Grunde - Geschichte wird immer von den "Siegern" erzählt...

 
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