Rund um die Erziehung

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Geschrieben von Gerhardt am 30.01.2011, 21:58 Uhr

Ein verfühter Aprilscherz oder was?

Kein Aprilscherz, sondern in Sachsen geltendes Recht. Grundlagen sind das "Schulgesetz für den Freistaat Sachsen" und die "Schulgesundheitspflegeverordnung".


Schulgesetz des Freistaates Sachsen vom 16.07.2004
http://www.ms-pulsnitz.de/gesetze/schulgesetz.pdf
http://www.revosax.sachsen.de/Details.do?sid=7981013891103&jtyp=akt


Schulgesundheitspflegeverordnung - SchulGesPflVO vom 10. Januar 2005
http://www.msweischlitz.de/Gesetz/Sachsen/SchulGesPflVO-20040801.pdf
http://www.revosax.sachsen.de/Details.do?sid=64110571293&jtyp=akt


Schulgesetz für den Freistaat Sachsen §26a Schulgesundheitspflege

(4) Alle schulpflichtigen und die von den Eltern gemäß § 27 Abs. 2 angemeldeten Kinder sind verpflichtet, sich einer Schulaufnahmeuntersuchung zu unterziehen. Die Anwesenheit eines Elternteils bei der Schulaufnahmeuntersuchung ist erforderlich.

(5) Weitere Untersuchungen werden in der Klassenstufe 2 oder 3 und in der Klassenstufe 6 durchgeführt. ... Die Schüler sind verpflichtet, dich den Untersuchungen zu unterziehen. Bei den Untersuchungen können die Eltern anwesend sein.

(6) Die Eltern können die Untersuchungen gemäß Absatz 5 Satz 1 durch einen Kinder- oder Hausarzt durchführen lassen. Die Untersuchung muss den Vorgaben für die Untersuchungen durch den öffentlichen Gesundheitsdienst entsprechen. Die Eltern legen dem Schulleiter eine ärztliche Bescheinigung über die Durchführung der Untersuchung vor.


Was passiert bei diesen Untersuchungen?

Darüber, was genau bei diesen Untersuchungen geschieht, schweigt sich der Freistaat Sachsen aus. Weder auf den Websites des Sozialministeriums, der Landesuntersuchungsanstalt, der Landesdirektionen oder der Landratsämter - Gesundheitsamt finden sich Erklärungen. Und eine Aufklärung von Schülern und Eltern findet offenbar auch nicht statt.

Einzig auf folgender Webpages der Freien Presse Chemnitz finden sich Hinweise darauf:

Ministerium verteidigt Pflicht-Untersuchungen für Sechstklässler
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIONALES/7562840.php

Dresden (dapd-lsc-lsc). Das sächsische Gesundheitsministerium hat die eingehende ärztliche Untersuchung für Schüler der sechsten Klassen verteidigt. Es werde bei dieser Praxis und der obligatorischen Untersuchung bleiben, sagte ein Sprecher von Gesundheitsministerin Christine Clauß (CDU) am Freitag der Nachrichtenagentur dapd. Dazu gehöre auch, dass der untersuchende Arzt die äußeren Geschlechtsmerkmale der Schüler in Augenschein nehme.


Meine Meinung: Offensichtlich kommt es zu einer Bestimmung des Pubertätsstadiums anhand einer Untersuchung der Genitalregion (Bestimmung der Tannerstadien):

Tanner - Stadien (Beurteilung der Pubertätsentwicklung)
http://berner.orchidee-cms.de/mediafactory/29_Refrenzwerte/29-11.pdf

Dabei werden die verschiedenen Stadien der Genitalentwicklung und Pubesbehaarung bei Jungen und die Stadien der Brustentwicklung uns Pubesbehaarung bei Mädchen bestimmt.

Jungen müssen sich dazu natürlich die Unterhosen ausziehen. Dann wird der Arzt auch die Hoden abtasten, da die Größe der Hoden ein Maß für die Genitalentwicklung ist. Selbstverständlich wird der Genitalbereich auch in Augenschein genommen.

Mädchen müssen sich zur Inaugenscheinnahme der Brust den BH ausziehen. Zur Beurteilung der Pubesbehaarung schaut der Arzt in die Unterhose.


Ob weitere Untersuchungen vorgesehen sind, ist unbekannt. Ein Anhaltspunkt können Infos auf folgender Webpage sein:

J1-Infos für Ärztinnen und Ärzte zur Jugendgesundheitsuntersuchung - Herausgegeben von der BZgA
www.bzga.de/pdf.php?id=0117c4dfd75413e9216dc43b45b6cc2c

Laut dieser Schrift gilt bei der J1 folgende Vorgehensweise:

bei Mädchen:
• als Kinder- und Jugendarzt ohne gynäkologische Vorbildung kann eine vaginale Inspektion unterbleiben
• der Slip wird kurz angehoben, um sich von der Normalität des äußeren Genitals zu überzeugen und das Pubesstadium festzustellen
• Inspektion der Brust, ... hierfür öffnen die Mädchen kurz ihren BH
• in der Regel ist bei jungen Mädchen ein Abtasten (der Brust Anm. Verfasser) nicht erforderlich, es sei denn, von der Patientin wurden Auffälligkeiten festgestellt

bei Jungen:
• Abtastung der Hoden
• Dokumentation Penis- und Pubesstadium
• Fragen nach Hodenschmerzen und die ungehinderte Beweglichkeit der Vorhaut

Weiter Webpages mit Informationen sind:

Schuluntersuchungen für Jugendliche
http://eltern.t-online.de/schuluntersuchungen-fuer-jugendliche-allgemeiner-gesundheitsstand-und-geschlechtsreife/id_41709942/index

Jugenduntersuchung J1: In der Pubertät zum Arzt
http://eltern.t-online.de/die-jugenduntersuchung-j1-in-der-pubertaet/id_41561402/index

Meine Meinung: Eltern sollten von der Schulleitung und dem Gesundheitsamt genaue Auskunft über Art und Weise sowie Umfang (was genau wird untersucht) der der Schuluntersuchungen verlangen (Untersuchung in der 2. oder 3 Klasse und Untersuchung in der 6. Klasse).




Rechtliche Bewertung:

Es bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit des "Schulgesetz für den Freistaat Sachsen" und der "Schulgesundheitspflegeverordnung" mit Bundesgesetzen (insbesondere mit dem Grundgesetz).

Ich verweise auf folgenden Artikel in der Freien Presse Chemnitz:


Freistaat lässt Sechstklässler splitternackt dastehen
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/THEMA_DES_TAGES_REGIONAL/7562109.php

... Juristen halten das Schulgesetz bezüglich des Paragrafen 26a für sehr bedenklich. Als "wahrscheinlich unzulässig" bezeichnete es Bernd Rüdiger Kern, Professor für bürgerliches und Arztrecht an der Universität Leipzig. ... Dass das Gesetz zudem Unstimmigkeiten aufweise, könne man daran erkennen, dass nicht einmal festgelegt ist, welche Strafen drohen, wenn Eltern die Untersuchungen an ihren Kindern verweigern.

"Wenn ein Grundrecht eingeschränkt wird, muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben", stellt Christoph Enders, Professor für öffentliches Recht in Leipzig, klar. "Es leuchtet nicht recht ein, welches Interesse der Staat an einer Ganzkörperuntersuchung von Sechstklässlern haben kann, bei der auch Genitalien untersucht werden. Eine so umfassende medizinische Begutachtung und die Weitergabe von Daten könnten nur gerechtfertigt sein, wenn der Schulbesuch behindert wird oder andere gefährdet werden."



Meine Meinung:

Schulgesetz für den Freistaat Sachsen §26a Absatz 5 (Schulgesundheitspflege) verstößt gegen das Grundgesetz.
Medizinische Untersuchungen, insbesondere des Intimbereichs (auch bei Schülern der 6. Klasse) gegen den Willen des Betroffenen verstoßen gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.
Dieses beruht auf Grundgesetz Artikel 1 Absatz 1 (Schutz der Menschenwürde) und Artikel 2 Absatz 1 (Freie Entfaltung der Persönlichkeit).

Insbesondere werden die Individualsphäre (Schutz des Selbstbestimmungsrechtes) und die Intimsphäre (Sexualbereich) betroffen. Dabei ist die Intimsphäre dem staatlichen Zugriff verschlossen (näheres siehe Wikipedia: Persönlichkeitsrecht; Intimsphäre; Allgemeine Handlungsfreiheit; Freie Entfaltung der Persönlichkeit).


Desweiteren wird meiner Meinung nach gegen Grundgesetz Artikel 6 Absatz 2 (Elternrecht) verstoßen (siehe dazu in Wikipedia: Schutz von Ehe und Familie).


Eine Grundsätzliche Bemerkung zu den Grundrechten: Grundrechte können durch Gesetz eingeschränkt werden (Artikel 17a GG; Artikel 19 GG).
Grundrechte können auch verwirkt werden (Artikel 18 GG).
Die genannten Grundrechte (Menschenwürde; Freie Entfaltung der Persönlichkeit; Elternrecht) gehören nicht dazu.

Das Grundrecht auf Menschenwürde ist unantastbar.
Das Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird nur durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz; das Elternrecht wird nur durch die Rechte anderer begrenzt (Das Elternrecht durch die Rechte des Kindes).


Verwirklichung in der Praxis:

1. Verweigerung durch Schüler (meine Meinung)

Die Schüler sollten die Schuluntersuchung insgesamt, aber zumindest die Untersuchung des Intimbereichs unter Berufung auf ihr Persönlichkeitsrecht verweigern.
Da bei der Untersuchung selbst die Schüler der geballten Autorität von Arzt, Krankenschwestern, Lehrern ausgesetzt sind, sollten Eltern ihre Kinder begleiten und bei der Verwirklichung ihres Persönlichkeitsrechtes unterstützen.

Andererseits kann der Freistaat Sachsen nicht erwarten, dass die Eltern die Teilnahme ihrer Kinder an den Schuluntersuchungen mit allen Mitteln erzwingen.

Das wäre ein Verstoß gegen BGB § 1631 - Inhalt und Grenzen der Personensorge - Absatz 2: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Außerdem sind Eltern nach BGB § 1626 - Elterliche Sorge, Grundsätze - Absatz 2 angehalten, im Einvernehmen mit ihren Kindern zu handeln.



2. Verweigerung durch Eltern (meine Meinung)

Auch die Eltern haben meiner Ansicht nach das Recht, die Teilnahme ihrer Kinder an den Schuluntersuchungen, insbesondere aber die Untersuchung des Intimbereiches ihrer Kinder zu verweigern.
Voraussetzung ist die Überzeugung der Eltern, dass durch die Schuluntersuchung, insbesondere durch die Untersuchung des Intimbereichs und weitere negative Faktoren das Kindeswohl (siehe Wikipedia) ihrer Kinder gefährdet ist (seelische Verletzung, Traumatisierung).

Die genannten negativen Faktoren können sein:
• Untersuchung durch unbekannten Arzt
• Untersuchung von Jungen durch weibliche, von Mädchen durch männliche Ärzte
• Anwesenheit von Lehrern und weiteren Schülern bei der Untersuchung ohne das Einverständnis des Kindes
• Untersuchung in dafür ungeeigneten Räumen
• ungenügende Aufklärung vor der Untersuchung
• die fehlende Möglichkeit der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechtes durch das Kind (Gruppenzwang, Konfrontation mit Autoritätspersonen).


Achtung:

Allerdings müssen die Eltern damit rechnen, das sich die Schulleitung und das Gesundheitsamt auch auf das Kindeswohl berufen (Schutz vor Vernachlässigung, Früherkennung von Krankheiten, Schutz vor Misshandlung und Missbrauch).
Mit dieser Begründung könnten die Schulleitung und das Gesundheitsamt das Jugendamt (siehe Wikipedia) einschalten.


Aus diesem Grund sollte das Kind an der Jugenduntersuchung J1 teilnehmen. Von der (beabsichtigten) Teilnahme an der J1 sollten die Eltern Schulleitung und Gesundheitsamt in Kenntnis setzen. Die Teilnahme an der J1 sollte auch durch ärztliche Bescheinigung dokumentiert werden.


Zur J1:

Die J1 wird bei 12- bis 14-jährigen Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Sie ist gesetzliche Leistung der Krankenkassen.
Die Teilnahme ist freiwillig.
Es besteht freie Arztwahl.
Und selbstverständlich können die Kinder/Jugendlichen (Persönlichkeitsrecht) und auch die Eltern (im Sinne des Kindeswohles) bestimmte Untersuchungen verweigern.


Zum Thema: "Strafbarkeit" bei Nichtteilnahme an Schuluntersuchungen der Klassen 2/3 und Klasse 6

Im Schulgesetz für den Freistaat Sachsen sind für den Fall der Nichtteilnahme der Schüler tatsächlich weder Strafmaßnahmen gegen die Schüler noch gegen die Eltern vorgesehen.


Schlussbemerkung:

Der §26a SchulG wird wohl solange unverändert bestehen, bis Betroffene (Eltern) Verfassungsbeschwerde erheben (vor Landesverfassungsgericht bzw. Bundesverfassungsgericht [Artikel 93 (1) 4a GG]).

 
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