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Geschrieben von ursel am 16.02.2010, 22:27 Uhr

Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

so, zu später stunde...
zu dem beitrag von gestern über westerwelles empörung über dekadente sozialschmarotzer und dem mehrfachen beifall dazu möchte ich euch einen artikel aus unserer heutigen zeitung nicht vorenthalten.

http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=1173727&kat=3



Hartz-IV-Republik Deutschland: Ein Gespräch mit Christoph Butterwegge
Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

«Gesetz der Angst« nennt der Kölner Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge die Hartz-IV-Reform. Warum er auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuberechnung der Regelsätze bei seiner Bewertung bleibt, erklärt er folgenden Interview.

Frage: Herr Professor Butterwegge, Sie haben gesagt, Deutschland sei auf dem Weg, eine Hartz-IV-Gesellschaft zu werden. Warum hat diese Reform unser Land so radikal verändert?

Christoph Butterwegge: Hartz IV hat mit dem Prinzip der Lebensstandardsicherung gebrochen. Dieser für einen modernen Sozialstaat konstitutive Grundsatz entspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, das die Hartz-Gesetze verletzt haben. Hartz IV war nicht einfach nur die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wie das im PR-Jargon der etablierten Politiker immer verharmlost wird, sondern es war schlicht und ergreifend die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Letztere war jedoch eine bis dahin für Millionen Menschen existenziell wichtige Sozialleistung.

Frage: Die Politik und die Bundesagentur für Arbeit sprechen hingegen von Erfolgen, vor allem bei der gestiegenen Vermittlung von Langzeitarbeitlosen.

Butterwegge: Hartz IV hat gar nicht dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit spürbar zurückgegangen ist. Ich würde vielmehr die bis 2008 sehr gute Weltkonjunktur und statistische Effekte dafür verantwortlich machen. Man hat die Arbeitslosendaten bereinigt, indem beispielsweise Erwerbslose, die zu einem privaten Arbeitsvermittler überwechseln, aus der Statistik verschwinden. Das senkt zwar die Arbeitslosenzahl auf dem Papier, aber eben nicht real. Ich würde eher einen zufälligen, aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Einführung von Hartz IV und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit sehen. Genauso wenig hängen ja die Geburtenzahl und die Zahl der Störche zusammen.

Für mich ist Hartz IV ein Gesetz der Angst, das die politische Kultur in der Bundesrepublik beschädigt hat. Wenn die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen größere Zugeständnisse machen oder Menschen unterbezahlte Arbeit annehmen, dann hat das mit ihrer Angst zu tun, bald vor der Tür zu stehen und nach relativ kurzer Zeit auf das Sozialhilfeniveau herabgedrückt zu werden. Aber ist das etwa ein historischer oder sozialer Fortschritt, den man feiern könnte?

Frage: Die neue Bundesregierung hat gerade die ersten 100 Tage im Amt hinter sich gebracht. Ist schon zu erkennen, in welche Richtung sich die Republik entwickelt?

Butterwegge: Der Evangelist Matthäus schreibt, wer hat, dem werde gegeben, und wer nichts hat, dem werde auch das wenige noch genommen. Genau das tut die Bundesregierung gegenwärtig: Auf der einen Seite bedient man die Hotelbesitzer und Firmenerben, indem man die Mehrwertsteuer für Übernachtungen gesenkt und das Erben ganzer Konzerne für die Kinder von Familienunternehmern von der betrieblichen Erbschaftssteuer freigestellt hat. Damit werden Milliarden-Steuergeschenke an die reichsten Kinder im Land gemacht. Während bei den ärmsten Familien jene 20 Euro Kindergeld, die man im Januar «versehentlich« auch Hartz-IV-Empfängern ausgezahlt hat, trotz enormer Verwaltungskosten zurückgefordert werden.

Wer in den Koalitionsvertrag schaut, findet an Dutzenden Stellen bloß Gemeinplätze mit dem Hinweis, dass eine Kommission das Nähere ausarbeiten soll. Nur im Steuerrecht, zum Beispiel hinsichtlich der Entlastung von Hoteliers und Großerben, ist alles ganz detailliert aufgeführt, was geändert werden soll. Daran kann man ganz gut den Charakter dieser Koalition und ihrer Klientelpolitik ablesen.

Frage: Die Europäische Union hat 2010 als Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen. Wie sozial ist das Europa des Lissabon-Vertrags?

Butterwegge: Auf der einen Seite ist die Europäische Union schon seit mehreren Jahren ein Vorreiter bei diesem Thema - im Unterschied etwa zur Bundesrepublik, die Armut verharmlost und verdrängt. Auf der anderen Seite betreibt die EU eine neoliberale, marktorientierte Politik, die beispielsweise die Niedriglohn-Konkurrenz fördert. Wenn man Deregulierung für ein Wundermittel hält und den Marktmechanismen freien Lauf lässt, spalten sich die Gesellschaften noch mehr in Arm und Reich, weil sich auf dem Markt die Starken durchsetzen und die sozial Benachteiligten auf der Strecke bleiben.

Frage: Das heißt, Deutschland und die EU werden sich trotz der Wirtschaftskrise weiter in eine neoliberale Richtung entwickeln?

Butterwegge: Meine These ist, dass die US-Amerikanisierung des Sozialstaates auch eine US-Amerikanisierung der Sozialstrukturen, der politischen Kultur und des gesellschaftlichen Lebens nach sich zieht. Daher sollte sich auch die Mittelschicht gegen den Um- bzw. Abbau des Sozialstaates wehren, der bald in eine neue Runde gehen dürfte. Denn wenn die Weltwirtschaftskrise voll auf den Arbeitsmarkt durchschlägt und dazu führt, dass die Massenarbeitslosigkeit wächst und mehr Dumpinglöhne gezahlt werden, bleiben auch viele derjenigen davon nicht unberührt, die jetzt noch ein relativ hohes Einkommen haben.

Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln

 
13 Antworten:

Also ich weiß gar nicht was ihr alle habt, finde hartz 4 eine tolle sache

Antwort von hausfrau1 am 16.02.2010, 22:46 Uhr

und ich habe auch keine angst davor, warum sollte ich? denn wenn mein mann und ich mal das pech (glück?) haben sollten, unsere jobs zu verlieren, dann wird es uns dank harzt 4 um ein vielfaches besser gehen als jetzt. ich weiß eigentlich gar nicht warum wir überhaupt noch arbeiten gehen, aus anstand, gewohnheit... keine ahnung.

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na, wer versteckt sich denn wohl hier unter diesem Nick????

Antwort von like am 16.02.2010, 23:11 Uhr

Warum verdient ihr denn so wenig?
Auch dafür hat der Mann ne Erklärung.

"Für mich ist Hartz IV ein Gesetz der Angst, das die politische Kultur in der Bundesrepublik beschädigt hat. Wenn die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen größere Zugeständnisse machen oder Menschen unterbezahlte Arbeit annehmen, dann hat das mit ihrer Angst zu tun, bald vor der Tür zu stehen und nach relativ kurzer Zeit auf das Sozialhilfeniveau herabgedrückt zu werden. Aber ist das etwa ein historischer oder sozialer Fortschritt, den man feiern könnte?"

Weiß nicht, ob er da die ganze Ursachenkette überblickt (mit ordentlicher Ausbildung oder Studium ist auch heute der Verdienst nicht sooo schlecht), aber eine gewisse Kausalität ist sicher da.

Klar ist man evtl. sauer, wenn man arbeitet und trotzdem am Existenzminimum lebt, aber deshalb darf der Sozialstaat trotzdem nicht alle Netze fallen lassen - sonst haben wir bald amerikanische Zustände.

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Re: Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

Antwort von Nathalik am 17.02.2010, 0:01 Uhr

Die 3 wichtigsten Punkte:

Soziale Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit


Alles, was dem zuwider läuft, muss bekämpft werden. Dann fangen wir mal an...es gibt viel zu tun...

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Re: Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

Antwort von ursel am 17.02.2010, 0:22 Uhr

nochwas von butterwegge:

»Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung« wird mit der Begründung zum Regierungsprogramm erhoben, man müsse die »Leistungsträger« stärker unterstützen. »Arbeit muß sich wieder lohnen« hatte ausgerechnet die FDP plakatiert – jene Partei, die am energischsten gegen Mindestlöhne eintritt sowie den Leiharbeits- und Minilohnbereich ausweiten möchte."

so isses doch auch. was mich überrascht, ist, dass doch so viele diesen pseudoempörten worten eines herrn w. zustimmen und den zusammenhang nicht sehen wollen.

gefährlich, das.

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Re: Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

Antwort von Maximum am 17.02.2010, 5:30 Uhr

aber sooo schlecht kann doch Harz4 garnicht sein...wenn es sooo schlecht wäre dann würde man sich bemühen da raus zu kommen.Es gibt mitderweile Familien wo schon in 3.Generation nix gearbeitet wird.Die Leben auch,und in deren Kinderzimmer steht auch überall PC und TV...und die alten gehen völlig erholt dann in Rente,ungestresst und ohne schlechtes Gewissen bekommen sie genausoviel Rente wie manch eine Mutter die trotz ihrer 3 KInder arbeiten war...

wenn es sooo schlecht wäre würde man als Empfänger sehen das man da raus kommt und nicht "gewollt"ein Kind nach dem anderen in derselbigen Situation in die Welt setzen.

Ich gehe arbeiten weil ich schon immer gerne unabhängig war und bin,und weil ich zwei Jungs habe für die ich eine Vorbildfunktion habe.
Sollte es durch Krankheit mal anders werden,wird es wohl so sein...dann dürfen die anderen mal für mich arbeiten.

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Re: Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

Antwort von Moneypenny77* am 17.02.2010, 6:34 Uhr

Was mich überrascht, obwohl... neee, eigentlich tut es das doch nicht, ist, wieviele zu doof sind, "die Worte des Herrn W." geistig umzusetzen.

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Re: na, wer versteckt sich denn wohl hier unter diesem Nick????

Antwort von Moneypenny77* am 17.02.2010, 6:46 Uhr

Kausalität hin oder her, die fetten Jahre sind nun einmal vorbei, janz einfach.

Bedanken können wir uns da in erster Linie bei unseren Vorgängergenerationen, die das unser Geld und das unserer Kinder schon einmal verprasst haben.

Aber mit Frau Merkel gehen wir ja nun "Back to the roots", gut, nicht zu meinen, aber immerhin zu ihren, und werden jeden Tag unter ihrer Regierung ein bißchen sozialistischer. Dann wird alles wieder gut, keiner hat viel, keiner wenig, alle sind froh, wie der Mops im Haferstroh.

Glücklicherweise werden wir von Lehrern, Juristen und Wissenschaftlern regiert (und mit tollen Forschungsergebnissen belehrt). Bekanntlich weiß ja niemand besser, wie das Leben funktioniert als die, die es nur in der Theorie kennen.

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ohhohhhohh

Antwort von Einstein-Mama am 17.02.2010, 7:39 Uhr

maximum, du hattest aber sicher ein stabiles elternhaus und gutes futter, oder?
bedien bitte keine klischees, denn es ist eben NICHT einfach aus dem sumpf zu kommen.
und die arbeit liegt nicht auf der straße.
zu westerwelle, das volk hat ihn gewählt, also nicht aufregen!

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Re: Armutsforscher: «Wer nichts hat, dem wird genommen«

Antwort von Jana2 am 17.02.2010, 10:04 Uhr

Oh Nathalik,
Du hast ja sooo Recht!

Aber glaubst Du, dass es WIRKLICH soziale Gerechtigkeit geben kann?
Ich glaube mittlerweile nicht mehr daran.

Im Freundeskreis erlebe ich eine andere Art der sozialen Gerechtigkeit, hier rücken wir alle mehr zusammen, helfen uns gegenseitig. Ohne Frage, was dabei für uns rausspringt!

Für eines ist die heutige Zeit gut, nämlich herauszufinden, welche wirkliche Freunde sind und welche nur große Töne spucken.
Ich verleihe gerne Geld und Auto (das Thema kam ja auch mal auf), aber nur an ECHTE FREUNDE, die dasselbe auch für mich tun würden.

Das soziale Netz, welches man sich schon "in guten Zeiten" knüpfen sollte, bewahrt uns vor dem Untergang. Davon bin ich überzeugt!

Wer es nicht schafft, Freundschaften zu erhalten und nur am Geld scheffeln ist, fällt irgendwann mal auf die Nase.
Dann steht er nämlich allein da und das ganze geld kann ganz schnell futsch sein...

LG Jana

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Re: ohhohhhohh

Antwort von groschi am 17.02.2010, 10:05 Uhr

trotz stabilem elternhaus und gutem futter komme ich aus dem (hoffentlich) momentanen sumpf nicht raus.
dass arbeit sich lohnen muß, ist für mich nachvollziehbar. aber wenn ich noch einmal lese: "wer arbeiten will, findet auch eine arbeit" oder " ach, den alg2-leuten gehts doch allen gut", dann krieg ich pusteln

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Re: ohhohhhohh

Antwort von Jana2 am 17.02.2010, 10:32 Uhr

Aber doch sicher keine Stress-Pusteln, oder? Denn Du sitzt Dir ja zu Hause nur den A... breit!

"Ironie off!"
Meine Freundin reisst sich denselbigen auf, rennt von Pontius zu Pilatus, macht Weiterbildungen ohne Ende und bekommt trotzdem seit Jahren keinen Job.
Sie kommt aus der Hotelbranche, aber mit 2 Kindern kannste das vergessen!

Ihr Mann ist Tischler, hat ziemlich was auf dem Kasten, arbeitet sich in seiner Bude für den Chef 50 Stunden die Woche einen Wolf und trotzdem bekommen sie noch Aufstockung, weil es so nicht reicht!
Das ist bitter!

Als mein Mann vor 4 Jahren auf Jobsuche war, hätte er als Konstrukteur sofort für 1400,-Euro BRUTTO anfangen können!
Nee, danke!
Er hat dann einen Job gefunden, in dem er das Doppelte bekommt.

Laut diesen ganzen schlauen Listen, liegt das noch weit unter dem Einstiegsgehalt ais Konstrukteur, und er hat über 10 Jahre Berufserfahrung!

Naja, wenn ich aus meiner Elternzeit wieder raus bin, verdiene ich auch nicht sooviel, aber dafür ist mein Job ziemlich sicher (ÖD) und das Geld kommt regelmäßig!
Das ist nicht zu verachten!

Tja, man sitzt manchmal auf hohem Roß!
Ich kenne aber einige, die schön gearbeitet und gespart haben. Und jetzt bekommen sie nicht mal H4, weil sie ja zuviel Geld haben....

Dass sie dass (auch) für die Kinder gespart haben, interessiert niemanden!
Dass sie dann kaum geld für später haben, auch nicht...
Ist echt bitter!
Und ich danke Gott, dem Schicksal und weiss wem noch alles, dass ich und meine Familie bis jetzt davon verschont worden sind!
Denn mit Können hat das nix zu tun....

LG Jana

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jana2

Antwort von groschi am 17.02.2010, 12:56 Uhr

auch ohne alg2-bezug habe ich einen breiten hintern...;)

teilweise kann ich das gemecker verstehen: als ich vollzeit im altenheim tätig war und ende des monats auf meinen lohnzettel geschaut habe, kamen mir innerlich die tränen. teilweise habe ich jedes we gearbeitet bei einem freien tag in der woche; überstunden ohne ende; kurze wechsel; löcher in die socken gerannt (ohne ironie), weil ich mit einer schülerin alleine für 40 bewohner zuständig war. und wenn mir dann ein cousin (36, ohne ausbildung oder auch nur einen tag arbeit in seinem leben) erzählte, was er sich von seinem alg2 gegönnt hat...ja, da platzte ich innerlich. heute sitze ich im alg2-boot und würde jederzeit gerne wieder aussteigen. natürlich gibt es sone und solche: manche, die dem medialen prototyp des sozialschmarotzers entsprechen. aber ebenso viele (wenn nicht mehr), die einfach nicht daraus kommen- trotz aller bemühungen. und dann sind solche sprüche wie "denen geht es doch gut" ein wirksames brechmittel

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Re: na, wer versteckt sich denn wohl hier unter diesem Nick????

Antwort von Petra28 am 17.02.2010, 13:30 Uhr

Nothing to add.

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