Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Bindung

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

zur Vita

Frage: Bindung

Tiffi153

Liebe Frau Henkes, ich bin selbst Psychotherapeutin und genau das steht mir im Muttersein etwas im Weg. Ich zerdenke Vieles und etappe mich immer wieder dabei, dass ich mich mit idealen Lehrbuchmüttern vergleiche. Dass es diese in der Realität nicht geben kann und es nach Winnicot darum geht "ausreichend gut" zu sein, ist mir bewusst. Die Frage ist nur, was ist "ausreichend gut"? Ich mache mir viele Gedanken über die Bindungsqualität zwischen mir und meinen Zwillingsjungs. Ich hatte Ihnen vor einigen Wochen schon einmal geschrieben, es lässt mir einfach keine Ruhe. Ich bin selber unsicher gebunden. Ich hoffe, durch Lehranalyse einiges aufgearbeitet zu haben, denke aber, dass Mütter, die selbst unsicher gebunden sind, es schwerer haben, eine sichere Bindung zu ihren Kindern zu generieren. Aus verschiedenen Gründen. Ich bin selbstständig in eigener Praxis. Ich fühle mich für meine Patienten verantwortlich, deshalb arbeite ich täglich, bin täglich 4 Stunden außer Haus, obwohl meine Kinder erst 5 Monate alt sind. Da ich weiß, dass Säuglinge in dem Alter noch kein Zeitgefühl in dem Sinne haben und sich 4 Stunden als Kind sowieso viel länger anfühlen als für Erwachsene, frage ich mich, ob ich meinen Kindern nicht einen Schaden zufüge, wenn ich täglich für sie "einfach weg bin"? Ich weiß, was unsichere Bindung im späteren Leben anrichten kann... Wie schätzen Sie das ein? Ist eine sichere Bindung dennoch möglich? Fühle mich etwas in einer Zwickmühle..... Die Jungs sollen mit einem Jahr in den Kindergarten. Ich sehe das skeptisch. Welches Alter wäre denn optimaler? Tatsächlich erst mit 3? Und noch eine Frage : Die Jungs wurden per Kaiserschnitt geholt, ich habe sie erst nach mehreren Stunden kurz gesehen. Sie lagen 5 Wochen auf der Kinderintensivstation, ich war täglich für mehrere Stunden da. Wie schätzen Sie diesen Umstand bezogen auf unsere Bindung ein? Ist das "Kind schon in den Brunnen gefallen"? Ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und Einschätzung. Danke für Ihre wertvolle Arbeit!!! 


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

Guten Tag, Sie beschreiben ein häufiges Problem von Fachleuten. Man glaubt, es besonders gut machen zu müssen weil ja Expertin. Dabei ist man für sich selber selten bis nie Experte. Daher kam wohl Winnicott auf die Idee mit dem "gut genug". Für mich bedeutet das - jenseits allen Fachwissens - sich möglichst viel Mühe zu geben und auf sein Herz zu hören. Das hört sich jetzt etwas kitschig an; ich meine es aber so. Auch wenn Ihre Bindungswünsche als Kind nicht genügend befriedigt werden konnten, sind sie doch da und bleiben als Sehnsüchte bestehen. Sie bestimmen das Fühlen und das kann Sie leiten. So haben Sie sich auch in der Zeit auf der Intensivstation die größte Mühe gegeben, täglich für Ihre Kinder da zu sein und ihnen das damals größtmögliche Bindungsangebot zu machen. Wie Sie wissen, zählt die vorgeburtliche Zeit auch bereits dazu. Wenn ich mich richtig erinnere, sind Sie nicht alleinerziehend und Ihre Kinder sind in Ihrer Abwesenheit gut versorgt. Dafür zu sorgen, dass jemand anders eine gute und liebevolle Betreuung übernimmt, wenn man selber nicht dasein kann, ist auch ein Ausdruck von Bindungsqualität. Ihren Patienten gegenüber übernehmen Sie viel Verantwortung. Das ist sicher hilfreich für den Behandlungsprozess. Bei Ihren Kindern zählt jedoch nicht nur die Verantwortung. Sie sind vermutlich auch die wichtigsten Menschen für Sie. Sie geben ja nicht nur Ihren Kindern viel, sondern Sie bekommen auch viel von Ihnen. Kinder sind ein großes Glück, das Sie sich gestatten und wirklich genießen dürfen. Ich höre aus Ihrem Schreiben heraus, dass Sie gerrne mehr Zeit mit Ihren Kindern hätten. Erlauben Sie sich das. Diese Lebenssituation ist vermutlich einmalig in Ihrem Leben oder jedenfalls sehr selten. Deshalb sollten Sie diese insgesamt gesehen kurze Zeit intensiv auskosten. Patienten tolieren solche Pausen übrigens in der Regel recht gut, wenn man Ihnen Vertretungskollegen/innen anbietet. Ähnlich sieht es mit dem Kiga aus. Es ist sicher vernünftig, Kinder schon frühzeitig anzumelden, weil Plätze rar sind. Aber ob es dann mit einem Jahr wirklich so sein muss, können Sie doch in Ruhe abwarten. Vielleicht ist dann auch eine Tagesmutter geeigneter. Das werden Sie sehen, wenn die Kinder eins sind. Heute lässt sich da noch nichts prognostizieren. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


3wildehühner

Wenn du selber Psychologie studiert hast, müsstest du doch wissen, dass die direkte Zeit nach der Geburt nicht die Voraussetzung für eine gute Bindung ist! Frühgeborene und Adoptivkinder bauen in der Regel auch eine sichere Bindung zu ihren Bezugspersonen auf. Ebenso ist die qualitative Zeit für die Bindung wichtig, nicht die quantitative Zeit. Denn auch Väter im "klassischen" Familienmodell, die für ihre Kinder da sind, wenn sie Zuhause sind, haben im Normalfall eine sichere und gute Bindung zu ihren Kindern.   Über die frühe Fremdbetreuung steiden sich die Geister. Es kommt da auf mehrere Faktoren an, u.a. Qualität der Betreuung, Betreuungsschlüssel, Charakter des Kindes, Einstellung der Eltern und die Eingewöhnung, qualitative Zeit zwischen Eltern und Kind.  


Tiffi153

Das weiß ich alles. Das beantwortet aber nicht meine Frage. Frühgeborene sind in ihrer Bindungsqualität häufig eingeschränkt und neigen im späteren Leben zu emotionalen Auffälligkeiten, circa 15 Prozent der Fruhgeborenen sind traumatisiert. Es kommt dabei darauf an, wie diese Erfahrungen aufgefangen werden. Meine Jungs sind fröhlich und freundlich, würde ich behaupten. Bislang. Mir geht es bei meinen Gedanken viel mehr um meine tägliche Abwesenheit, die ggf alte Verlustängste oder ggf Ohnmachtsgefühle hervorrufen könnten. Das sind auch meine Sorgen, die die Fremdbetreuung betreffen. Ich habe Sorge, dass das Gesamtpaket Frühgeburt-tägliche Abwesenheit - frühe Fremdbetreuung sich ungünstig auf die Entwicklung der Zwillinge auswirken könnte. 


AnnasMama

Ich bin jetzt fachlich nicht versiert, kann aber aus eigener Erfahrung im großen Bekanntenkreis sagen, dass Kinder mit 1,5 Jahren bis 2 Jahren in die KiTA gehen sollten. Meine Tochter war 13 Monate alt als sie anfing und das war zu früh, obwohl sie sicher-gebunden ist, bereits gut laufen konnte und auch gerne in die KiTA geht. Kinder sollten in der KiTA bereits die Möglichkeit haben, sich zu behaupten und ihre Interessen zu vertreten. Meine Tochter ist aber auch nur 5 Stunden in einem privaten Montessorikindergarten mit sehr guten Personalschlüssel. Ich bin kein Freund davon, dass Kinder von morgens bis abends fremd betreut werden. In meinem Freundes-, Bekanntenkreis sowie in der Nachbarschaft sind über 80 Kinder. Und die einzigen Kinder, die aggressiv anderen gegenüber sind oder in anderer Weise sozial auffällig sind, sind die, die die ersten 2 bis 3 Jahre nur mit Mama verbracht haben. Eine Mutter alleine kann meines Erachtens dem Kinder nicht die Bandbreite an Erfahrung und spannende Erlebnisse bieten, die eine gute KiTa bieten kann. 


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