Rund um die Erziehung

Rund um die Erziehung

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Geschrieben von solelo am 12.07.2007, 15:12 Uhr

Ja. Sehr lang.

Hallo,

ja, ich find's furchtbar streng, und Erziehung finde ich ja sowieso total unnötig, außerdem enticklungsbehindernd und überhaupt no-no ;-)

***Das finde ich eigentlich gar nicht. Ist es denn so verwerflich, daß ich möchte das sie eine gute Erziehung hat?***

Ja, finde ich ganz verwerflich. Besser fände ich es, wenn du wölltest, dass sie sich gut entwickelt, dass ihre per Natur mitgegebenen Anlagen die Chance haben, sich zu entfalten: Kooperationsbereitschaft, soziales Verhalten - Kinder WOLLEN sich doch in die Gesellschaft einfügen, wer will denn schon alleine im Leben sein? Doch nur derjenige, der sich von der Gesellschaft nicht akzeptiert und verstanden fühlt.

***Heute waren wir einkaufen und Helena klettere entweder auf dem Einkaufswagen rum oder jonglierte an den Regalen entlang. Ich bat sie dies zu unterlassen. Erst hörte sie auch auf um kurz danach wieder damit anzufangen. Also schimpfte ich mit ihr und habe ihr gesagt das ich das nicht möchte, zum einen weil ich nicht möchte das sie sich wehtut -beim klettern am Wagen- zum anderen könnten Sachen aus den Regalen fallen und das muß ja nicht sein. Da kam eine Frau, die in der Nähe stand auf uns zu und meinte ich soll sie doch nicht ausschimpfen, das wär doch nicht so schlimm, was sie tut. Ich wär ja recht streng, wenn ich ihr sowas nicht durchgehen lassen würde.****

Ich finde schon, dass das sehr streng ist. Du kontrollierst ihr *Verhalten* – du hast zwar gute Gründe dafür, trotzdem handelst du verhaltensorientiert und kontrollierend.

Kein Mensch möchte kontrolliert werden in allen seinen Aktionen. Eigentlich in gar keiner Aktion. Wenn ein Mensch sehr kontrolliert wird ständig, führt es erfahrungsgemäß dazu, dass es sobald es groß genug ist, sich auch körperlich zu behaupten, spätestens dann, wenn es rechtlich groß genug ist (18), die Freiheit extrem auszukosten, zum Teil auf Kosten anderer.

Ich bin für bedürfnisorientes Handeln seitens der Eltern: WARUM unterlässt sie es nicht, wenn du sie darum bittest? Die Antwort darauf – das ist das Bedürfnis, und das muss anderweitig gestillt werden, damit sie kein "Fehlverhalten" als Ventil braucht, um zu äußern, dass ihre Bedürfnisse nicht gestillt wurden. Kinder sind doch noch nicht so lange auf der Welt … sie haben noch nicht die Erfahrung, alle ihre Bedürfnisse auszudrücken, selbst wenn sie die Wörter dafür kennen. Manchmal wissen sie selbst nicht so recht, was sie eigentlich wollen.

Sie ist ja schon 7, ihr könnt verhandeln. "Ich sehe, dir ist total langweilig. Kann ich dir irgendwas anbieten, wie dir weniger langweilig ist? Wir könnten ich sehe was was du nicht siehst spielen" oder: "Ich sehe, du brauchst mehr Bewegung. Wollen wir nach dem Supermarkt in den Park gehen, dort kannst du klettern", oder noch besser: "Ich sehe, du brauchst mehr Bewegung/dir ist langweilig – Ich möchte nicht, dass du hier rumkletterst es macht mir Angst um dich und um die Sachen. Hast du eine Idee, wie wir das Problem lösen könnten?" Vielleicht hat sie eine Idee - vielleicht nicht, dann kannst du immer noch selbst Alternativen anbieten, diese sollten sich aber immer an den Bedürfnissen orientieren.

Schimpfen, dazu noch in der Öffentlichkeit, demütigt das Kind. Das Kind lernt, es ist in Ordnung, Leute zu demütigen, solange sie schwächer und kleiner sind :-(

Außerdem hat es in diesem Moment der Demut und des Ärgers keinerlei Verständnis für deine Gründe (und wenn sie für dich noch so plausibel sind) und kann dein Verhalten nur insofern verstehen, als dass du es halt schon immer so getan hast. Umso schlimmer die Folge: Sie denkt nach und nach, dass ihr Gefühl, dass sich anschreien/anschimpfen zu lassen nicht in Ordnung ist, wahrscheinlich falsch ist, dass du Recht hast, und dass Erwachsene grundsätzlich das Recht haben, Kinder zu demütigen, und dass sie "Falsch" ist, dass ihre Gefühle nicht stimmen, dass mit ihr irgendwas nicht in Ordnung ist. So verlieren Menschen nach und nach aber sicher ihr Bauchgefühl.

Schimpfen ist immer ein von Oben Herab, wenn es vom anderen erwartet, dass es "pariert". Da das Kind in dem Moment für die Gründe wenig Verständnis hat, fühlt es nur, dass du gemein bist (selbst wenn sie darüber nachdenkt, denkt sie vielleicht, dass sie ja gar nicht runterfallen würde, vertraut dir also eh nicht und denkt, sie "weiß es besser", umso gemeiner kommt es ihr vor). Mit jemanden, der "gemein" ist, will man auch nicht im positiven Sinne kooperieren. Und so musst du immer mehr erziehen und Machtkämpfe durchgehen.

***Helena muß beim essen am Tisch sitzen bleiben bis alle fertig sind, außer ich erlaube ihr eher aufzustehen.***

Kontrolle. Wieso muss sie das tun? Sie ist doch fertig. Was willst du damit erreichen? Dass sie GERNE bei dir am Tisch sitzt? Sie WIRD gerne bei dir am Tisch sitzen, wenn das Tischgespräch angenehm ist, wenn sie das Gefühl hat, bei Leuten zu sitzen, die sie verstehen etc. Was du erreichst ist meiner Meinung nach völlig das Gegenteil: Sie sitzt da, weil DU es willst.

Du willst doch sicher *eigentlich*, dass sie bei dir sitzt, weil SIE es will. Wie soll sie ihren eigenen Willen bilden, wenn sie ihn niemals haben darf? Dazu gehört auch, einen *anderen* Willen zu haben, als andere – und auch die Konsequenzen davon zu erfahren, erst dann kann sie was anderes *wollen*.

Es kann Jahre dauern, bis sie gerne bei dir isst. Aber wenn sie es dann tut, dann deshalb, weil sie es gerne und freiwillig tut. Ist das nicht viel viel wertvoller, als erzwungenes da sitzen, aus purer Pflicht und weil man kontrolliert wird, und dann "böse" angeblickt wird?

Das ist genauso wie wenn man ein "Entschuldigung" von Kindern abverlangt – und dann sagen sie es widerwillig und man ist auch noch enttäuscht oder verlangt sogar: "Sag es richtig, mit Gefühl". :-(((


***Sie muß ihr Zimmer alleine aufräumen und dazu gehört auch, daß sie saugt und staubwischt. Mußte mir hier schon sehr oft anhören, daß das unmöglich wäre. Aber Helena kennt es nicht anders und es macht ihr auch nichts aus.***

Wenn es ihr nichts ausmacht, dann "muss" sie es wohl auch nicht. Entweder es macht einem was aus und man würde anders wählen – und jemand nimmt sich das Recht, es zu verordnen, dann "muss" man – oder, man macht es freiwillig und gerne, es macht einem nichts aus, dann "muss" man es auch nicht.

***Ich möchte z.b. das sie wenn sie etwas haben möchte, Bitte und Danke sagt. Meist genügt schon ein Blick von mir, wenn sie es mal vergisst und dann fällt es ihr wieder ein.***

Das finde ich furchtbar – bei uns war es auch genauso. Ich habe ja selbst erst letztes Jahr die "Erziehung" meiner Tochter komplett umgestellt. Ich habe für mich erkannt, dass es total schlimm ist, so mit ihr umzugehen. Sie war ein Objekt meiner Erziehung. Nicht ein Subjekt mit eigenen Rechten. Heute leben wir auf gleicher Augenhöhe. Sie hat Rechte, ich habe Rechte – sie hat ihren Willen, ich habe meinen Willen. Wir leben zusammen, wir lieben uns und wollen gar nicht getrennt leben. Auf dieser Basis müssen und wollen wir Lösungen für unsere Probleme finden, die allen gerecht werden und immer bedürfnisorientiert sind.

Das Verhalten ist immer nur ein Ausdruck – dafür kann ich meiner Tochter mehrere "Werkzeuge" anbieten (ihr also zeigen, wie sie sich anders ausdrücken kann, damit sie z.B. niemanden verletzt.) Das Verhalten – der Ausdruck – ändert sich automatisch, wenn Menschen ausgeglichen sind, und sie sind dann ausgeglichen, wenn ihre Bedürfnisse gestillt sind!

Bitte und Danke sagen Kinder gerne und freiwillig, wenn sie die *Bedeutung* davon verinnerlicht haben und es jeder in deren Umgebung zu handhabt. Mein Sohn sagt es freiwillig jetzt schon, mit 22 Monaten, weil wir es immer sagen. Er sagt es mit Wonne und Freude, er weiß genau, wann es angesagt ist. Meine Tochter sagt es wieder, gerne und freiwillig, wenn sie sich dankbar *fühlt*, wenn sie freundlich sein *will* – und das will sie gerne, seitdem wir sie respektieren, als Mensch, nicht als Hund! Als wir aufgehört haben, es von ihr zu verlangen, hat sie es natürlich erst Mal eine Weile nicht mehr gemacht. Jetzt sagt sie es automatisch, sie sieht ja, dass es hier jeder macht, mit Freude.

Es ist völlig unnötig, darauf zu bestehen, und wenn man es tut, hat man die Bedeutung der Wörter total verfälscht. Willst du, dass sie Bitte und Danke sagt, der Form halber, und aus Pflichtbewusstsein, damit es nicht peinlich ist, mit ihr unterwegs zu sein?

Willst nicht um Grunde, dass sie Bitte und Danke von Herzen sagt, weil sie es MEINT?

Was du machst erzeugt das Gegenteil, Bitte und Danke sind von ihrer wahren Bedeutung entfremdet und außerdem lernt sie noch eine "wichtige" Lektion: Die Oberfläche zählt, nicht der wahre Inhalt :-( Es zäht nur mein "Verhalten", meine Bedürfnisse zählen nicht. Nur das Äußere zählt, nicht was man meint.

***Wenn wir Besuch haben oder bei jemanden zu Besuch sind und sie benimmt sich mal daneben, brauch ich meist nur 1x etwas sagen oder oft genügen auch schon blicke und sie weiß was ich will. Bin ich deswegen zu streng.***

Das klingt für mich nach totaler Kontrolle. Ich glaube kaum, dass sie sich wohlfühlt. Sie hat sich wenn, daran gewöhnt und kennt es halt nicht anders. Für sie ist das normal, aber nicht unbedingt sehr angenehm. Sie denkt, es ist normal und es geht nicht anders. Sie kann dir ja auch nichts tun! Du bist viel größer und stärker, du hast deine Druckmittel – selbst wenn du sie nicht einsetzt, Schimpfen oder Anschreien, Sauer sein, das kann alles Druckmittel genug sein für manche Kinder. Ich finde das furchtbar und ja, sehr streng. Du nutzt deine Größe aus, anstatt deine Erfahrung zu nutzen, dein Kind zu unterstützen, der Mensch zu werden, der SIE ist, nicht der Mensch zu werden, den DU aus ihr machen willst!

***Mußte mir das grad wg. dem letzten Beispiel schon oft anhören. Ich wäre ja superstreng, die "pariert" ja sofort.***

Viele würden wohl sagen, du hast sie super erzogen. Wie einen Hund eben. Pariert sofort. Ein Blick genügt. Sie ist noch nicht Mal unzufrieden. Hat ja toll geklappt :-(

***Aber ich mag es nunmal nicht wenn die z. B. beim Essen rumlaufen oder wenn man alles immer 5x sagen muß.***

Kann ich mir vorstellen – es sind eben DEINE Vorstellungen vom Leben. Aber sie ist ein Individuum. Sie ist ein eigenständiger Mensch. Sie gehört dir nicht. Du kannst sie nicht einfach nehmen und in eine Form pressen, die DU gut findest!

Die Menschenrechte gelten auch für sie! Sie hat z.B. ein Recht auf eine eigene Meinung – und wenn IHRE Meinung ist, dass man beim Essen aufstehen kann, wenn man fertig ist, dann ist das so. Sie hat auch das Recht, nicht ageschimpft zu werden, sie hat auch das Recht, sich frei zu entwickeln. Sie hat ein Recht auf ihr eigenes Leben.

Wenn ihre Meinung, beispielsweise, dass man beim Essen aufstehen kann, mit DEINEM Bedürfniss kolidiert – dann kann man dafür eine Lösung finden. Dann müsst ihr darüber reden. Dann kannst du ihr sagen, warum du das gut fändest, dass sie da bleibt. Ihr könnt drüber reden, was man tun kann, damit sie sich wohler fühlt. Ihr könnt schauen, welche Bedürfnisse sie befriedigen würde, wenn sie aufstehen würde. Ist es langweilig am Tisch? Wird über die ganzen "Fehlverhaltensweisen" gesprochen, die sie Mal wieder begangen hat? Wird über tolle Sachen und Plänge gesprochen, aber sie isst halt viel schneller als ihr? Verpasst sie eine für sie wichtige Sendung im Fernsehen? Ist der Stuhl unbequem?

Je mehr Freiheit du ihr gibst, je mehr du sie respektierst, desto weniger musst du erziehen, desto mehr respektiert sie auch dich – komisch oder? Es stimmt aber und ich erlebe das tagtäglich. Kinder folgen gerne dem Beispiel derjenigen Erwachsenen, die ihnen ihre Freiheit nicht wegnehmen. Sie sind dankbar dafür, dabei müsste es selbstverständlich sein.

Mit Menschen sein zu *wollen* liegt in der Natur des Menschen. Wir sind sozial und auch gerne kooperativ. Dazu gehört, sich die Regeln der Gesellschaft, in der wie leben, anzueignen. Das machen Kinder sehr gerne freiwillig, wenn sie genügend Zeit haben, sich damit auseinander zu setzen und nicht gezwungen und kontrolliert werden. Wenn man gezwungen und kontrolliert wird, liegt der Fokus lange nicht mehr auf die nachahmenswerten Verhaltensweisen unserer Kultur, die Gedanken kreisen eher um Wege, wieder Freiheit zu erlangen: "Wie kann ich irgendwas heimlich tun?", "Wie kann ich tircksen?", "Wie kann ich *selbst* manipulieren?", "Wie lange dauert es noch, bis ich groß genug bin?", "Was werde ich tun, wenn ich endlich alles machen darf, was ich will?", "Wie kann ich meinen Eltern zeigen, dass ich nicht einverstanden bin?", "Wie kann ich mir Gehör verschaffen?" etc. etc. etc.

Kontrolle führt unweigeigerlich entweder zu völliger Anpassung = "Ja-Sager", die Befehle und Macht nicht hinterfragen. Oder zu Heimlichkeiten und Misstrauen.

Gruß
Johanna
www.unerzogen.de

 
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