Guten Morgen,
meine Eltern haben den Erziehungsstil angewandt, der früher so üblich war – Babys alleine im Zimmer schlafen und schreien lassen, Elternschlafzimmer war tabu, die Bedürfnisse der Kinder wurden nicht ernst genommen, es wurde konsequent und hart erzogen, weil einem die Kinder sonst auf der Nase herum tanzen und ich wurde auch geschlagen, wenn ich nicht gespurt habe…
Ich lese häufig, dass Kinder, die so hart erzogen wurden, oft später auch so erziehen. Ich toleriere diesen Erziehungsstil überhaupt nicht und will auch nicht so werden wie meine Eltern, weil ich es falsch finde.
Leider merke ich jetzt aber immer häufiger, dass ich bei meinem Kind auch oft gleich laut, ungeduldig, streng, wenig liebevoll und teilweise sogar aggressiv reagiere, obwohl ich mir doch so fest vorgenommen habe, alles ganz anders zu machen.
Wie schaffe ich es, dieses Verhalten abzulegen und immer eine liebe Mutti zu sein?
Danke vielmals für Ihre wertvolle Arbeit hier!
von
PefectMum
am 27.05.2013, 07:42
Antwort auf:
Ich will nicht so werden, wie meine Eltern
Hallo, Sie müssen keine "perfekte" Mutter sein. Das geht auch gar nicht, denn die Natur hat für den emotionalen und sozialen Reifungsprozess des Kindes einige Klippen vorgesehen, wobei das sicher keine Planung der Natur war, sondern ein entwicklungsgeschichtlicher Auslesevorgang, also Ausdruck der Evolution. Eltern müssen nur "gut genug" sein, wie D.W. Winnicott es einst so schön formuliert hat. Aber auch dafür bedarf es einer gewissen Anstrengung. Und was Sie über Ihre eigene Erziehung sagen und ihren momentanen Gefühlszustand, so liegen auf einer Linie mit tausenden anderen Müttern und Vätern. Zunächst erkennt man die Fehler seiner eigenen Erziehung mit dem Kopf oder dem Verstand und möchte alles anders machen. Aber dann merkt man dass das kaum ausreicht, denn die eigene Emotionen spuken weiter in eignen Kopf und verwehren die Fähigkeit zum völlig anders sein und reagieren. In der "Münchener Schule" wird diese Erfahrung als "Gespenster im Kopf" bezeichnet.
Um diese Gespenster zu vertreiben, muss man noch tiefer in sich selbst eindringen und anfangen, seine Erlebnisse von damals, als man selbst erzogen wurde, zu betrauern. Das ist ein sehr schmerzlicher Prozess, weil man ja seine eigenen Eltern, die zu lieben man immer angehalten worden ist, plötzlich ganz anders sieht. Und dann geht ein Stück Welt in einem kaputt. Die eigene Kindheit ist ja bald noch das einzige, das von den Menschen für hoch und heilig gehalten wird. Dieses Bild aufzugeben kann erheblich schmerzen und hinterlässt eine Art Leerstelle in der Biographie. Manche Menschen brauchen dafür therapeutische Hilfe.
Aber wenn man durch diese Trauer hindurch ist und sieht, wozu man doch geworden ist, dann wird man umso viel stärker, dass man jetzt mit seine Kindern wirklich anders umgehen kann. Jeder muss für sich entscheiden, wie weit er auf diesem Weg gehen möchte. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 29.05.2013