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Geschrieben von +emfut+ am 02.03.2010, 21:43 Uhr

Ich muß mal was erzählen - Cybermobbing

Das Thema ist für uns jetzt weitgehend durch - deswegen kann ich es jetzt erzählen. Ich möchte es erzählen, um andere zu warnen - und um alle mal zu bitten, das zu Hause mit ihren Kindern zu thematisieren. Und zwar von der Opfer- aber auch von der Täterseite aus.

Fumi war letzte Woche im Skilager mit 2 Klassen ihrer Klassenstufe. Achte Klassen, die Schüler sind also zwischen 13 und 15, Fumi ist eine der Jüngeren in der Klasse, aber gut integriert und nicht unbeliebt.

Am vorletzten Tag des Aufenthalts hat ein Junge der Parallelklasse sie mit einem wirklich ziemlich schlimmen Schimpfwort belegt. Sie war sauer und erzählte das anderen Klassenkameraden, so nach dem Motto: "Der X hat xxx zu mir gesagt, ist das nicht eine Frechheit?!?!?!" Die meisten Klassenkameraden fanden das Schimpfwort auch "zu viel" und unterstützten Fumi - was den Knaben wiederum sauer machte. Ein einziger Junge stand zu ihm.

Dann fuhr die ganze Bagage nach Hause und für Fumi war das Thema durch.

Nicht jedoch für den Knaben. Er versuchte den ganzen Samstag, Fumi auf allen Online-Kanälen (öffentlichen wie Facebook und nicht-öffentlichen wie Skype) und schließlich auch per Handy zu erreichen, damit sie sich bei ihm für das "Herumgetratsche" entschuldigt. Fumi ignorierte ihn gepflegt.

Ja, und dann wurde es häßlich:
Der Knabe und der andere, der auf seiner Seite war, bombardierten Fumi auf ebenjenen öffentlichen und nicht-öffentlichen Kanälen mit Ausdrücken, die SEHR explizit wurden. Es ging um sexuelle Demütigungen, Praktiken, angebliche Promiskuität und solche Dinge.

Es ging mit Skype los - Fumi chattete eigentlich gerade mit einem Kumpel (kein Klassenkamerad), aber ständig kamen Messages von den beiden Knaben dazwischen. Leider rief sie mich erst zu Hilfe, als es wirklich überhand nahm - sie wußte nicht, daß man einen Skype-Namen auf "ignore" setzen kann. Ich habe die beiden Knaben dann geblockt für sie. Aber ein Blick auf die (für Freunde und Freundesfreunde - also die halbe Schule und noch einges drumherum sichtbaren) Freundesnetzwerk-Seiten, auf denen Fumi und die Knaben vertreten sind, zeigte die gleichen expliziten Beleidigungen auch dort.

Ich habe dann den Computer erstmal ausgeschaltet - Fumi war völlig aufgelöst, weinte, zitterte. Sie ging dann ins Bett und weinte sich in den Schlaf. Sie schlief in der Nacht in meinem Bett.

Am Sonntag hat Fumi mir dann die Erlaubnis gegeben, daß ich mir über ihre Accounts die Knaben vorknöpfe.

Es war fast zu einfach: Kaum habe ich mich als Fumis Mutter in Skype und in den Freundesnetzwerken geoutet, waren die beiden Jungs nur noch jammernde Waschlappen. Sie haben alles gelöscht, sich mehrfach entschuldigt.

Fumi hatte gestern Angst, in die Schule zu gehen. Aber die Jungs krochen gestern und heute fast auf Knien rutschend über den Schulhof.

Lange Geschichte - zwei Fazits, die ich hier gerne weitergeben möchte:

1. Was ich versäumt habe, und was ich Euch ans Herz legen möchte: Zeigt Euren Kindern, wie sie bei sowas reagieren können. Wißt Ihr, wie man bei Facebook oder bei den Lokalisten oder bei WKW oder so auch immer ihr bzw. Eure Kinder vertreten seid einen Mißbrauch meldet? Wissen es Eure Kinder? Ist Euren Kindern bewußt, daß man sowas überhaupt melden kann? Wissen sie, daß sie Euch jederzeit ansprechen können bei sowas? Wissen sie, daß man das nicht "ertragen" muß?

2. Die Knaben waren Buben, kleine Jungs, 13jährige Milchbubis. Auf den Bildern im Internet (ähh, ja, da waren Bilder, und nicht zu knapp) sahen sie aus wie die Sorte Jungs, die bei mir so einen Beschützerinstinkt auslösen: Kinder in den Klamotten von Jugendlichen, Bubis mit den Posen von Heranwachsenden, kleine Gangsta-Rapper mit dem Blick von um Anerkennung heischenden Grundschülern. Die beiden sind aus gutem Hause - aus EXTREM gutem Hause *räusper*. Trotzdem haben sie eine Grenze überschritten. Ich bin der festen Überzeugung, daß sie das nicht wollten, nicht planten. Sie waren selber völlig erschrocken über das, was sie da losgetreten hatten. Sie saßen in ihren heimeligen Kleinjungenszimmern - wahrscheinlich mit Postern von Bayern München und Sido, täglich Bett gemacht und gesaugt von Mama, im Regal die Bücher von Astrid Lindgren und den wilden Kerlen - und ihnen war nicht klar, daß sie da aus ihren kuscheligen Zimmern heraus eine Lawine lostraten. Daß das, was sie da in ihrem kleinen, privaten Kinderzimmern taten, Auswirkungen in der großen, unbekannten Öffentlichkeit hatte. Das hatte ihnen niemand gesagt - keiner hatte es für nötig gefunden, ihnen das zu erklären.

Ich habe jetzt eine Unterrichtseinheit zum Themenkomplex Cybermobbing - Medienkompetenz - Web 2.0 in der Schule angeregt. Diese Anregung fiel auf fruchtbaren Boden. Fumi steht in Kontakt mit dem Vertrauenslehrer. Die Jungs sind zutiefst beschämt. Alles, was sie geschrieben haben, liegt als Screenshot oder Gesprächsprotokoll hier auf dem Rechner - just in case. Fumis Accounts bei den betroffenen Freundenetzwerken ruhen - wir überlegen noch, ob wir sie ganz löschen oder irgendwann reaktivieren. Derzeit bewegt sie sich nur in einem Netzwerk, in dem die Knaben nicht sind. Das erste Mal freut sie sich, diese Schule im Sommer wahrscheinlich zu verlassen. Sie ist psychisch angeschlagen, aber nicht (mehr) am Boden. Sie wird sich erholen. Deswegen ist die Sache für mich jetzt weitgehend abgeschlossen - der Rest wird sich ergeben.

Aber ich bin erschrocken, und dieser Schreck hat mich nachdenklich gemacht.

Ich habe einiges richtig gemacht - daß Fumis Profil nicht auf ihren echten Namen läuft, daß es sehr strenge Privateinstellungen hat, daß Fumi grundsätzlich mit den Gefahren des Internets vertraut war, das hat sicher geholfen.

Ich habe einiges falsch gemacht - daß Fumi (und an manchen Stellen sogar ich) nicht wußte, was man tun kann, wie man sowas sperrt/meldet, das war nicht hilfreich.

Und manches hätte ich gar nicht richtig oder falsch machen können - die fiesen Sprüche an den Pinnwänden der beiden Knaben waren nicht zu verhindern. Auch dann nicht, wenn Fumi gar nicht in irgendwelchen Netzwerken gewesen wäre.

Und das will ich an Euch weitergeben. Vielleicht kommt es bei dem einen oder anderen an.

Wobei meine wichtigste Botschaft ist: Glaubt BITTE BITTE nicht, daß Eure Kinder "sowas" nie machen würden. Diese Jungs waren die unwahrscheinlichsten Kandidaten dafür - sie haben es trotzdem gemacht. Eure Kinder können Opfer werden - aber sie können mit der gleichen Wahrscheinlichkeit Täter werden. Achtet auf Eure Kinder!

Gruß,
Elisabeth.

 
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