Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Ludger Nohr:

Aufwendige Erziehung

Dr. med. Ludger Nohr

Dr. med. Ludger Nohr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Frage: Aufwendige Erziehung

Bine.30

Lieber Herr Dr.Nohr, Mein Mann und ich legen viel Wert darauf unsere Kinder (6, 3 und 0,6 Jahre) bedürfnisorientiert zu erziehen und ihnen aber natürlich trotzdem auch Regeln zu vermitteln (liebevolle Konsequenz). Irgendwie haben wir aber oft das Gefühl, dass wir die einzigen sind, die diesen eher anstrengenden Stil wählen. Im Bekanntenkreis werden die Babys und Kleinkinder in ihr Bett im eigenen Zimmer gelegt, Tür zu, irgendwann hören sie schon auf zu schreien. Nachts bleibt die Tür zu, damit die Eltern schlafen können. Wir dagegen bleiben beim Einschlafen dabei und sitzen auch nachts wie oft händchenhaltend am Bett, obwohl wir auch lieber schlafen würden. Andere drücken ihre Babys und Kleinkinder jedem in die Hand und auch zum Aufpassen und Übernachten und haben dadurch viel Freizeit. Wir haben unsere Babys nie irgendwem herumgereicht und geben sie auch niemandem zum Aufpassen, solange die Person nicht als Beziehungsperson wahrgenommen wird, sehr zum Ärger der alle paar Wochen einmal auftauchenden Großeltern. Bei den Großen bin ich mit zu Spielfreunden, bis es für sie ok war, alleine dort zu bleiben,die anderen Eltern sind da radikal und lassen ihr Kleinkind alleine bei Spielfreunden, ob es mag oder nicht. Auch machen es sich die anderen viel leichter durch intensive Mediennutzung von anfang an und haben so reichlich Freizeit. Da es bei uns Medien erst ab drei Jahren und nur am Wochenende zu festen Zeiten gibt, müssen wir natürlich viel mehr Zeit aktiv füllen. Auch lesen wir abend vor, während die anderen eine cd einlegen und fertig. Mich würde interessieren, inwiefern es denn Sinn macht, den anstrengenderen Weg zu gehen. Und weiter würde mich interessieren, was es mit Menschen macht, wenn sie nicht bedürfnisorientiert erzogen wurden. Mein Mann und ich, und vermutlich viele unserer Generation wurden nicht so erzogen. Ich beobachte auch immer wieder, dass die Großeltern nicht in der Lage sind zu erkennen, wenn die Kinder wütend, müde, usw. sind und Ruhe oder Abstand oder Trost usw. brauchen. Das ist auch ein Grund, warum ichdie Kinder ungern länger dort lasse. Die Großeltern sind dann überfordert. Strafen und schlagen erlauben wir nicht, etwas anderes wissen sie nicht zutun. Wie schätzen Sie die geschilderten Situationen ein? Ich freue mich auf Ihre Antwort und lese Ihre Beiträge immer sehr interessiert. Vielen Dank!


Das ist jetzt eine sehr grundsätzliche und wichtige Frage. Ich glaube sie beginnt damit, weshalb man Mutter oder Vater wird. Und sie endet beim loslassen können. Ein Sprichwort sagt zum Umgang mit Kindern, "wenn sie klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel" Kindern eine sichere Bindung zu ermöglichen ist weniger eine Technik, als eine Haltung. Und sie werden bei Ihren drei Kindern gesehen haben, dass jedes dafür etwas anderes braucht. Wir sollten uns immer wieder auch selbst fragen, weshalb wir etwas tun. Um ein guter Vater, eine gute Mutter zu sein, oder zumindest auch, weil wir bestimmte Werte vermitteln wollen. Und dann ist da auch die Frage der Enge, wieviel Platz lasse ich und wieviel "erdrücke " ich mit meiner Liebe, enge ein. Wieviel traue ich den Kindern zu oder macht es mir Angst, wenn die Kinder was alleine machen. Sie sehen, da gibt es viele Aspekte. Es ist gut, wenn sie ihre Kinder bedürfnisorientiert erziehen, wenn die Klarheit und liebevolle Konsequenz dazukommt. Wenn sie Demütigungen vermeiden können. Aber es ist für Kinder auch gut, dann auch andere, manchmal negative, Erfahrungen zu sammeln. Das gehört dazu und wird mehr, je älter die Kinder werden. Unser Job ist m.E. nicht, die Freunde unserer Kinder zu sein, sondern sie vorzubereiten auf ein Leben in dieser Gesellschaft und verlässlich da zu sein. Was mit den anders erzogenen wird ist schwer zu sagen, aber als Psychoanalytiker habe ich viele Menschen getroffen, die ohne diese Basis große Schwieigkeiten hatten. Und ganz wichtig: Machen Sie es so, wie Sie es für richtig halten, wie es für Sie stimmig ist, und seien Sie trotzdem auch offen für andere Vorstellungen. Ich hoffe, dieser etwas allgemeinere Text sagt Ihnen was zu Ihrer Frage. Dr.Ludger Nohr


Noch ein kleiner Nachsatz: Kinder sind unserer aufwenden Zuwendung immer wert, um eine gute Basis zu legen. Aber wir sollten uns vor zu großen Erwartungen hüten. Dazu sind die Einflüsse viel zu vielseitig und komplex. Dr.Ludger Nohr


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