Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Ist die Bindung gestört?

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

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Frage: Ist die Bindung gestört?

Rainyday

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Mein Sohn ist ein absolutes Wunschkind und ich wusste von Anfang an um die Wichtigkeit sich feinfühlig und voller Liebe mit ihm zu beschäftigen und prompt auf seine Bedürfnisse einzugehen, um eine sichere Bindung aufbauen zu können. Leider entwickelte ich nach einer sehr schwierigen Geburt, bei der ich fast verstorben wäre, auch noch eine postnatale Depression. Mein Partner musste gleich wieder arbeiten nach der Geburt und ich hatte erstmal keinerlei Unterstützung am Anfang. Ich kümmerte mich meiner Meinung nach trotzdem sehr liebevoll um ihn, ich trug ihn viel, er schlief auf mir, wir kuschelten viel, ich sang ihm vor, ich ließ ihn nie weinen, ich stillte (leider nur die ersten 4 Wochen). Ab der 5. Woche lies ich meinen Sohn 1x die Woche von Oma für 2-4 Stunden betreuen und ab und zu 1x die Woche von der Tante für 2-4 Stunden, um selbst eine Psychotherapie und mit Medikamenten zu starten und auch um körperlich wieder besser klarzukommen. Innerlich ging es mir nicht gut dabei ihn woanders zu lassen, selbst Papa war weitgehend fremd, weil er zu Zeiten wo der Kleine wach war, nie anwesend gewesen ist. Ich hab ihn trotz eigener widersprüchlicher Gefühle bei Oma/Tante und Papa gelassen, obwohl keine schrittweise vorherige Gewöhnung an die (weiteren) Bezugspersonen stattgefunden hat und ich stelle mir die Frage wie schädigend dies im Rückblick war ?? Können Bezugspersonen bis zum 7. Lebensmonat wahllos getauscht werden, solange die Bedürfnisse des Kindes befriedigt werden? Als mein Sohn 5 Monate wurde, stellte ich fest, dass er mich komplett ignoriert wenn er von Oma wieder heimgebracht wird und mir erstmal auch nicht mehr in die Augen guckt. Das war für mich ein ganz schlechtes Zeichen und durch die Tante erfuhr ich, dass er sich wohl auch bei 1-2 Vorfällen sehr eingeschrien hat und sich nicht mehr beruhigen ließ. Oma erzählte mir jedoch nichts davon, ich schränkte daher nach dem Vertrauensbruch den Kontakt ein (nur noch in meiner Begleitung - das Angebot wurde jedoch nicht wahrgenommen). Ich bemühte mich ab dem 5 Monat die Bindung zu meinem Sohn zu festigen, er war ab dem Zeitpunkt nur noch bei mir. Als er 9,5 Monate wurde bekam ich einen doppelten Bandscheibenvorfall und konnte ihn nicht mehr tragen. Er fing da gerade an leicht zu fremdeln (?) und ich wertete dies als gutes Zeichen. Er weinte zumindest wenn wir Besuch bekamen oder ihn Leute ansprachen. Dieser Zustand hielt aber nur 2 Wochen an. Ich bekam wegen des Bandscheibenvorfalls nämlich zwei Haushaltshilfen an die Seite gestellt, die ihn mir seither getragen haben wenn es nötig war und ab und zu auch gewickelt/angezogen haben, den Rest übernahm ich trotzdem selbst und ließ ihn auch in keiner Situation alleine mit der jeweiligen Person. Er wollte bei Ihnen mit seinen 9 Monaten und anfänglichem fremdeln auch nicht auf den Arm, wickeln war natürlich auch blöd, aber ich konnte seinen Wunsch nur von mir getragen zu werden körperlich nicht mehr erfüllen. Ich wusste das dies gegen seinen Willen und nicht gut ist, konnte aber an der Situation nichts verändern. Die erste Haushaltshilfe war 2,5 Monate hier, nach 8 Wochen musste ich sie mit ihm für 2 Stunden wegen einem Arzttermin alleine lassen und ich fühlte mich wieder ganz schlecht dabei. Ich komme kaum auf die Beine, weil ich ihn nie alleine lassen will, auch um u.a. einen Ausgleich für den verkorksten Anfang zu schaffen. Die meiste Zeit habe ich ihn und die Haushaltshilfe zu nachfolgenden Terminen auch mitgenommen. Ich muss dazu sagen, er weint mir jedoch auch nicht nach oder klammert sich an. Er freut sich auch nicht mich wiederzusehen oder aber er vermeided Blickkontakt wenn ich nicht da war. Auch in fremder Umgebung weint er nicht, beschäftigt sich mit anderen Personen und dem Spielzeug, guckt auch nicht nach mir oder kommt zurück. Ich könnte ihn mit seinen jetzigen 11,5 Monaten irgendwo lassen und es würde ihn nicht interessieren, selbst Außenstehende wundern sich über seine augenscheinliche Unkompliziertheit. Wenn wir als Elternteile zusammen den Raum verlassen, bei fremden Leuten, weint er auch nicht oder sucht nach uns. Mich zerreißt es wenn ich daran denke, er könnte innerlich komplett gestresst sein und diese Gleichgültigkeit als Überlebensmodus abspielen. Was er jedoch tut, ist sich von mir trösten zu lassen bei Situationen wo er sich verletzt hat und er kuschelt auch abends viel im Bett mit mir. Er lächelt mich auch an wenn wir spielen und  hört mir aufmerksam zu, das tut er aber auch bei fremden. Trotzdem spricht alles andere für mich für einen unsicher-vermeidenden Bindungsstil und fehlendem Urvertrauen. Wie kann ich daran etwas verändern, bzw. bis wann ist dies möglich?? Ich hab die letzten Monate alles gegeben, bin über meine Grenzen gegangen, wollte den bestmöglichen Start für ihn und wollte bis zum ersten Geburtstag die Zeit alleine mit ihm genießen, auch um die Anfangszeit ,,zu kitten". Nun hab ich festgestellt, durch ,,äußere Umstände" komplett versagt zu haben. Weiterhin haben wir leider wieder eine andere Haushaltshilfe, die wechselnden Bezugspersonen machen die Situation nicht besser. Ich lebe selbst mit den Folgen einer schlechten Kindheit/Bindung und weiß daher wie belastend dies im Erwachsenenalter ist, daher ist mir das Thema auch so wichtig. Wie schätzen Sie die Situation ein? Ab wann kann kann diesbezüglich etwas diagnostiziert werden? Wie sehr spielt der Charakter unseres Sohnes eine Rolle? Gibt es Tipps/gute Lektüre wie ich daran arbeiten kann?  Die Kinderärztin und meine Psychologin sind diesbezüglich gar nicht hilfreich und nehmen mich/uns auch nicht ernst. Vielen Dank für das lesen des ganzen Textes und für Ihre Beratung,  ich bin derzeit etwas verzweifelt.


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

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Guten Tag, Ihrer Schilderung entnehme ich, dass nicht nur Ihr Sohn sondern Sie beide einen schwierigen Start hatten. Die postnatale Depression hat Ihnen den Start ins Muttersein erschwert, der spätere Bandscheibenvorfall den alltäglichen Umgang mit Ihrem Sohn verändert. Sie haben meines Erachtens genau das Richtige getan, indem Sie versucht haben, wieder gesund zu werden, um sich um Ihren Sohn kümmern zu können. Die Selbstfürsorge von Müttern ist eine sehr wichtige Aufgabe, die oft übersehen wird. Damit das gelingen konnte, haben Sie sich Unterstützung geholt. Es ist völlig in Ordnung, dass Sie Ihren Sohn von anderen vertrauten Personen haben betreuen lassen, wenn Sie Termine wahrnehmen mussten. Für Ihren Sohn war es vor allem wichtig, dass seine Bedürfnisse gut befriedigt wurden. Es wurden nicht wahllos Bezugspersonen ausgetauscht. Sie waren immer die Hauptbezugsperson und haben nur stundenweise Ihren Sohn der Obhut von Verwandten überlassen. Das konnte Ihr Sohn mit dem Verstand nicht erfassen, aber er hat sicher gespürt, dass sie ihn immer zu Menschen gegeben haben, die gut für ihn gesorgt haben. Deswegen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Möglicherweise benötigt Ihr Sohn durch die schwierigen Umstände etwas mehr Zeit, um eine stabile Bindung aufzubauen. Er ist gewiss auf dem Weg dahin, da Sie sich die ganze Zeit, so gut es ging, um ihn gekümmert haben. Aus der Distanz kann ich Ihnen sicherlich nicht das Versagensgefühl nehmen. Ich halte es jedoch für unbegründet. Es gibt viele Mütter, die körperliche Einschränkungen haben und ihren Kindern trotzdem eine gute Bindung ermöglichen. Dafür ist das Tragen nicht die einzige Möglichkeit. Ihr Sohn kennt es ja nicht anders und vergleicht nicht, wie es in den ersten Wochen war. Diese Thematik sollten Sie mit Ihrer Therapeutin besprechen und zwar so, dass Sie sich dabei ernstgenommen fühlen. Um Ihre Sorgen bezüglich Ihres Sohnes abzumildern, können Sie eine Säuglingsambulanz aufsuchen. Dort können Sie Ihren Sohn persönlich vorstellen. Die Fachleute können die Interaktion Ihres Sohnes beobachten und die Bindung danach einschätzen. Sie bekommen dort auch gegebenenfalls Unterstützung, um Schwierigkeiten zu bewältigen.  Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


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