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Geschrieben von Hase67 am 06.03.2013, 14:47 Uhr

Ich werd noch wahnsinnig.. meine Mutter (lange Antwort)

Hi,

das ist so ein klassisches Co-Abhängigkeits-Muster, das ihr da miteinander habt. Die Mutter ist abhängig (von Zuwendung und Süßigkeiten) und (angeblich) hilflos, ihr meint, euch aus Pflicht-/Verantwortungsgefühl nicht abgrenzen zu dürfen und haltet dadurch die bestehende Situation aber auch am Laufen, weil ihr mit verhindert, dass sie sich ihrer Verantwortung endlich stellt.

Nur, damit du nicht denkst, ich wüsste nicht, wie sich so was anfühlt:
Meine eigene Mutter hat zeitlebens (sie ist vor knapp 7 Jahren gestorben) immer die Verantwortung für ihr eigenes Unglück auf andere und "die Umstände" geschoben. Sie saß jahrzehntelang in einer todunglücklichen Ehe fest (obwohl sie berufstätig und damit finanziell unabhängig war und sich ohnehin komplett allein um uns kümmerte, es hätte sich für sie durch eine Scheidung also nur etwas zum Besseren ändern können), sie fing irgendwann zu trinken an und baute dann im betrunkenen Zustand eínen gefährlichen Unfall, trennte sich irgendwann doch und geriet bald in eine neue Ehe, in der der Mann wieder "der Falsche" war und sie schnell wieder am selben Punkt war wie vorher; beruflich manövrierte sie sich zusehends ins Aus, weil sie so extrem viel schuftete, dass sie irgendwann körperlich nicht mehr konnte, finanziell stand es ihr bis zur Halskrause, weil sie alle guten Ratschläge zum Kauf eines alten Fachwerkhauses in den Wind geschlagen hatte, und am Ende erkrankte sie (nach über 40 Jahren schwerem Nikotinkonsum, Alkohol und unvernünftigster Ernährung) an Krebs und verstarb an einer Komplikation.

Sie hat ein tragisches Leben geführt und ist einen viel zu frühen Tod gestorben - dazwischen lagen Jahrzehnte, in denen sie immer wieder mit ihrer Situation haderte, sich bei mir und ihren Freundinnen ausweinte, aber nicht einen Ratschlag, Hilfsangebot oder konstruktive Zuwendung angenommen hätte. Während meines Studiums bahnte sich die endgültige Trennung von meinem Vater an, und auch während meiner Prüfungsphase hat sie mich oft täglich mehrmals, oft auch bis spätabends, angerufen und mir ihr Leid geklagt, Hilfsangebote aber immer wieder ausgeschlagen oder vom Tisch gewischt, darum ging es ihr nicht. Die Augen geöffnet hat es mir letztendlich erst Jahre später, als ich selbst Mutter wurde und sie nach der Entbindung, als ich sie zu uns eingeladen hatte, um ihr ihr Enkelkind zu zeigen und etwas Unterstützung in den ersten Tagen zu haben, durch betontes Desinteresse glänzte und sich schnellstmöglich wieder aus dem Staub machte - sie stand einfach nicht mehr an erster Stelle in meinem Leben und hielt das nicht aus. Meinen Sohn hat sie übrigens erst kennengelernt, als er bereits ein Jahr alt war.

Ich habe aus reinem Selbstschutz vom damaligen Zeitpunkt an den Kontakt mit ihr auf das Nötigste beschränkt, ihr bei Jammeranflügen am Telefon direkt mitgeteilt, dass ich mich nicht in der Lage sehe, ihr zu helfen, weil ich ihre Geschichte längst kenne und auch alle bisherigen Gespräche nie zu einem Ergebnis geführt haben, dass ich sie deshalb bitte, sich anderswo ein offenes Ohr oder Hilfe zu suchen. Sie war natürlich vor den Kopf gestoßen, hat aber gespürt, dass es mir ernst ist.

Dass sie letztendlich ihre Chancen nicht genutzt hat und nicht mehr aus ihrer Selbstzerstörungs-Endlosschleife herauskam, hat noch einige Zeit nach ihrem Tod an mir genagt. Ich fand es so traurig, so ausweglos und sinnlos. Ich habe oft bei der Vorstellung geweint, wie sich das wohl angefühlt haben mag. Aber ich habe mich nicht mehr verantwortlich gefühlt, nur noch mitfühlend. Sie hat es so entscheiden, es war ihre Art, ihr Leben zu leben.

Ich denke, bei deiner Mutter ist es genauso: Sie hat ihren Weg gewählt, und ihr habt es nicht in der Hand, ob sie sich selbst zerstört oder nicht. Wenn die professionellen Diabetesschulungen in der Klinik sie nicht überzeugen, könnt ihr es erst recht nicht. Die einzige Möglichkeit, die ihr für euch habt ist, euch nicht mehr in diesen Kreislauf aus "Ich zerstöre mich selbst, dann kümmert sich jemand um mich" hineinzubegeben. Mag sein, dass sie dann aufwacht. Mag auch sein, dass sie sich nicht mehr fängt und sich verraten und verkauft fühlt. Aber ihr seid nicht für eure Mutter verantwortlich, sie darf selbst entscheiden, ob, wie und womit sie sich zerstört.

LG

Nicole

 
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