Tochter möchte bestimmen / Aufmerksamkeit / Nähe / Abgrenzung

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Frage an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Diplom Sozialpädagogin

Frage: Tochter möchte bestimmen / Aufmerksamkeit / Nähe / Abgrenzung

Hallo, die letzten Wochen waren in unserer Familie zunehmend anstrengend. Seit letzter Woche habe v.a. ich, manchmal auch mein Mann, fast täglich Streit mit unserer kleinsten Tochter (4 Jahre), an manchen Tagen mehrfach. Wir haben 3 Töchter mit 4, 6 und 8 Jahren. Über die letzten Wochen wurde der Streit immer häufiger. Typisches Beispiel von heute Abend: Wir wechseln jeden Abend ab, wer bei der Gute Nacht Geschichte auf dem Eltern-Schoß sitzen darf. D.h. jede ist jeden dritten Tag mal dran. Die große Tochter sitzt auf meinem Schoß und liest eine Gute Nacht Geschichte. Die mittlere Tochter hört zu und sitzt in der Nähe. Die kleine Tochter möchte genau auf dem Platz sitzen, auf dem ich sitze. Der Platz ist mein Standard-Platz zum Gute Nacht Geschichte lesen: an diesem Platz kann ich mich nach hinten anlehnen, wenn ein Kind auf dem Schoß sitzt. Ich erkläre der kleinen Tochter, dass sie neben mir sitzen kann (dort kann man sich auch noch anlehnen, aber die Lehne ist nicht so hoch). Die kleine Tochter setzt sich neben mich, ist damit aber nicht einverstanden und quengelt. Ich erkläre weiter, dass ich selbst auch gerne an dem Platz sitze und ich zudem nicht aufstehen werde, weil die große Tochter auf meinem Schoß sitzt und heute mit ihrer Geschichte dran ist. Die kleine Tochter quengelt weiter, so dass es für die große immer schwieriger wird, ihre Geschichte zu lesen. Die kleine möchte, dass ich meinen Arm in einer ganz bestimmten Art und Weise um sie lege. Sobald ich meinen Arm um sie lege, passt das nicht und es muss doch in einer anderen Art und Weise geschehen, usw. Ich versuche einerseits eine Atmosphäre zu schaffen, dass die große Tochter ihre Geschichte lesen kann, ärgere mich aber, dass das durch die kleine Tochter boykottiert wird. Und versuche, die kleinere ruhig zu halten, indem ich es ihr Recht zu machen versuche. Natürlich ist diese zweigeteilte Aufmerksamkeit nicht möglich. Nach einiger Zeit weiße ich die kleine Tochter vehement darauf hin, dass meine Grenze nun erreicht ist und ich den Arm nicht mehr um sie legen möchte, da ich es sowieso nicht passend mache. Daraufhin schreit und weint sie und die Gute Nacht Geschichte kann nicht mehr weiter gelesen werden. Heute Abend ist die große Tochter in dem Moment klaglos aufgestanden und hat die Geschichte, die fast zu Ende war, noch im Stehen fertig gelesen. Bei anderen Gelegenheiten waren die Geschwister natürlich selbst auch traurig und wütend und schlussendlich gab es dann 2-3 weinende Kinder. Ich habe dann versucht, alle ins Bett zu bringen. Beim zu Bett gehen ging es dann weiter mit genauen Vorstellungen der kleinsten, wie das ablaufen muss. Ich komme ihr bei nachvollziehbaren Wünschen entgegen (z.B. Kuscheltier muss da sein). Ihr fallen aber viele weitere Wünsche ein, bei denen meine Grenze erreicht ist, und sie versucht weiter hartnäckig ihre Vorstellungen durchzubringen und zu diskutieren. Ich habe heute dann an meinen Mann übergeben, damit ich selbst nicht anfange zu Schreien, wenn ich mich abgrenze. Wir hatten die Fälle auch schon anders herum und ich habe von meinem Mann übernommen. Generell schafft er es allerdings meist besser selbst ruhig zu bleiben und seine Grenzen zu wahren. Wenn ich dann gehe, schreit die kleinste. Heute waren dann die Geschwisterkinder sehr genervt. Die mittlere Tochter war ganz aufgebracht und hat selbst geweint, weil sie bei dem Lärm nicht einschlafen kann usw. Die große Tochter war auch genervt, ist aber ruhig geblieben. Ich habe dann doch wieder versucht, die kleine zu beruhigen, mein Mann die größeren. Wenn ich die kleine dann beruhigen möchte, lehnt sie das erst mal ab. Somit bleibe ich erst mal in etwas Entfernung von ihr im Zimmer. Das hat ihr heute auch nicht gefallen. Also hab ich gesagt, ich gehe und komme dann später wieder. Das ich gehe, wollte sie aber auch wieder nicht. Somit bin ich weiter im Zimmer geblieben, was dann für sie ok war. (Zu manchen Gelegenheiten ging das allerdings schon mehrfach hin- und her, bis wiederum meine Grenze erreicht war.) Für mich ist das allerdings nicht mehr ok. Viel Austesten von Nähe und Abgrenzung. Viel Hin- und Her. Viel Entgegenkommen und dann doch wieder Grenzen. Es strengt an und belastet mittlerweile die ganze Familie. Ich frage mich, wie wir in diese Situation gekommen sind. Die größeren beiden Töchter hatten auch eine sehr ausgeprägte Autonomiephase. Vermutlich waren wir da noch gelassener, viel geduldiger und konnten die Wut besser begleiten und aushalten. Situationen in der Art kommen v.a. gegen Abend vor, wenn alle müde sind. An 2 Abenden war es nun möglich, die kleine getrennt von den anderen schon etwas früher ins Bett zu bringen, dadurch konnten wir die Situation entschärfen, die kleine hatte die volle Aufmerksamkeit und die großen waren nicht in Mitleidenschaft gezogen. Auch da war es aber schwierig, da es auch dann diese sehr konkreten und vielen genauen Vorstellungen und Wünsche gibt, die sie versucht durchzusetzen. Und auch tagsüber, oft auch schon nach dem Aufstehen, gibt es Ähnliches (exakte Vorstellungen, wie etwas abzulaufen hat). Mein Mann und ich arbeiten beide und wechseln uns bei der Kinderbetreuung viel ab. An 2 Nachmittagen betreut er die Mädels bzw. bringt sie v.a. zum Sport und an 3 Nachmittagen betreue ich und wir laden z.B. Freunde ein, besuchen Oma/Opa, die 30Min entfernt wohnen, oder spielen/basteln und ich mache nebenbei den Haushalt. Unsere Kinder haben tatsächlich nicht viel ungeteilte Aufmerksamkeit und spielen z.b. viel miteinander, wenn wir den Haushalt machen. Bzw. wenn ich mitspiele (z.B. Brettspiel/basteln), dann versuche ich oft, mit allen dreien zu spielen, wenn sich nicht ohnehin eine alleine beschäftigt. Die kleine Tochter ist oft bei mir dabei, wenn ich den Haushalt mache und ich versuche so gut es geht, sie einzubinden, was ihr auch Spaß macht. Richtige Spiele nur mit ihr mache ich aber tatsächlich selten, eher helfe ich ihr mal beim Basteln oder sie hilft beim Kochen. Unsere Themen sind also Aufmerksamkeit, Abgrenzung (und fast schon Machtkämpfe darum), Nähe, Autonomiephase, Unsicherheit im Umgang mit solchen Situationen (klares Nein -> Eskalation bei der kleinen Tochter und die großen werden in Mitleidenschaft gezogen/schlechtes Gewissen wegen fehlender Aufmerksamkeit/Arbeit), … Können Sie uns Tipps geben, wie wir solche Situationen entweder vermeiden/vorbeuten können oder sie entschärfen können? Fällt ihnen etwas auf? Wie bekommen wir wieder mehr Klarheit im Umgang mit solchen Situationen? Vielen Dank und viele Grüße

von Marooon am 23.11.2022, 23:22



Antwort auf: Tochter möchte bestimmen / Aufmerksamkeit / Nähe / Abgrenzung

Liebe Marooon, Ihre Tochter ist unzufrieden mit sich selbst. Sie weiß selbst nicht genau, was sie eigentlich will und vor allem nicht, wie sie die eigenen Wünsche und Gefühle einordnen soll. Dennoch darf sie Grenzen erfahren. Ihre Tochter wird, egal, wie Sie reagieren, wütend sein. Von daher dürfen Sie gerne konsequent reagieren. Erklären Sie Ihrer Tochter vor den Situationen, in denen es regelmäßig Stress gibt, was Sie erwarten. Beispiel Gute-Nacht-Geschichte: "Du kannst dich hier an meine Seite setzen oder spielen gehen." Geben Sie keine weiteren Erklärungen ab, wie, dass es ihr Platz ist wegen der hohen Lehne usw.. Sie dürfen Vorgaben machen, ohne Begründung. Beispiel Schlafenlegen: "Du kannst dir die Kuscheltieren so hinlegen, wie du möchtest, dann wird sich hingelegt und geschlafen." Kann sich Ihre Tochter nicht entscheiden, kündigen Sie an, dass Sie nicht warten möchten und deshalb rausgehen. Sie kann Ihnen Bescheid geben, wenn sie alles für sich "sortiert" hat. Planen Sie in den nächsten Wochen entsprechend etwas mehr Zeit ein. Auch morgens dürfen Sie auf feste Abläufe bestehen. Egal, zu welcher Tageszeit - Sie dürfen gerne den Raum wechseln, wenn Ihre Tochter versucht, Sie zu delegieren. Formulieren Sie ganz klar, dass Sie ... nicht möchten. "Ich gehe so lange raus, bis du dich entschieden hast." Reagieren Sie gerne schon beim ersten Änderungswunsch. Ihre Tochter darf erfahren, dass Sie nicht mehr "springen" wollen. Die nächste Zeit wird für Sie als Eltern anders anstrengend als bisher. Doch mit Ihrer konsequenten Haltung werden schon bald kleine Verändungen spürbar werden. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 25.11.2022



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