Frage: ADHS und Geschwisterkinder

Sehr geehrte Frau Ubbens, wir haben ein Kind (8 Jahre, schwierige Schwangerschaft + Frühchen), welches eine schwere ADHS + autistische Züge hat. Die ersten Jahren waren für mich als Mutter die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich möchte betonen, dass unsere Kinder aus guten Verhältnissen kommen. Mein Mann und ich haben beide studiert, sind Mitte 30, wir haben gut bezahlte Jobs, ein großes Haus. Zur Zeit bin ich (Mutter) in Elternzeit zu Hause. Wir haben nach reiflicher Überlegung ein weiteres Kind bekommen (jetzt 3) und noch eine kleine Nachzüglerin (1 Jahr alt). Insgesamt also 3 Kinder. Die kleinen Kinder haben definitiv kein ADHS. Durch verschiedene Therapien und Medikamentengabe hat sich das Verhalten des großen Kindes extrem verbessert - wir sind sehr zufrieden und stolz auf unser ADHS Kind, dass es so tolle Fortschritte gemacht hat! Trotzdem wird es vermutlich nie so sein wie ein "ganz gesundes" Kind. Ich als Mutter bin von den ersten Lebensjahren immer noch sehr geprägt. Durch das extreme und vollkommen unsoziale Verhalten des Kindes bin ich schon im Babyalter im Alltag überall aufgefallen. Babygruppe, Kinderturnen, Kindergarten und nicht zuletzt die Schule. Aus diversen Sportvereinen wurde es rausgeschmissen, weil es "nicht in die Gruppe gepasst" hat. Ich hatte immer das Gefühl, auch wenn es nie jemand gesagt hat, dass ich als Mutter Schuld daran bin, dass das Kind so war wie es war. Als unser zweites Kind auf die Welt gekommen ist, befürchtete ich das Schlimmste. Sie können sich nicht vorstellen, wie anders die Umwelt auf mich und uns als Familie reagiert hat, als unser 2. Kind absolut normal war. Die Spielgruppe, das Kinderturnen etc konnte ich zum ersten Mal richtig genießen, mit anderen Eltern richtig sprechen und lachen und mich einfach freuen. Bei unserem 3. Kind genau das Gleiche. Unproblematisch in Babygruppen und Kinderturnen. Mir ist ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen, dass ich wusste, dass ICH nicht Schuld daran bin, dass unser großes Kind so schwierig ist und das ich eine gute Mutter bin. Soweit zur Vorgeschichte, jetzt zu den eigentlichen Fragen. Unser ADHS Kind hat autistische Züge und hat absolut kein Distanzverhalten zu anderen. Sprich, unsere kleineren Kinder bekommen ständig dessen Nähe aufgedrängt. Wir können es nicht immer verhindern, wir wollen ja auch so weit es geht ein normales Familienleben. Beim Spielen wird es sehr schnell sehr wild und albern. Unsere kleinen Kinder (besonders das 3-jährige Kind) schaut sich die extrem albernen Verhaltensweisen und das wilde, unruhige Spielen ab. Wir gehen oft dazwischen, versuchen wieder Ruhe ins Spiel zu bringen, fordern Auszeiten. Aber es ändert nichts daran, dass es wegen unserem großen Kind immer wieder, jeden Tag, eskaliert. Ich habe furchtbare Angst und die größte Panik, dass unsere kleinen Kinder "auch so werden können", nicht weil sie ADHS haben, sondern weil sie das Verhalten nachahmen und dem größten Geschwisterkind natürlicherweise nacheifern. Das große Kind möchte von sich aus auch immer mit den kleinen Kindern spielen. Es hat keine bzw nur kaum Freunde. Ich möchte dem großen Kind das Spielen mit den Geschwistern auch nicht verweigern. Mit gerade 3 Jahren und 1 Jahr sind die Kleinen noch zu klein für Gespräche, was das große Kind betrifft. Haben sie irgendwelche Tipps, wie es uns gelingen kann, dass unsere kleinen Kinder sich dieses Verhalten nicht abschauen? Sie sind in letzter Zeit schon deutlich alberner und wilder im Spielverhalten geworden. Ich möchte nicht, dass dies zunimmt. Wir als Eltern spielen hauptsächlich ruhige Spiele, gehen viel nach draußen, haben feste Rituale. Die Verhaltenstherapeutin sowohl auch die Ergotherapeutin vom großen Kind haben eigentlich keine richtige Idee, was man machen könnte. Es wird nur gesagt, dass die kleineren Kinder sich das höchsten phasenweise abschauen, weil die Veranlagung diesbezüglich nicht gegeben ist. Ich brauche aber wirklich ganz dringend Hilfe diesbezüglich. Denn selbst dieses möglicherweise und hoffentlich NUR "phasenweise Abschauen", was in meinen Augen ja immer mehr passiert, kann ich nicht mehr "ertragen". Ich bin sehr empfindlich was das anbelangt. Nochmal stehe ich so eine schlimme Zeit nicht durch, auch nicht ansatzweise. Nie wieder möchte ich von anderen Menschen so angeschaut werden, wie damals, wenn sich die Kinder nicht "benehmen". Daher wende ich mich an Sie. Vielen Dank fürs lange Lesen und vorab für Ihre Antwort.

von E@B am 22.05.2018, 19:09



Antwort auf: ADHS und Geschwisterkinder

Liebe E@B, erst einmal kann ich mich der Antwort meiner Vorrednerin anschließen. Suchen Sie sich selbst Unterstützung, damit auch Sie mal zu Wort kommen und Bestätigung finden, in dem, was Sie tun. Hilfreich kann auch der Austausch mit anderen betroffenen Eltern sein. Sicherlich gibt es eine Anlaufstelle in Ihrer Nähe. Haben Sie Großeltern oder Freunde in der Nähe wohnen, die sich abwechselnd auch mal jeweils um ein Kind kümmern können, so dass Sie mehr Zeit für die anderen Geschwister haben? Wichtig hierbei wäre, dass immer ein anderes Kind zu den Großeltern geht, damit immer andere Kinder die entsprechende Aufmerksamkeit bekommen. Im Familienalltag versuchen sie sich aufzuteilen. Jeden Tag sollte versucht werden, dass zumindest ein Elternteil jeweils eine halbe Stunde exclusive Zeit nur mit einem Kind verbringt. Sind Ihre kleinen Kinder ein wenig älter, können Sie Bilderbücher zum Thema ADHS mit ihnen lesen, damit sie lernen, warum der große Bruder so ist, wie er ist und gleichzeitig lernen, dass manches Verhalten grundsätzlich nicht gerne gesehen wird, der große Bruder dies aber nicht lernen kann, weil er eben so ist, wie er ist. Albern Sie auch mal mit, wenn es der Rahmen zulässt. Stoppen Sie die Albernheit dann aber auch wieder, in dem Sie einen neuen Spielvorschlag machen o.ä.. Bieten Sie den Geschwistern jeweils einen Rückzugsort an, vielleicht eine Spielecke im Wohnzimmer, die nur für die kleinen Kinder ist und eine für Ihren großen Sohn, ggf. bekommen die Kinder unterschiedlich farbige Spielteppiche o.ä.. So hat jeder eine "Ecke" für sich und gerade der Große fühlt sich nicht ausgeschlossen, sondern bekommt die gleichen Rechte wie die Geschwister. Fühlen die kleinen Kinder sich durch das Nähebedürfniss des großen Bruders bedrängt, können sie sich zurückziehen. Es gibt eine klare Regel und die kann Ihr großer Sohn auch lernen (Er kann sich zwar nicht zurückhalten (Nähe), kann aber lernen, dass der "blaue" Teppich nur für die Kleinen ist.). Keine Sorge, Ihre kleinen Kinder werden nicht so wie Ihr großer, besonderer Sohn. Im Kindergarten erfahren sie, dass es auch viele ruhigere Spielkamerarden gibt, fangen an, sich am Nachmittag zu verabreden und dann auch altersgemäße (ruhigere) Spiele zu spielen. In Ihrer Familie wird es immer turbulenter zugehen als in einer Familie ohne ADHS-Kind. Dennoch überträgt sich das Verhalten nicht dauerhaft auf die anderen Geschwister. Diese werden lernen zu unterscheiden. Tun Sie vieles, was Ihrem großen Sohn gut tut. Anregungen und Tipps werden Sie von den Therapeuten vor Ort sicherlich bekommen haben. Auch die Kleinen freuen sich über einen strukturierten Alltag und das Austoben im Park, auf dem Spielplatz und was sonst Ihrem großen Sohn zu mehr Ausgeglichenheit verhilft. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 23.05.2018



Antwort auf: ADHS und Geschwisterkinder

Ich habe keinen Rat bzgl. deines Kindes für dich - da ist Frau Ubbens die Fachfrau. Aber ich würde dir raten, vielleicht auch mal Gespröche mit einem Therapeuten in Erwägung zuziehen. Ich bin mir sicher, das ganze ist sehr anstrengend und kräftezehrend und neben allem Engagement für eure Kinder musst auch du Kraft schöpfen können. Du scheinst - zumindest in deinem Text - noch ziemlich geprägt durch die negativen Erfahrungen zu sein. Ängstlich darauf bedacht, bloß nicht noch mal so aufzufallen. Aber sowohl dein ältestes als auch die beiden jüngeren Kinder brauchen eine Mutter, die sie und sich selbst nicht kritisch beäugt und Angst vor den Reaktionen anderer hat. Ich meine das weder vorwurfsvoll noch im Sinne von „du bist nicht gut genug“ - ich meine nur, das man gerade in solchen Situationen manchmal Hilfe braucht, um stark zu bleiben. Sich ein Stück Selbstbewusstsein wiederholen, das du vielleicht ein Stück weit durch die für dich anstrengende und negativ geprägte Zeit verloren hast. Und einfach auch, damit es mal um dich und deine Gefühle geht - ganz ohne beurteilt zu werden.

von cube am 22.05.2018, 21:52



Antwort auf: ADHS und Geschwisterkinder

Hallo Ich habe Ihren Post gelesen und habe selbst 3 Kinder (10,7 und 5 Jahre alt), wobei auch das älteste stark ADHS hat. Sehr impulsiv und dieselben Sorgen wie von Ihnen beschrieben. Nun würde mich sehr interessieren, wie sich die Situation bei Ihnen entwickelt hat in den letzten Jahren. Der Post ist ja schon 5 Jahre her. Mit freundlichen Grüßen vom Bodensee

von melek39 am 12.11.2023, 13:13



Ähnliche Fragen ähnliche Fragen

ADHS Erziehung

Unser Sohn (7) hat ADHS und zwar erheblich. Dank der Medikamente kann er sich ganz gut konzentrieren, hat aber weiterhin Wutanfälle u ist sehr dickköpfig. Wenn er etwas plant, MUSS er es auch durchführen. Will er zB noch eine Idee für Lego umsetzen kommt er heimlich wieder aus dem Bett u baut, notfalls auch mitten in der Nacht trotz aller Verbote...


ADHS oder ADS?

Hallo, Mein Sohn fast vier Jahre alt ist ein Wirbelwind.Er stellt alles mögliche an.Er macht Mutwillig sein Spielzeug kaputt.Er ist frech,sprich er hat sein Temperament nicht im Griff.Er kann lieb sein,und von 1 Minute auf die nächste kann er den Schalter umlegen.Er ist dabei auf-und überdreht.Das ich von anderen Menschen darauf angesprochen wer...


Adhs?

Hallo unser Sohn (9) ist seit der Kindergartenzeit auffällig durch Spielverhalten, soziale Kontakte usw. Verdacht Asperger/Adhs/Autismus.... wir waren damals (mit 4 und 6 Jahren) auf Anraten des Kinderarztes bei einem Begabungsdiagnostiker, der uns nach Testung mitteilte, dass unser Sohn überdurchschnittlich intelligent sei. Asperger wurde damal...


ADHS??? mit 4 Jahren?

Guten Tag Frau Ubbens. Ich habe einen Sohn, er ist 4 J. Er geht in Kindergarten seit 2 Jahren. Letzte Freitag gab Elternsprechstunde. Die Erzieherinnen haben mir gesagt er würde immer aus Zuspitzen laufen, die ganze Zeit. Ist wohl die ganze Zeit aktiv. Spielt mit den Kindern, dann steht auf, geht in andere Ecke, spielt was anderes, und so weiter...


Kann mein Kind ADHS haben?

Hallo, Ich mache mir Sorgen um meine 4 jährige Tochter die im Mai 4 geworden ist. Sie ist vorwiegend in der kita des öfteren sehr wütend. Eine Zeit lang äußerte sie das es ihr da einfach zu laut wäre. Aber die Anfälle dort häufen sich dort. Besonders wenn sie keine Aufmerksamkeit bekommt, soll sie provozieren. Ich kenne mein Kind so nicht.sie ka...


ADHS?

Liebe Frau Ubbens, mein Sohn wird im September drei Jahre alt. Er war schon seit seiner Geburt sehr fordernd. Lange Schreiphasen, Verdauungs- und Trinkprobleme, später sehr starker Bewgungsdrang. Mit einem Jahr kam er in die KITA, die Eingewöhnung dort klappte problemlos. Aber er hatte dort Probleme zu schlafen und nach sechs Monaten fing eine st...


Erste ADHS-Anzeichen? Wie reagieren?

Hallo Frau Ubbens, unsere Tochter (gerade 4 geworden) entwickelt, so wie ich fürchte, erste Anzeichen von ADHS - Unruhe & Impulsivität, vor allem: 1. Sie lässt sich im Spiel mit mehreren leicht ablenken, will immer sofort das was sie bei anderen Kindern sieht 2. Sie will immer alles sofort loswerden, was sie erzählen will, redet oft dazw...


Sohn mit adhs macht uns fertig

Unser Sohn (4J9j) hat ADHS.kjp will erst eine Diagnose mit 6,5J offiziell geben.Erziehungsberatung,FFS,Kinderarzt,nirgends bekommen wir Hilfe. Nicht mal ein Ergorezept. Er provoziert ganz krass,so richtig respektlos und dreistfrech. Konsequenzen,Bestrafungen,Auszeiten,Verstärker jucken ihn nicht. Wir wissen gar nicht mehr was wir noch tun sollen. W...


ADHS im Kindesalter

guten Tag Frau Ubbens, Im Gespräch mit dem Erzieher hat meine Frau erfahren, dass unser Sohn (4,5 Jahre alt) evtl. an ADHS leidet. Er sucht Kontakt zu anderen-nicht alle- kindern durch ÄRGERN, hat keinen Ausdauer was Spielen angeht, hört oft nicht zu und muss oft das NEIN wiederholen(auch zu Hause). Beim Essen steht er oft auf, zappelt aber nicht...


ADHS?

Guten Tag Meine Tochter ist vier Jahre alt und wir machen uns immer mehr Sorgen, dass sie ADHS haben könnte (ich weiss, dass das erst später diagnostoziert wird, aber es kommt ja dann auch nicht einfach über Nacht). Das einzige, was mich zögern lässt, ist, dass sie solche und solche Tage hat: Tage, an denen sie extrem diesen Eindruck macht und T...