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Geschrieben von Hase67 am 21.08.2021, 10:49 Uhr

Interessanter ZEIT-Online-Artikel zu Afghanistan...

... von einer Afghanistan-Expertin der Humboldt-Universität, die das Land seit den 1970ern bereist:

" Ingeborg Baldauf über Afghanistan: "Entwicklungen wie Massenmedien lassen sich nicht mehr zurückdrehen"
Ingeborg Baldauf über Afghanistan: Rund 22 Millionen afghanische Staatsbürger sind unter 25 Jahre alt. Das macht zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aus.
© Shah MaraI/AFP via Getty Images/AFP/Getty Images
Jugendliche in Afghanistan nutzen Facebook und Internetpornos, sagt die Professorin Ingeborg Baldauf. Welche Macht haben die Taliban bei der heutigen jungen Generation? Interview: Caroline Rosales
20. August 2021, 10:53 Uhr
(...)

***
Ingeborg Baldauf ist Professorin für zentralasiatische Sprachen und Kulturen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie bereist das Land seit den Siebzigerjahren, hat bei Minderheitenvolksgruppen geforscht und leitete bis zur Verschlechterung der Sicherheitslage im Jahr 2009 Austauschprogramme mit afghanischen und deutschen Studenten und Doktorandinnen. Derzeit befindet sie sich in einem Forschungssemester und steht mit Kollegen und Freunden in Afghanistan in Kontakt***

In den letzten zwei Jahrzehnten seien in Afghanistan viele etablierte Hierarchien ins Wanken geraten, erklärt Ingeborg Baldauf, Professorin für zentralasiatische Sprachen und Kulturen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie bereist das Land seit den Siebzigerjahren und ordnet ein, was das für das neue Regime bedeutet.

ZEIT ONLINE: Ein jetzt erschienener Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau Afghanistans legt nahe, dass die US-Regierung während ihres Einsatzes fehlende Kenntnisse über das Land hatte und es demzufolge zu einer Kette von strategischen und taktischen Fehlern gekommen sei. Wie hat sich die jetzt gescheiterte Strategie der amerikanischen Einsatzkräfte schon zur Zeit Ihrer letzten Aufenthalte im Land in der Bevölkerung widergespiegelt?

Ingeborg Baldauf: Eine Intervention, die Frieden, Demokratie und Entwicklung bringen möchte, darf nicht in einer Form kommen, die an ein schlechtes Ego-Shooter-Spiel erinnert. Ein Beispiel: Wir haben im Sommer 2009 einen Dari-Sprachkurs in Masar-i-Sharif im Norden des Landes für deutsche Studentinnen und Studenten durchgeführt. Dabei schulten wir die Teilnehmer immer ausführlich auf Kultursensibilität. Noch vor der Abreise erklärten wir Kleiderordnung und Höflichkeitsregeln. Und so konnten wir uns dort mit der ganzen Gruppe ruhig und auch ungefährdet in der Stadt bewegen. Ich erinnere mich an einen Tag, als wir auf dem Basar zwischen den Ständen spazierten. Da fuhren gepanzerte Einsatzfahrzeuge vor und ein Trupp schwer bewaffneter Soldaten mit Vollvisierhelmen stürmte den Markt. Der normale, unbedarfte Basarbesucher konnte diese Situation gar nicht einordnen. Über die Jahre hatte ich oft den Eindruck, dass in Afghanen durch solche Auftritte Misstrauen und Abneigung gegenüber den Interventionisten entstanden sind.

ZEIT ONLINE: Inwiefern?

Baldauf: Ich hörte von Afghanen oft, dass zum Beispiel die Sowjets in ihrer Interventionszeit zwar viele Fehler gemacht hätten, aber nie die Integrität der Familiensphäre verletzt hätten und in Privathäuser eingedrungen wären. Ich glaube, dass sich die westlichen Interventionskräfte, indem sie solche Regeln völlig missachteten, enorm viel Vertrauen und Sympathien verscherzt haben. Die Einheimischen in den Städten und Dörfern sprachen viel über die ausländischen Kräfte, und sie unterschieden dabei auch: Japanische NGOs hatten zum Beispiel immer ein gutes Image, auch weil sie, wie die Leute sagten, höflich auftraten.

ZEIT ONLINE: Afghanistan ist mit seinen rund 33 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die sich aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara und weiteren Ethnien zusammensetzen, die sich wiederum in Clans, Stämme und konfessionelle Gruppen aufteilen, ein fragmentiertes Land. Wie hätten demoskopische Kenntnisse und statistisches Wissen den Demokratisierungsprozess verbessern können?
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Kampf gegen die Taliban: Auch die Afghanen haben eine historische Chance vertan

Baldauf: Statistische Daten, wie sie jede Regierung für Staatsaufbau und die Versorgung der Bevölkerung mit Infrastruktur braucht, sind für Afghanistan ohne Zweifel vorhanden. Sie werden aber nicht transparent gemacht. Das führt zu einer Fehlverwendung von Mitteln, die sich Afghanistan nicht leisten kann, und schlimmer, es gibt jeder Interessengruppe die Möglichkeit, ihre eigenen Mythen zu konstruieren. Keine ethnische Gruppe hält eine Mehrheit: Die Paschtunen, die traditionell die Staatsmacht dominieren, hatten in Krieg und Bürgerkrieg der Achtziger- und Neunzigerjahre den höchsten Blutzoll geleistet und waren in großer Zahl ins Ausland abgewandert. Viele Hazara wiederum, die unter den Taliban oder schon früher geflohen waren, sind ab 2002 zurückgekehrt, teils mit guter Ausbildung und Uniabschlüssen aus Iran und in der Zuversicht, dass es sich als Hazara jetzt in Afghanistan gut leben lässt. Auch die Zahl der persisch sprechenden Tadschiken hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Da seriöse statistische Daten zurückgehalten werden, entsteht aber bei diesen und allen anderen Gruppen der Eindruck, sie wären in politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen immer nur die Verlierer.

ZEIT ONLINE: Was ist in diesem Zusammenhang dann überhaupt über die heutigen Taliban und ihren Aufbau bekannt?

Baldauf: Dazu kann ich momentan wie viele meine Kolleginnen und Kollegen seriös überhaupt nichts sagen. In den Medien sind bislang einige wenige bekannte Gesichter von Taliban-Führern zu sehen. In fast allen Fernsehstatements und Pressekonferenzen wird Paschtu geredet, und man kann annehmen, dass es innerhalb der Taliban einen großen Anteil an Paschtunen gibt. Dann hört man wiederum Leute auf der Straße sagen, dass sie die Sprache, die manche Taliban sprechen, gar nicht verstehen. Es sind sicher aber auch viele frühere Sympathisanten und Kämpfer aus anderen einheimischen Volksgruppen dabei, vor allem abseits von Kabul. Nach dem Sturz der Taliban-Regierung im Jahr 2001 sind massenhaft frühere Funktionäre und Anhänger einfach in ihre Häuser zurückgekehrt. Ich habe vor allem viele Frauen gehört, die sagten: "Wenn ich den auf der Straße sehe, wird mir ganz kalt." Ehemalige Kämpfer und lokale Machthaber lebten wieder ein normales Leben im Dorf. Ihre Familien sind auch 20 Jahre später konservativ geblieben. Aber die Gesellschaft im Ganzen, die junge Generation Afghanistans, hat sich unwiderruflich verändert.
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Afghanische Frauen sehen ihre Rechte und ihr Leben bedroht. Prominente Afghaninnen warnen im Land und aus dem Exil vor den Absichten der Taliban. © Foto: GettyImages

ZEIT ONLINE: Was meinen Sie damit?

Baldauf: Die neuen Taliban sind nicht die Taliban von damals, und sie finden nicht mehr das Afghanistan aus dem Jahr 1993 vor, sondern ein Land, in dem sich die gesamte Gesellschaft durch Massenmedien und mobile Kommunikation verändert hat. Seit 2005 haben sich Handys flächendeckend verbreitet, so schnell wie in kaum einem anderen Land. Jede Großmutter telefoniert mit ihrem Enkel, Verliebte tauschen hinter dem Rücken der Anstandswächter Handys aus, Jugendliche nutzen Facebook und Internetpornos und wissen Bescheid, was auf der Welt los ist. Der Bildungsstand im Land hat sich über die Zeit der Intervention extrem verbessert. Jetzt, zumindest am Anfang, treten die Taliban moderat auf, weil sie wissen, dass es gar nicht möglich ist, bestimmte Entwicklungen zurückzudrehen.

ZEIT ONLINE: Dennoch waren bis zum Jahr 2001 während der ersten Taliban-Herrschaft Musik auf Hochzeiten, Fernseher und viele Unterhaltungsformen verboten. Auch die Beschulung von Mädchen und der Universitätszugang für Frauen. Das geschieht unter Berufung auf die Scharia, das von den Taliban diktierte islamische Regelwerk.

Baldauf: Was heute Afghanistan ist, gehört seit mehr als 1.200 Jahren zur Welt des Islams, insofern mussten islamische Regeln hier nicht erst durch die Taliban eingeführt werden. Artikel 3 der afghanischen Verfassung von 2004 verbietet, dass irgendein Gesetz dieses Staates dem Islam widerspricht, und das ist gesellschaftlicher Konsens. Nun ist aber die Scharia nicht ein Kodex, der alles und jedes klar regelt, und viele Vorschriften der damaligen Taliban lassen sich überhaupt nicht verbindlich aus ihr herleiten. Etwa, dass Kino verboten ist, keine Musik auf Hochzeiten gespielt werden darf oder Frauen nicht eigenverantwortlich aus dem Haus oder ohne Strümpfe in ihren Gummischlappen gehen dürfen. Auf Sex außerhalb der Ehe steht zwar die Höchststrafe, aber die Beweisführung ist enorm voraussetzungsvoll. Es geht nicht um die ostentative Steinigung von Frauen, so wie sie damals praktiziert wurde. Die Scharia besagt übrigens auch, dass jeder Muslim und jede Muslima eine Pflicht zur Bildung hat. Daraus ließe sich auch der Schulbesuch für Mädchen ableiten. Sie sehen, die Rechtspraxis hängt an denen, die ihre Interessen durchsetzen wollen.

ZEIT ONLINE: Die Akzeptanz für die traditionelle Auslegung des islamischen Rechts im Sinne der Taliban und traditionelle Gesellschaftsstrukturen – unter anderem, dass Mädchen von ihren Vätern verheiratet werden und ein ungebrochenes Patriarchat herrscht – scheinen gerade in den Peripherien des Landes hoch. Und selbst in großen Städten scheint diese Akzeptanz gegeben im Vergleich zu Nachbarländern wie Tadschikistan und Usbekistan. Warum ist das so?

Baldauf: Die gesellschaftlichen Erfahrungen sind nicht vergleichbar. Es hat in Afghanistan im 20. Jahrhundert nicht den kulturellen Bruch gegeben wie in den damals sowjetischen Nachbargebieten. Die Sowjetmacht duldete keine Autorität neben sich, auch natürlich nicht die des Islam. Das Patriarchat hat sie nicht beseitigt, aber Argumente zu seiner Durchsetzung wurden nicht mehr aus einer Religion bezogen. Aus den Gewalterfahrungen in der Stalinzeit, die fast jede Familie machen musste, haben die Menschen eine Lehre gezogen: Man ist enorm vorsichtig. Diese verschüchternde Erfahrung einer totalitären Staatsgewalt hat man in Afghanistan nicht. Eine gewisse Lust an der Anarchie gehört hier für viele geradezu zum guten Ton. Die Frivolität, mit der sich etwa über den vormaligen Präsidenten Hamid Karsai offen geäußert wurde, wäre zur gleichen Zeit auf der postsowjetischen Seite der Kulturgrenze undenkbar gewesen."

Weiter geht's hier: https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2021-08/ingeborg-baldauf-afghanistan-taliban-jugendliche-bevoelkerung-internet-digitalisierung/komplettansicht

 
17 Antworten:

Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von SassiStern am 21.08.2021, 11:17 Uhr

Die Befreiung der Provinz Baglan durch örtliche Milizen und afghanische Soldaten. Wohl 200-300 tote Talibankämpfer. Die 1. Gegenoffensive der Taliban wurde abgewehrt und die 2. läuft gerade.

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Re: Interessanter ZEIT-Online-Artikel zu Afghanistan...

Antwort von Mehtab am 21.08.2021, 11:23 Uhr

Danke für den Beitrag!

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von Mehtab am 21.08.2021, 11:28 Uhr

Woher hast du diese Info?

So schön es ist, dass es noch Widerstand gegen die Taliban gibt, aber ich sehe durchaus die Gefahr eines Bürgerkrieges in Afghanistan und weiß nicht, ob ich das besser oder schlechter finden soll als die Talibanherrschaft, die natürlich eine Katastrophe ist.

Das Ganze ist sehr komplex, und niemand weiß, wie es ausgehen wird. Ich wäre schon froh, wenn Ortskräfte ausgeflogen werden könnten. Hier spielt sich ja gerade auch eine Katastrophe ab, schon ganz ohne die Taliban, die natürlich auch noch dazukommen.

Ich hoffe auch auf gemäßigte Taliban, falls es die geben sollte.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von Kater Keks am 21.08.2021, 11:37 Uhr

Woher hast du diese Info? Ich finde darüber nichts.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von SassiStern am 21.08.2021, 11:51 Uhr

Bekannte von mir arbeiten in Asien im Sicherheitsbereich. Unter anderem auch im Bereich Social Media Analyse. Indische Medien thematisieren den Widerstand in Afghanistan wohl ziemlich genau, auch weil die Taliban angeblich in Kaschmir aktiv werden wollen. Und gemäßigte Taliban gibt es nicht, dass sind nur diplomatische Tricks damit sie in Ruhe ihre Herrschaft in Afghanistan sichern können. Später können sie ja dann machen was sie wollen. Sprichwort bei den Taliban: "Ihr baut die Uhren aber wir haben die Zeit." Dürfte wohl jedem klar sein was das bedeutet.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von SassiStern am 21.08.2021, 11:53 Uhr

Siehe Antwort auf Methab. Ich lasse mir die Infos mailen von den erwähnten Bekannten. In wenigen Tagen dürfte es dann auch in den deutschen Medien sein.

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Re: Interessanter ZEIT-Online-Artikel zu Afghanistan...

Antwort von Zwergenalarm am 21.08.2021, 12:41 Uhr

Das wird wahrscheinlich das größte Problem der modernen „Kolonisation“ sein.

Wir verbinden die Werte der modernen Zivilisation vorwiegend mit unseren im weitesten Sinn christlichen Traditionen. Der bei uns vorherrschende Reichtum gibt uns in unseren Breitengraden ja auch Recht, deshalb funktioniert Demokratie bei uns ja auch.

Dass Leben auf eine andere Art auch möglich ist existiert doch in den meisten Vorstellungen hier gar nicht. Und trotzdem ist es das Allheilmittel für die ganze Welt?

Vielleicht würde es dem Westen zur Abwechslung mal ganz gut tun einfach zuzuhören statt gleich hinzuschlagen.

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Re: Interessanter ZEIT-Online-Artikel zu Afghanistan...

Antwort von pauline-maus am 21.08.2021, 13:38 Uhr

richtig , viele , sehr viele ethnien , religionen oder völker sind noch gar nicht oder sogar niemals bereit für unsere art des lebens. und dazu haben sie auch jedes recht.

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Re: Neues vom afghanischen Widerstand

Antwort von SassiStern am 22.08.2021, 8:20 Uhr

Die Lage in der Provinz Baglan ist aktuell unklar. Die Taliban haben ihre kampfstärkste Einheit geschickt um den Aufstand dort niederzuschlagen. Diese ist wesentlich besser bewaffnet als die örtliche Milizen und zahlenmäßig weit überlegen. Trotzdem ist die Moral der Aufständischen sehr hoch. Sie haben angekündigt zur Not bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und lieber als freie Männer zu sterben, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Vermutlich werden sie sich in die Berge zurückziehen wo die Taliban ihnen ohne ihre Fahrzeuge folgen müssten.
In der Provinz Wardak hat sich eine Hazara Miliz dem Widerstand angeschlossen und konnte die Taliban aus mehreren Bezirken der Provinz vertreiben.
Weiterhin werden aus verschiedensten Landesteilen aktuell kleinere Gefechte gemeldet.
Augenzeugen berichten von dutzenden Hinrichtungen in den letzten Tagen. Betroffen sind vor allem ehemalige Soldaten und Sicherheitskräfte die kapituliert hatten oder gefangen genommen wurden. In Kandahar der Hochburg der Taliban fanden wohl inzwischen schon mehrere Hinrichtungen öffentlich mit mehreren tausend Zuschauern statt. Kandahar gilt als absolute Talibanhochburg.
Landesweit wird von hunderten Übergriffen auf Frauen berichtet die sich nicht Regelkonform verhalten haben in Form von Vergewaltigungen, verprügeln und Auspeitschungen. Ein Mädchen soll getötet worden sein weil sie eine Jeanshose getragen hat.
Außerdem sollen viele Mädchen ab 12 Jahre inzwischen mit Talibankämpfern zwangsverheiratet worden sein.

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Re: Neues vom afghanischen Widerstand

Antwort von Hase67 am 22.08.2021, 8:44 Uhr

Dein Text klingt, als ob du eine (militärische?) Quelle zitierst.

Dass es lokale Gefechte von Widerstandsmilizen gegen die Taliban gibt, überrascht einen ja nicht wirklich. Die Frage, die sich mir aber stellt ist, wie viel diese zahlenmäßig unterlegenen, weniger gut vernetzten und mit Material wesentlich weniger gut versorgten Gruppen ausrichten können. Widerstandsnester in den Bergen, wohin man ihnen mit Fahrzeugen nicht folgen kann, kann man ja auch nur schwer zu einer größeren Truppe zusammentrommeln - die müssten ja auch zu Fuß (oder mit Eseln?) erst mal wieder von dort weg, wenn sie dort überhaupt kontaktiert werden können (haben Handys in den Bergen Empfang?)

Dass das, was die Taliban-Sprecher in Kabul in der Pressekonferenz erzählen, nicht zwangsläufig dem entspricht, was die Talibantruppen dann in den jeweiligen Landesteilen tun, überrascht leider auch nicht. Zum einen kann das, was die Sprecher erzählen, Scheindiplomatie sein, zum anderen werden die jeweiligen Ortsgruppen schwer zu kontrollieren sein - sofern man das überhaupt will. Wenn sie in größeren Städten Präsenz zeigen, patrouillieren und Safe Houses aufsuchen, ist das da evtl. erst mal Drohgebärde und Machtdemonstration genug. Im Hinterland werden die auch nicht ihre besten und klügsten Männer haben.

Wie auch immer, abgesehen von den Kampfhandlungen vor Ort finde ich es aus deutscher Sicht wichtig, möglichst schnell möglichst viele der Leute, die mit der Bundeswehr, mit NGOs und westlichen Nachrichtenagenturen kooperiert haben, aus dem Land zu holen und dabei auch mit den USA besser zu kooperieren. Damit Leute, die sich zwar in Kabul verstecken, aber noch nicht wissen, wie sie zum Flughafen kommen, militärischen Schutz bekommen, dass sie ausgeflogen werden können. Und man gemeinsam mit diesen Augenzeugen von hier aus überlegen kann, was man für die Bevölkerung in Afghanistan noch tun kann.

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Re: Neues vom afghanischen Widerstand

Antwort von SassiStern am 22.08.2021, 9:17 Uhr

Ist nicht direkt eine militärische Quelle, sondern eine Quelle aus dem Sicherheitsbereich. Dazu hatte ich Methab schon etwas geschrieben. Zur Kommunikation genutzt werden außer normalen Smartphon auch (verschlüsselte) Funkgeräte und zumindest größere Gruppen verfügen auch über Satellitentelefone, mit denen man überall Empfang hat. Das Hauptproblem beim Rückzug in die Berge ist, dass wenn die Kämpfer namentlich bekannt sind die Taliban sich einfach ihre Frauen und Kinder schnappen. Also müssen sie ihre Familien auch noch verstecken bzw. mitnehmen, was das Ganze viel schwieriger macht. Bei den Hazara Milizen sollen übrigens auch Frauen kämpfend mit dabei sein. Je mehr Zeit die Taliban bekommen um ihre Herrschaft abzusichern desto gefährlicher und brutaler werden sie werden. Aktuell haben sie in ganz Afghanistan angeblich nur etwa 80.000 Kämpfer, zu wenig um so ein großes Land zu halten. Deswegen versuchen sie es jetzt auch überall wo es geht mit Diplomatie und Geld. Wenn sie aber demnächst die Wehrpflicht einführen und einige Jahre vergehen dann werden sie ein Vielfaches an Soldaten zur Verfügung haben. Der Widerstand wird jetzt in kurzer Zeit einige Erfolge brauchen. So dass er auch aus dem Ausland als gewichtiger Faktor eingeschätzt wird. Nur dann wird es überhaupt größere Unterstützung geben. Vom Westen hat man aber auch dort die Nase voll. Man hofft auf logistische Unterstützung aus Indien, Usbekistan, Tadschikistan und möglicherweise Rußland.

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Re: Neues vom afghanischen Widerstand

Antwort von Hase67 am 22.08.2021, 10:15 Uhr

Danke. Und mit den Hazara (wenn die es mit Unterstützung tatsächlich schaffen, sich gegen die Taliban durchsetzen) schafft man sich kein neues, diesmal schiitisches, Problem? Ziel sollte ja eine friedliche Koexistenz mit den Paschtunen sein... Ist sicher auch spannend, wie der Iran reagiert, im Moment nehmen die ja Flüchtlinge aus Afghanistan auf, zumindest in Übergangszonen.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von Mehtab am 22.08.2021, 12:24 Uhr

Danke!

Ja, das befürchte ich auch, dass es, wenn überhaupt, nur wenige gemäßigte Taliban gibt, die sich dann, wenn es hart auf hart kommt, nicht durchsetzen können gegen die brutalen fundamentalistischen Taliban. Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Re: Harte Kämpfe in Baglan Provinz

Antwort von SassiStern am 22.08.2021, 12:51 Uhr

Die Hazara leben vor allem im Zentrum Afghanistans, deshalb können sie vom Iran aus schlecht unterstützt werden. Wie sich das in dieser Beziehung entwickelt ist noch völlig offen.

Aktuell steckt ein riesiger lang gezogener Taliban Konvoi mit ca. 3000 Elite Kämpfern in Baglan fest und wird von verschiedenen Milizen Stellungen in den Bergen beschossen. Die Taliban versuchen diese Stellungen zu erobern. Angeblich wurden mehrere Frauen und Kinder von den Taliban nun als Geiseln genommen bzw. schon getötet. Auf Grund dieser Nachrichten wächst die Zahl der Einwohner die dort zu den Waffen greifen und sich in die Berge flüchten rapide an. Inzwischen sollen es mehrere 1000 sein die sich dem Kampf anschließen. Deshalb haben die Taliban wohl inzwischen weitere Verstärkung angefordert.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von SassiStern am 22.08.2021, 12:52 Uhr

Updates zum geschehen weiter unten bei Hase.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von Mehtab am 22.08.2021, 13:57 Uhr

Danke, das habe ich schon gelesen. Ich bin hier voll mit dabei und sehr interessiert.

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Re: Afghanischer Widerstand meldet

Antwort von SassiStern am 22.08.2021, 14:46 Uhr

Bin sicher erst Morgen wieder im Internet. Es kam noch eine Meldung rein. Scheinbar haben Dorfbewohner dutzende von privaten Autos hinter dem Talibankonvoi auf einem Bergpass geparkt. Man hofft die Falle ist zugeschnappt und die Taliban müssen ihre Fahrzeuge verlassen um zu fliehen. Lage insgesamt völlig unübersichtlich. Verluste auf Seiten der Taliban sollen unerwartet hoch sein. Die nächsten Tage dürften entscheiden ob der Widerstand Chancen hat oder nur ein Strohfeuer bleibt.

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