6 - 9 ...

Sechs bis neun

Fotogalerie

Redaktion

 
Ansicht der Antworten wählen:

Geschrieben von Hitchi am 19.10.2019, 16:07 Uhr

Nachtrag zu (massive ?) Ticks unserer Tochter vom 9.12.2006

Liebes rund-ums-baby-team, liebe LeserInnen,

am 9.12.2006 habe ich den Eintrag https://www.rund-ums-baby.de/erziehung/massive-Ticks-unserer-Tochter_69078.htm geschrieben und bin nun einige Jahre später darüber gestoplert und hatte die Idee, einen Nachtrag zu verfassen.

Aus unserer Tochter ist nun eine junge, intelligente, hübsche, (auch) selbstbewusste junge Frau geworden. Sie hat das Abitur ohne Probleme gemeistert, ist seit vielen Jahren Vegetarierin (auch wenn hier eigentlich nicht von Belang) und ist nun zur Ausbildung und zum Praktikum im Ausland. Geblieben ist allerdings die schon damals beschriebene Introvertiertheit und Verschlossenheit.

Viele wird -- vielleicht in ähnlicher Lage -- interessieren, was sich in der Zeit getan hat:
* zu einem (wirklichen) Psychologen sind wir in der anstrengenden Zeit nie gegangen, vielmehr haben wir zu alternativen Methoden gegriffen, was uns unsere Tochter heute noch vorhält. Der Gang zu Psychologen hätte u.E. nichts gebracht.
* Die Tics (ja, jetzt ist die Rechtschreibung auch korrekt) sind ärger und vielfältiger geworden. Wahrscheinlich wäre in dieser Zeit das Tourette-Syndrom diagnostiziert worden, da sowohl motorische als auch vokale Tics aufgetreten sind. Diese sind zumeist bei speziellen Ereignissen (Schulbeginn, Schulwechsel, Streß) für die Dauer von ca 3 - 4 Monaten verstärkt aufgetreten. Es wäre gelogen wenn ich heute schreiben würde, dass wir in all der Zeit ruhig und gelassen geblieben sind.
* Immer wenn wir uns durchgerungen hatten, ärztliche Rat und Diagonse zu suchen ist eine Besserung aufgetreten, so dass dieser Gang zu einem Arzt nie zustande kam. Dies aber auch aus dem Grund da wir uns zwischenzeitlich stark in Tics / Tourette eingelesen hatten und eine massive medikamentöse Behandlung nicht wollten.
* Nach Lehrbuch sind auch bei ihr die Tics ab dem 11. Geburtstag massiv zurückgegangen und waren vor dem 13. Geburtstag mehr oder weniger gänzlich verschwunden (zumindest konnten wir keine mehr beobachten).
* Auch nach Lehrbuch folgen auf die Tics (zumeist) einige Zwänge. Auch die sind aufgetreten und vorhanden, allerdings sind diese (die die wir Eltern kennen) vielmehr als Marotten zu bezeichnen.

Wie bereits beschrieben ist Introvertiertheit, Reizbarkeit, fehlende Kommunikation bzw. kein Ansprechen der Probleme / Sorgen / Nöte sowie fehlendes Selbstvertrauen und damit ein geringes Selbstwertgefühl (Komplexe) geblieben, so dass die Jugendzeit natürlich ihre eigenen Probleme mit sich gebracht hat, die aber prinzipiell bei allen Jugendlichen auftreten können. Mädchen dieser grundsätzlichen Ausprägung sind so zwischen 15 und 17 Jahren eine "leichte Beute" (ins Detail muss ich ja wohl nicht gehen). So haben auch bei unserer Tochter die ersten großen Enttäuschungen mit Freunden nicht nur zu Liebeskummer sondern auch zu Selbstaggression (Ritzen), Depression und einer Tendenz zu Essstörungen geführt. Das Erstaunliche daran ist, dass uns, obwohl wir als Eltern bedingt durch die Vorgeschichte sehr sensibel und aufmerksam waren, dies lange Zeit verborgen blieb.

So mit ca. 18 Jahren ist ein neuerlicher Wandel, nun zu mehr Selbstvertrauen und dem Trang den eigenen selbständigen Weg gehen zu wollen, bemerkbar. Wie beschrieben ist sie heute eine junge zwar schüchterne aber großteils selbstbewusste Frau, die ohne Zweifel ihren Weg kennt und gehen wird. An der Offenheit uns und anderen gegenüber arbeiten wir Eltern noch ;-)

Zusammengefasst ist es nicht so schlimm gekommen wie zwischenzeitlich (v.a. zw. 7 und 11 Lebensjahr) befürchtet und es ist halt auch nicht so gut gelaufen wie man es sich als Elternteil erhoffen würde.
Ob die Probleme in der Jugendzeit damit im Zusammenhang stehen: Durch die Präposition wahrcheinlich ja. Allerdings gibt es für Eltern kaum eine Alternative als die Kids in der Jugendzeit ihre eigenen Erfahrungen und auch eigene Fehler machen zu lassen, auch wenn es schmerzt.
Ob es richtig oder falsch war nie medizinischen oder psychologischen Rat zu nehmen, kann ich nicht wirklich abschliessend beurteilen: Wir waren uns immer bewusst dass die Diagnose niederschmetternd wäre (s.o.) und ein Weg mit Medikamenten, Ärzten, Psychologen usw vor uns und v.a. vor unserer Tochter liegen würde, ohne wirkliche Gewissheit auf Besserung oder Heilung. Auch abschliessend glaube ich noch daran, dass dies sogar die größere psychische Belastung für unsere Tochter gewesen wäre (va auch da dies im Umfeld der Schule und der Freundinnen / Freunde kaum zu verheimlichen ist).

--------------------
Vielleicht ist es interessant für das Team oder auch die LeserInnen den Beitrag eben auch aus dem Blickwinklen "was ist aus ihr geworden" zu lesen.

Liebe Grüße und allen viel Erfolg und Mut!

 
2 Antworten:

Re: Nachtrag zu "(massive ?) Ticks unserer Tochter" vom 9.12.2006

Antwort von lubasha am 20.10.2019, 10:13 Uhr

ich freue mich mit dir und wünsche dir und deiner Tochter noch alles beste

Beitrag beantworten Beitrag beantworten

Anstoß...

Antwort von Bonnie am 23.10.2019, 17:30 Uhr

Ich war damals auch schon hier in den Foren unterwegs, und zwar erinnere ich mich natürlich nicht an Eure Geschichte - aber ich finde es erleichternd, das alles zu hören.

Ich wollte aber trotzdem noch etwas anmerken, wenn ich darf: Wenn man trotz Tics und anschließend auftretender Zwangsstörungen keine Hilfe in Anspruch nimmt, weil das ja (zusammengefasst) „doch nichts bringt“, dann macht man das nicht unbedingt fürs Kind, sondern vielleicht auch für sich selbst. Weil man sich schämt, zu bequem ist, das Ganze natürlich unangenehm ist. Denn klar, der Kinder- und Jugendpsychologe befasst sich natürlich auch sehr mit den Eltern.

Ich weiß, Du hörst das nicht gern, ich sage das alles aber aus einem bestimmten Grund. Meine eigenen Eltern dachten wie Ihr. Und das war falsch. Auch bei mir lief alles „im Großen und Ganzen“ (aus Sicht meiner Eltern) gut. In Wirklichkeit habe ich wahnsinnig unter meiner Angst- und Zwangsstörung gelitten. Meine Eltern haben es geschafft, da jahrelang freundlich wegzuschauen, weil Psychologen „ja sowieso nichts bringen und das arme Kind nur belasten.“ Das Ende vom Lied war, dass ich mit 20 (endlich!!!) selbst eine Therapie gemacht habe - mit sehr gutem Erfolg. In diesem Alter bringen Therapien nämlich so viel, wie später längst nicht mehr.

Im Rückblick habe ich jahrelang unnötig gelitten. Nun ist Deine Tochter ja auch erwachsen. Ich würde ihr aber an Deiner Stelle signalisieren, dass eine Therapie jederzeit noch möglich ist, sollte ihre Vulnerabilität ihren Alltag einschränken. Ich würde keinesfalls und wirklich niemals suggerieren, so etwas helfe meist doch nicht, denn das ist wirklich unwahr und kann ihr - falls es ihr mal schlechter geht - den Weg in ein unbeschwertes Leben verlegen.

Vielleicht traust Du Dich, Deine eigenen Ängste (vielleicht vor der „peinlichen“ Auseinandersetzung und Familienforschung einer Therapie) anzuschauen. Wenn Eltern sagen, „so etwas bringt nichts“, dann ist das oft eine sog. Rationalisierung: ein seelisches Thema (eigene Angst) wird mit dem Kopf abgetan und scheinbar gelöst. Damit weicht man dem eigentlichen Thema aus - auf eigene Kosten und vor allem auf die des Kindes.

Von daher: Ich freu‘ mich wirklich, dass Deine Tochter sich gut entwickelt! Aber lass ihr die Tür offen (oder öffne sie ihr sogar), sich möglichst in sehr jungen Jahren helfen zu lassen, falls sie noch nicht ganz frei von Zwängen ist - denn jetzt reicht fast immer eine normale Therapie (50 Stunden, ca. anderthalb Jahre), um das wirklich ganz loszuwerden. Später, wenn es ersteinmal schön chronifiziert ist, wird es schwerer bis unmöglich.

LG

Beitrag beantworten Beitrag beantworten

Die letzten 10 Beiträge im Forum Sechs bis neun
Mobile Ansicht

Impressum Über uns Neutralitätsversprechen Mediadaten Nutzungsbedingungen Datenschutz Forenarchiv

© Copyright 1998-2024 by USMedia.   Alle Rechte vorbehalten.