Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Bindung

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

zur Vita

Frage: Bindung

Martina678

Sehr geehrte Frau Henkes, es tut mir leid für den nun folgenden langen Text, aber wir wissen leider inzwischen keinen Rat mehr und würden uns sehr über Ihre Einschätzung freuen. Grundsätzliches:  Unsere Tochter ist 21 Monate alt und bisher Einzelkind. Tagsüber ist sie meist bei mir, bis abends der Papa von der Arbeit kommt. Gelegentlich ist sie auch bei den Großeltern und schläft dort auch mal. Wir gehen zur Krabbelgruppe und treffen uns darüber hinaus privat ab und zu mit gleichaltrigen Kindern.  Nun unsere Probleme:  unsere Tochter kann nicht alleine einschlafen. Es muss jemand neben ihr sitzen und darf sich erst aus dem Zimmer "schleichen", wenn sie schläft. Alleine Einschlafen hat noch nie funktioniert, trotz vieler Versuche und Rituale. Durchgeschlafen hat sie ab ca 4. Monaten, dh. 9 Stunden ohne wach zu werden. Dies hat ein paar Monate geklappt, dann hörte es auf und seitdem braucht she nachts etwas zu trinken und muss wieder wissen, dass jemand bei ihr ist, andernfalls haben wir nur Geschrei. Die Wachphase kann sich so auch über 3 Stunden ziehen. Wenn abends der Papa sie ins Bett bringt, ruft sie nach mir, andersrum genauso. Ginge es nach ihr, sind wir beide da. Tagsüber hängt sie mir wie eine Klette am Bein. Wo ich bin, ist sie. Alleine spielen klappt mal für 10 Minuten, danach ist sie wieder an meinem Bein. Die Tür hinter mir zu schließen, wenn ich zB nur zur Toilette gehe, ist ebenfalls mit Theater verbunden. Sätze wie: "Mama geht nur zur Toilette und kommt danach zurück", ändern nichts. Grundsätzlich versteht sie allerdings sehr viel und ihr Wortschatz an verständlichen Wörtern ist meines Erachtens auch recht groß für ihr Alter. Er liegt bei ca 60 Wörtern. Allein die Tatsache, dass ich ohne sie gehe, bringt sie aus dem Konzept und ich als Laie würde fast von Veustangst sprechen.  Sie braucht außerdem sehr lange, um bei anderen Menschen warm zu werden und spricht dort auch fast gar nicht (Großeltern ausgenommen). Gestern bei einer Freundin hatte sie sogar Angst vor deren 1-jähriger Tochter und fing bei Berührung durch sie sogar an zu weinen. Beim Frühstück dort musste sie auf meinem Schoß sitzen. Im Hochstuhl, wo sie zuhause ja immer sitzt, hat sie nur ängstlich "vor sich hin vegetiert". Im Raum alleine herumlaufen ging nur am Ende mal kurz.  Ich weiß langsam nicht mehr weiter und bin verzweifelt, warum unsere Tochter derart ängstlich und zurückhaltend ist gegenüber anderen Menschen und warum sie immer die Bestätigung braucht, dass Mama (bzw Papa) da ist. Auch zuhause und in anderer gewohnter Umgebung. Was habe ich in der Erziehung falsch gemacht und was kann ich ändern? Habe ich sie zu viel "betüdelt" oder ihr gar zu wenig Halt gegeben? Ich bin bisher in Elternzeit und daher immer für sie da. Natürlich werde ich auch mal laut, wenn mir die Hutschnur platzt, aber ich kann sie ja nicht in Watte packen und ich darf ihr ja auch nicht alles durchgehen lassen - ganz zu schweigen davon, dass ich in Haushalt ja auch etwas schaffen möchte.  Unter uns und hier zuhause kann sie so fröhlich sein, zur Musik tanzen, Guck-guck spielen, lauthals lachen, bis ihr die Tränen kommen, usw usw. Wenn man mit ihr spielt und Faxen macht, ist sie so unglaublich gut gelaunt. Es ist dann so toll und ein Genuss, ihr Zuzusehen. Zu ihrer TonieBox tanzt sie so niedlich und sie findet es toll, wenn man sie dazu animiert. Gehe ich dann zB in die Küche, geht das Theater schon los. Müsste ich sie mit einzelnen Worten beschreiben würde ich sagen "temperamentvoll, launisch, aktiv, begeisterungsfähig, spaßig, zuhause mutig und fast überall sonst ängstlich, Mama-(bzw. Papa-) fixiert".  Verlange ich zu viel von ihr, wenn ich erwarte, dass sie länger alleine spielen lernen muss, zuhause auch mal 15 Minuten ohne mich klarkommen muss wenn ich Haushalt etc mache, woanders nicht so panisch - ängstlich ist und lernen muss, auch alleine einzuschlafen? (Sie schläft übrigens, seitdem sie 6 Monate ist, im eigenen Zimmer - der damalige "Umzug war problemlos).  Erwarte ich wirklich zu viel von ihr?  Ich will mich nicht immer" rausschleichen", sondern ihr sagen können "Mama geht, kommt aber, wenn ... wieder wach ist". Ich möchte sie zu einem starken, selbstbewussten Kind erziehen, fühle mich aber gerade scheitern und weiß einfach nicht warum. Habe ich sie zu viel "betüdelt"? Oder zeigt die starke Fixierung auf uns, dass die Bindung nicht stark genug ist, weswegen sie nun noch immer die Bestätigung sucht, dass wir sie nicht im Stich lassen? Ich habe sie zB auch monatelang in den Schlaf getragen oder geschoben, da das mit den alleine einschlafen bzw damals auch mit den dabei sitzen bleiben nicht klappte und sie sich nie in den Schlaf schreien sollte. Da sollte sie doch auch "gelernt " haben, dass wir immer fit sie da sind.  Sie soll im Oktober eigentlich auch in die Kita und ich hatte gehofft, dass ihr das gut tut (Sozialverhalten, Umgang mit anderen Kindern, Selbstständigkeit lernen, usw). Inzwischen habe ich fast schon Angst, dass ich ihr damit schade.  Es tut mir wirklich leid für diesen langen Text, aber es war mir wichtig, dass Sie angesichts des eigentlich unpersönlichen Forums dennoch ein kleines Bild vom Charakter unserer Tochter vermittelt bekommen um meine Fragen und die Problematik einschätzen zu können.  Können Sie uns einen Rat geben?  Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Hilfe!  Liebe Grüße  Martina 


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

Guten Tag, Sie haben nichts falsch gemacht und Ihre Tochter auch nicht zu sehr betüdelt. Sie ist ja insgesamt sehr gut entwickelt. Ihrer Tochter fällt die Loslösung von Ihnen noch sehr schwer. Das ist aber altersgemäß völlig in Ordnung. Ihre Tochter hat noch nicht genügend Objektkonstanz entwickeln können, um sich sicher zu sein, dass Sie Ihre Mutter sind und bleiben, auch wenn Sie gerade mal nicht da sind. Daher sucht sie noch Ihre Anwesenheit. Dieses Bedürfnis sollten Sie akzeptieren. Ihre Tochter kann das in diesem Alter noch nicht über Einsicht steuern. So kann sie noch gar nicht denken. Lassen Sie sie doch mit zur Toilette gehen oder bei der Hausarbeit "helfen". Je sicherer sie wird, dass Sie da sind, umso eher kann sie sich Eigenem zuwenden und kurze Abwesenehiten tolerieren. Ihre Ängstlichkeit in sozialen Situationen hängt vermutlich damit zusammen, dass Ihre Tochter noch nicht genügend Selbstwertgefühl entwickeln konnte, um sich solchen Herausforderungen beherzter zu stellen. Auch hier ist die Entwicklung individuell sehr unterschiedlich und das Verhalten Ihrer Tochter völlig im Rahmen. Zu einem starken, selbstbewussten Kind kann man im Alter Ihrer Tochter noch nicht erziehen. In diesem Alter kommt es darauf an, einem Kind durch Befriedigung seiner Bedürfnisse, vor allem was Sicherheit und Angstminderung durch Nähe anbelangt, die Grundlagen dafür zu bieten, in der Loslösung und Ichentwicklung nach seinen Möglichkeiten voranzuschreiten. Es ist auch völlig in Ordnung, dass Ihre Tochter noch nicht alleine einschläft. Im Übergang zwischen Wachen und Schlafen steigen viele Ängste auf, weshalb Ihre Tochter Ihre Nähe sucht. Allerdings kann Ihre Tochter schon lernen, dass nur einer der Eltern bei ihr bleibt. Das können Sie ihr mit liebevollen Worten immer wieder erklären. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


Martina678

Liebe Frau Henkes,  vielen lieben Dank für Ihre ausführliche und wirklich persönliche Antwort! Ich werde mir Ihre Worte zu Herzen nehmen und bin sehr dankbar dafür, dass Sie sich für mich so viel Zeit zum Antworten genommen haben. DANKE! Ihre Worte taten gut und ich werde versuchen, mich in mehr Gelassenheit zu üben.  Liebe Grüße, Martina   


Bei individuellen Markenempfehlungen von Expert:Innen handelt es sich nicht um finanzierte Werbung, sondern ausschließlich um die jeweilige Empfehlung des Experten/der Expertin. Selbstverständlich stehen weitere Marken anderer Hersteller zur Auswahl.

Ähnliche Fragen

Hallo, ich habe einen 5 und einen 3 jährigen Sohn. Ich habe im ersten Jahr stets alle Bedürfnisse erfüllt. Sie waren Schreibabys und wurden eigentlich rund um die Uhr getragen. Ich habe 1,5 Jahre gestillt. Ich versuche Wutanfälle mit Gelassenheit, Ruhe und Liebe zu begegnen. Werden diese aber zu oft, dann bricht es manchmal uber mich herein und ic ...

Guten Morgen, unsere Tochter ist knapp 2 und wird gerade im Kindergarten eingewöhnt. Sie kennt die Einrichtung durch den großen Bruder. Wir sind in der 2. Woche der Eingewöhnung. Zu Beginn blieb sie bei mir oder kam öfter zu mir bzw suchte Blickkontakt. An Tag 4 erfolgte die erste Trennung. Sie weinte nicht und spielte die 30 Minuten mit ihrer Erz ...

Hallo Frau Henkes,  ich bin eigentlich vom Fach, aber meine fachliche Kompetenz verlässt mich etwas bei der Eingewöhnung meiner Kinder (Zwillinge, 31 Monate). Ich habe immer dafür postuliert, dass Kinder sanft und nicht zu früh eingewöhnt werden sollen, "gute und schnelle Eingewöhnung" von 1, 2 Wochen eine Anpassungsleistung der kleinen Kinder dar ...

Sehr geehrte Frau Henkes, vielen Dank für Ihren Einsatz auf dieser Website. Ich habe folgende Frage: vorhin bin ich leider mit meiner Tochter (8 Monate) auf dem Arm gestürzt. Es ist ihr körperlich nichts passiert, da ich sie noch auffangen konnte, aber sie hat sich sehr erschrocken und danach laut geweint. Sie ließ sich jedoch schnell wieder ...

Guten Tag Frau Henkes, mein Baby ist 10 Monate alt und eher aufgeschlossen, fremdelt wenig. Mein erstes Kind war sehr auf mich bezogen und deshalb gab es folgende Situationen von mir aus kaum : -Baby im Raum oder draußen kurz allein mit bekannten Personen ( Omas,Opas)  lassen ohne Verabschiedung  - Oma (sehen sie alle 2-3 Wochen) allein m ...

  Hallo nochmal. Ich hatte im Juli schonmal geschrieben. Es geht um das Verhalten meiner Tochter (16 Monate) Letzte Woche waren wir zusammen bei einer Freundin (sie hat sie lange nicht gesehen & sie war noch nie bei ihr zu Hause) und meine Tochter wollte direkt zu ihr auf den Arm und hat fast nur mit ihr gespielt und wollte später nicht zurü ...

Sehr geehrte Frau Henkes,   haben Sie vielen Dank für Ihre Beantwortung der Fragen in diesem Forum.   Nun zu meiner Frage: Meine Tochter ist 9 Monate alt und sehr häufig ein quengeliges Baby. Sie ist sehr auf mich bezogen und hat mal mehr, mal weniger starke Phasen des Fremdelns. Leider gibt es nunmal auch Momente, in denen sie vom ...

Liebe Frau Henkes Vielen Dank für Ihre Arbeit in diesem Forum. Mich beschäftigt schon länger etwas, mal mehr, mal weniger.  Unsere Tochter ist 12 Monate alt und die ersten 10 Monate war ich Vollzeit mit ihr zu Hause. Sie ist ein total fröhliches Kind, schläft gut, isst gut (und nahezu alles) und läuft seitdem sie 10 Monate alt ist. Ein rich ...

Meine Frau und ich habe eine 16 Monate alte Tochter. In der Beziehung kam es oft zu Streit durch Fehlverhalten meinerseits. Ich habe mich so sehr auf mich selbst konzentriert, dass ich meine Frau alleine gelassen habe mit allen Situationen und schaffe es nun auch nicht zu entlasten. Sie ist sehr liebevoll und fürsorglich zu unserer Tochter, ist im ...

Liebe Frau Henkes, ich bin 38 Jahre alt, Mutter dreier Kinder (1, 4 und 7 J. alt) und leide selber unter einer generalisierten Angststörung und aktuell einer mittelschweren Depression. Vor 20 Jahren habe ich bereits eine Verhaltenstherapie gemacht, die auch vorerst gut half. Jedoch war die Zeit seit meiner ersten SS vor 8 Jahren geprägt von Äng ...