Frage: Umgang mit Wut

Lieber Dr. Posth, mit großem Interesse habe ich ihren Text zum emotionalen Bewußtsein gelesen und danke Ihnen für diese differenzierte Darstellung. Obwohl ich einige Anregungen daraus entnehmen konnte, möchte ich Ihnen unsere Situation kurz darstellen. Wir befinden uns gerade in einer sehr anstrengenden Phase mit unserem Sohn, der im vergangenen Herbst 3 Jahre alt wurde. In letzter Zeit häufen sich bei ihm Wutanfälle in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß und ich wäre sehr an Ihrer Beurteilung interessiert, da wir ihn gerne mit der bestmöglichen Unterstützung durch diese Phase hindurch begleiten wollen. Schon immer war unser Sohn ein impulsives Kind mit starken Gefühlen: große Freude, großer Kummer. Neuerdings kommen aber auch große Wutausbrüche hinzu, deren Ausmaß uns ein wenig hilflos macht. Die Wut scheint ihn dann beinahe besinnungslos zu machen, er schreit dann laut rum, brüllt manchmal wirres Zeug (er will dann z.B. rausgehen, obwohl es spät am abend ist, sucht dann seine Kleidung zusammen und zieht sie schreiend an) und randaliert in seinem Zimmer. Auslöser für solche Aubrüche sind Situationen, die er nicht kontrollieren darf, z.B. wenn er nicht mit kochendem Wasser alleine den Tee aufbrühen darf oder wenn er von seiner Freundin abgeholt wird und noch nicht nachhause gehen will, also sich weigert, seine Jacke anzuhziehen. Im allgemeinen sind es also Situationen, die es meiner Meinung nach erfordern, dass wir eingreifen bzw. in denen man ihn nicht gewähren lassen kann. Bisher haben wir versucht, konsequent Grenzen zu ziehen und bei Geschrei nicht nachzugeben - schliesslich entspricht es ja den realen Verhältnissen, dass in bestimmten Situationen nunmal die Eltern entscheiden und nicht das Kind. Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, dass es gerade diese Demonstrationen von Macht sind, die ihn so rasend und letztlich verzweifelt machen. Daher haben wir uns in den vergangenen Tagen bemüht, ihm entgegenzukommen, ihn in Abläufe einzubinden, seine Wut zu respektieren etc. Das klappt bis jetzt ganz gut, trotzdem habe ich immernoch eine leise Angst, dass es wieder zu einem Ausbruch kommen könnte. Außerdem befürchte ich, dass wir ihn durch das häufige Loben und Einbinden vielleicht auch überfordern und bei ihm die Botschaft ankommt, dass er Leistung bringen muss, um dazuzugehören. Wie beurteilen Sie sein Verhalten? Halten Sie es für entwicklungsgerecht oder ist es ein Ausdruck dafür, dass etwas nicht stimmt? Welchen Umgang mit den während des Wutanfalls geäußerten (mir absurd erscheinenden) Forderungen empfehlen Sie uns? Und wie ist mit den aggressiven Impulsen umzugehen? Auf dem Gipfel der Wut versucht unser Sohn, uns zu schlagen, zu treten und zu beissen, was manchmal kaum abzuwehren ist. Ich finde das aber inakzeptabel und habe dann große Schwierigkeiten, ruhig zu bleiben und ihn nicht alleine zulassen in seiner Raserei. Sie schreiben in Ihrem Text allerdings, man solle dem Kind gewisse aggressive Übergriffe zugestehen. Und gibt es schließlich einen Zusammenhang zwischen diesen Wutanfällen und der Bindung des Kindes zum Vater? Ich habe in letzter Zeit manchmal das Gefühl, dass der Kleine sich mit seinem Papa vergleicht und mit ihm in einen Machtkampf tritt - schliesslich eskaliert die Situation meist nur zwischen den beiden, mit mir eher selten - im Kindergarten übrigens überhaupt nicht, da ist er ausgeglichen und hinsichtlich seines Verhaltens unauffällig. Für eine Antwort danke ich Ihnen sehr, vielleicht haben Sie auch einen Literaturtipp zu diesem Thema für mich. Mit herzlichem Gruß Mimi

Mitglied inaktiv - 16.02.2004, 17:30



Antwort auf: Umgang mit Wut

Hallo, eine Buchempfehlung möchte ich lieber nicht aussprechen. Bisher habe ich noch kein Buch dazu gelesen, das wirklich fundiert mit dem Thema umgegangen wäre. Das Verhalten Ihres Sohnes fällt ja noch in die Sparte Trotz, und dieser Trotz ist im Sinne des Zweimächtekonflikts (s. emotionales Bewußtsein, 3.Teil) z.Z. auf einer Art Gipfelpunkt. Sie haben das dort Geschriebene richtig verstanden und wenden die gemachten Empfehlungen ja schon erfolgreich an. Das wird nicht immer gelingen, denn es gibt quasi unauflösbare Konflikte, die Sie kraft der Ihnen auferlegten Schutzbefohlenheit für Ihr(e) Kind(er) eindeutig lösen müssen. Dann muß das Kind seine Wut verkraften und verarbeiten lernen. Da über kurz oder lang Beruhigung einsetzt (v.a. wenn eine sichere Bindung vorliegt), können Sie die Erklärung Ihres Verhaltens verbal, d.h. in einfach bildreichen Worten nachschieben. Das Kind erkennt auf diese Weise mindestens eins, nämlich daß Sie aus Sorge und nicht aus Machtgelüsten gegen seinen Willen gehandelt haben. Das ist wahrscheinlich Ihr Problem und das Problem nahezu aller verantwortlich denkenden Eltern. Auch wenn in diesem Moment die elterliche Handlungsweise autoritär erscheint, da machen wir uns nichts vor, basiert sie dennoch auf einer ganz anderen Sichtweise. Hier wird kein Prinzip statuiert, welches vordergründige und banale Etiketten trägt wie "Grenzen setzen" oder "sagen, wer Herr im Haus ist". Hier geht es um klare zwischenmenschliche Strukturen, die auch dem Kind zum Schutz dienen, und es geht um sozialverträgliche Regeln, die auch den Eltern die Erziehungspflicht erleichtern. Was die aggressiven Attacken von Kleinkindern gegen Eltern angeht, gibt es zwei Lösungen: die eine, man läßt sich das Kind an sich selbst ein wenig abkämpfen, was einem nie wirklich weh tut und jeden Moment von einem selbst energisch beendet werden kann. Oder man gibt sich "verletzt", v.a. auch seelisch und mimt starke Betroffenheit, um die Kind Gelegenheit zu geben, in die Rolle des Tröstenden und um Verzeihung bittenden zu schlüpfen, was es in der Regele gerne tut. So födert man die Gewissensbildung. Ich bin überzeugt davon, daß es im Normalfall immer eine sinnvolle und letzlich glückliche Lösung gibt, den Trotzanfall und Wutausbruch zu beenden. Pauschale Direktiven wie "Grenzen setzen" sind da eher wenig hilfreich. Jedes Kind präsentiert sich ja anders und reagiert auch anders. Es ist besser, sein Kind zu kennen, und mit ihm in seiner eigenen Wesensstruktur Regeln zu erarbeiten, die in der Familie Gültigkeit haben und die auf die allgemeingesellschaftlichen Verhaltensformen abgestimmt sind. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 17.02.2004



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