Die selbstverständliche Sicherheit und Klarheit, die die Mutter (auch Vater)-Kind-Bindung in unseren idealen Vorstellungen hat, ist in den letzten 50 Jahren eher weniger geworden. Die eigene Grundsicherheit machte Expertenmeinungen und Ratgebern Platz, das eigene Gefühl wurde immer mehr in Frage gestellt. Mein Wunsch ist es, dass Mütter und Väter, auf dem Boden hinreichenden Wissens, wieder auf sich selbst hören können.
Eigentlich beginnt die Bindung der Eltern zum Kind schon mit der Entscheidung zu einem Kind. Es ist ein Unterschied, ob die Schwangerschaft jetzt und so erwünscht ist, erschwerende Faktoren die Familie belasten oder ob das Kind gar völlig "unpassend" kommt.
Sowohl die reale Situation als auch, oft miteinander verknüpft, die seelische Haltung, beeinflussen die Schwangerschaft, machen sie leicht und erwartungsvoll oder ängstigend und/oder belastend. Stress in der Schwangerschaft, seelisch, materiell oder körperlich hat seine Wirkung auf die Entwicklung des Kindes und der Bindung.
Idealerweise beginnt die Eltern-Kind-Beziehung nach einer gewünschten Schwangerschaft und einer ruhigen Geburt mit erstem Sicht- und Hautkontakt. (Für Interessierte: Dabei wird das (Bindungs-)Hormon Oxytocin gebildet, welches Vertrauen und Sicherheit zwischen Mutter und Kind fördert, das Stress-System hemmt und kontraktionsfördernd wirkt). Bindung entsteht auch beim Stillen, kuscheln, liebevollem Hautkontakt, Massage, getragen werden, später auch beim riechen und sehen der Bezugsperson, positiven Erfahrungen. Diese erste Erfahrung ermöglicht sogar, dass anfangs skeptische und ängstliche Mütter eine positive Haltung zum Kind einnehmen können.
Besonders in den ersten Monaten, in denen die Kinder noch völlig abhängig von den Erwachsenen sind, ist die wohlwollende Versorgung wesentlicher Baustein für den Aufbau einer sicheren Bindung. Die Erfahrung der Kinder, dass sie geschützt und liebevoll behandelt werden, ist die Grundlage für ein Ur-Vertrauen. Der verlässliche und zugewandte, geduldige Umgang der primären Bezugspersonen mit den (möglichen) Ängsten der ersten Monate, oft ausgedrückt durch Weinen, Unruhe, Schlafproblemen u.ä., stärkt dieses Vertrauen in die Bezugsperson und fördert so eine stabile und sichere Bindung. Physiologische Gründe für diese leidvollen Ausdrucksformen können auch der neue Tag-Nacht-Rhythmus und die Anpassung des Körpers (bes. des Magen-Darm-Trakts) an die neuen Umweltbedingungen sein.
Auch wenn in den einzelnen Situationen die Ursache weder verstehbar noch veränderbar scheint, ist der nahe Kontakt, die beruhigenden Worte, die körperliche Wärme wesentlich für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung (Die Hirnforscher gehen davon aus, dass jeder dieser positiven Kontakte die Bindungs-"Vernetzungen" im Gehirn stabilisiert und vermehrt). Das gilt auch, wenn für das Kind eine annehmende Hilfestellung erwartbar ist, die primäre Bezugsperson also in der Regel positiv auf das kindliche Problem reagiert. Dies Alles fördert die Entstehung einer sicheren Bindung, von Urvertrauen.
Wenn die Kinder älter werden, ändern sich auch die Konfliktformen und -inhalte. Ich nenne das Auftreten des Neins, die Autonomieentwicklung in den verschiedenen Altersstufen, die Entwicklung der sozialen Kompetenz usw..
Was bedeuten diese zahllosen Konflikte und Auseinandersetzungen der Entwicklungsjahre für die Bindung, was belastet und was stabilisiert diese?
Erstmal wirken solche Situationen belastend und trennend, sie können auch ängstigend sein. Man muss es aushalten, dass der geliebte Gegenüber nicht ideal ist, nicht alle meine Wünsche erfüllen kann, mir Frustrationen zumutet. Diese "Entzauberung", die Veränderung der Beziehung auf ein real mögliches Maß, ist immer eine große Enttäuschung, löst Wut, Ärger und innere Distanz aus, sowohl beim Kind, als auch bei der Bezugsperson.
Ich glaube aber, dass auf der Basis einer guten vertrauensvollen Beziehung, Konflikte sogar eine stabilisierende Wirkung haben können. Das ist dann der Fall, wenn die Kinder realisieren, spüren und glauben können, dass das Verbot, die nicht ausreichende Hilfe, die Einschränkung nicht aus Desinteresse oder Machtausübung entstehen, sondern gerade durch das Interesse und die Fürsorge motiviert sind. Konflikte sind somit eine Belastbarkeitsprüfung der Beziehung und können so, bei guter Erfahrung, bindend wirken.
Bindung ist ein lebenslanger Prozess und auch immer wieder korrigierbar. Das bedeutet, dass auch nach großen Kränkungen und Distanzierungen (oder auch großer Nähe ) immer wieder Annäherungen und Veränderungen möglich sind. Bindung und Beziehung muss immer wieder neu gestaltet und den Entwicklungen der Beteiligten angepasst werden. Das macht sie verletzbar, aktiviert aber auch unsere Kreativität und hält sie lebendig. (Das Thema Bindungs-Hindernisse wird noch einmal extra behandelt.)
Und die Grundbasis, die alles ermöglicht, die die liebevolle Klarheit als Haltung ermöglicht, ist die Liebe!