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Geschrieben von Hase67 am 21.06.2022, 10:24 Uhr

@Sille74

Ich hole es mal hoch, weil ich mir nicht sicher bin, ob du unten noch liest.

Du schreibst:
"... vermehrt zu hören bekomme: "wenn ich Ahmet/Ayse heißen würde, hätte ich schon längst ... "

Das ist natürlich absoluter Blödsinn! Die "Ahmets" und "Ayses" kommen auch hilfesuchend zu mir und stehen kein Haar besser dar, eher sogar im Gegenteil (was ich allerdings nicht auf Rassismus o.ä. zurückführe; das näher ausführen möchte ich nicht und würde eh zu weit abschweifen).

Es ist aber doch bedenklich, dass offenbar in wohl gar nicht so ganz kleinen Teilen der "biodeutschen" Bevölkerung dieser Eindruck entstanden ist. Natürlich kann man das jetzt gleich wieder als Beleg deuten, dass viele "Biodeutsche" pöse Rassisten sind ... Das ist mir aber zu einfach. Der Ärger dieser Leute richtet sich nämlich im Grunde nicht gegen "Ahmet" und "Ayse", sondern gegen Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. Meiner Meinung nach trägt zu dieser Wahrnehmung so ein aggressives Verhalten, wie es z.B. Frau Ataman an den Tag legt, stark bei. Denn viele fügen auch noch hinzu, dass halt die am besten fahren würden, die am lautesten schreien würden und dass bei unserer Geschichte halt die "Rassismus-Keule" sowieso immer ziehe ... Ich bin NICHT der Meinung, dass rechte/rechtsextreme Kräfte wie z.B. die AfD ursächlich für diese Stimmung sind (ich würde mal behaupten, dass viele dieser Menschen, die so etwas äußern, wenig mit Politik und im Speziellen der AfD am Hut haben und nicht selten sogar eigentlich klassisch am ehesten SPD-Klientel sein müssten), sondern diese nutzen und schüren sie "nur" geschickt. Und wenn bei dieser Gefühlslage dann auch noch die Menschen mit Migrationshintergrund durch solche Bemerkungen wie die mit den Beatmungsgeräten wenn nicht aufgehetzt, dann zumindest aufgeschrdckt werden ..."

Wenn du in einem Bereich arbeitest, in dem - zum Beispiel - Sozial- oder Krankenleistungen bewilligt werden, dann wirst du natürlich täglich mit solchen Situationen konfrontiert, die ich eher nicht zu sehen bekomme, ich habe in meinem Umfeld mehr Leute, die - wenn überhaupt - nur sehr wenig staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, da selbstständig/Freiberufler. Aber das nur vorweg

Zum einen denke ich, dass dieses "Ayse oder Ahmed würden mehr kriegen als ich" ein ganz normaler menschlicher Sozialneid zum Ausdruck kommt. Außer dem missgünstigen Schielen auf das Gras, das auf der anderen Seite des Zaunes grüner ist, kann das ja auch Ansporn sein, weil man sich am Beispiel der anderen misst. Bei staatlichen Zuwendungen, weil man da "nehmen muss, was einem zusteht", wird dieses "selber was tun" aber durch die Passivität ausgehebelt. Man hat dann aber möglicherweise bessere Chancen, wenn man sich in einem Netzwerk von Leuten bewegt, die wissen, "was geht". Das KANN (ich möchte jetzt bitte keine rassistischen Vorurteile schüren, aber solche Fälle gibt es ja) auch von Vorteil sein, wenn man zum Beispiel eine eng vernetzte und solidarische Großfamilie im Sinne eines "Clans" ist im Gegensatz zur sprichwörtlichen einsamen Omi, die im Ämterdschungel auf sich allein gestellt ist. Wir haben nun mal ein System, in dem man sich selbst kümmern muss, und da hilft es, wenn man selbst nicht so versiert oder etwas schüchtern ist, jemanden zur Seite zu haben, der nicht lockerlässt, der nachfragt, der einem unter die Arme greift.

Aber natürlich ist das hinter diesem Sozialneid stehende Grundproblem vielschichtig, und da gebe ich dir Recht, dass Rechtspopulisten wie von der AfD, einer polemisierenden Berichterstattung oder Hass und Hetze in den sozialen Medien eher die Spitze des Eisbergs sind. Die Gründe dafür, dass so etwas auf fruchtbaren Boden fällt, sind natürlich reale Abstiegsängste, jetzt auch wieder konkret spürbar durch weniger Kaufkraft und Ohnmachtsgefühle diesen Entwicklungen gegenüber. Ein Großteil der Bevölkerung kann ja nicht einfach so "seine Einnahmen steigern", ist Preissteigerungen also hilflos ausgeliefert.

Ich glaube aber, dass es gerade in so einer Situation auch fatal ist, kommunikative Lücken zu lassen, in die dann zum Beispiel die AfD oder auch eine Sahra Wagenknecht springen. Und das hat sowohl die vergangene Bundesregierung getan, und Olaf Scholz tut es jetzt wieder. Die Leute wollen nicht eingelullt werden, und da draußen tummeln sich viel weniger "schlichte Gemüter", als die Politik es vielleicht denkt. Die Leute wollen keine Scheuklappen verpasst bekommen oder immer wieder hören, wie toll die deutsche Politik alles im Griff hat und dass sich niemand Sorgen machen muss. Wenn man die konkrete Not vor Augen hat und merkt, wie viel man nicht mehr bezahlen kann und dann in den Medien liest, dass das erst der Anfang war, dann fühlt man sich durch Sonntagsreden für dumm verkauft, und dann ist man auch anfällig für schuldzuweisende Parolen.

eshalb ist es so wichtig, die Überlegungen der Politik offenzulegen, auch klarzumachen, was politisch und wirtschaftlich notwendig ist und was nicht mehr geht. Meines Erachtens verträgt der Wähler mehr Tacheles, wenn man ihm zeigt, dass die Politik keineswegs nur "nach Gutsherrenart" entscheidet oder erst dem einen, dann dem anderen Lobbyisten hinterherrennt, sondern dass da Leute sitzen, die wirklich wissen, was sie tun und eben nicht nur Phrasen dreschen. Das ist ja genau der Grund, weshalb Habeck so gut ankommt. Es ist ja noch nicht mal so, dass er wirklich "auf Augenhöhe" mit den Bürgern redet, denn es ist ja klar, dass er entscheidet und wir hinterhertappen. Aber er gibt einem das Gefühl, dass er weiß, was er da tut, auch wenn es schwierig und holprig und mühsam ist. Man bekommt das Gefühl, da kümmert sich einer. Das Scholzsche (oder früher Merkelsche) "Sorgt euch nicht, wir regeln das für euch" gibt einem dagegen eher das Gefühl, dass man zum Stillschweigen gebracht werden soll, obwohl vieles eben gar nicht gut läuft.

Dass jemand wie Ataman polarisiert, bestreite ich überhaupt nicht - in dem Bereich, in dem sie unterwegs ist, kommt sie m. E. sonst wirklich auf keinen grünen Zweig und erreicht nichts. Manchmal muss man auch mit dem Kopf durch die Wand. Wobei ich nicht weiß, ws sie auf Twitter geschrieben und anschließend wieder gelöscht hat, dazu kann ich nichts sagen, kann schon sein, dass sie manchmal auch erst lospoltert und dann denkt. In diese Kategorie fällt für mich auch die Äußerung mit den Beatmungsgeräten - das ist sicherlich auch zu einem Gutteil Aufmerksamkeitsheischen.

Um aber noch mal den Bogen zurück zu dem Ausgangsartikel von Mansour zu schlagen: Den finde ich deshalb so polemisch, weil Mansour statt einer differenzierten Kritik an den Äußerungen Atamans (indem er zum Beispiel schreibt, dass er diese Polarisierung für gesellschaftlichen Sprengstoff hält), sehr oberflächlich bleibt und versucht, ihre Person unmöglich zu machen, indem er ganz billige Buzzwords in seinen Text einstreut, auf die die Focus-Leser zuverlässig anspringen. Das ist für mich schlechter Stil und Meinungsmache. Und ja, das finde ich auch, wenn ich Herrn Mansours Kritik an einem unkritischen Umgang mit dem radikalen politischen Islam vernünftig finde und er ein liberaler Muslim ist. Und ja, ich finde, dass er sich mit dieser Art der Argumentation zum Sprachrohr (und nützlichen Idioten) eines erzkonservativen Altherren- und White-Privilege-Mindsets macht. Das hat aber nichts damit zu tun, dass er ein liberaler Muslim und generell ernstzunehmender Autor ist, sondern allein mit der Machart dieses Artikels.

 
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