Sie schreiben ja immer, dass die Ablösung im 2. Lebensjahr über den Vater stattfindet. Wie funktioniert das denn in unserem Fall? Unser Sohn ist 15 Monate. Im ersten Jahr haben wir uns beide gleich stark um ihn gekümmert und er hatte eine sehr enge Beziehung zu beiden. Als er 12 Monate war, habe ich für zwei Monate sehr intensiv gearbeitet, so dass mein Freund ihn im Wesentlichen betreut hat. Seit einem Monat arbeitet nun mein Freund und ich betreue ihn wieder. Die ersten Tage war er quengelig und ich glaube, er hat meinen Freund sehr vermisst. Seit neuestem weint er auch, wenn er sieht, dass mein Freund nicht mit in den Fahrstuhl einsteigt oder in einen Laden geht. Wenn er unbemerkt vom Spielplatz weg geht, sucht er ihn nach einer Weile. Aber die Hauptfrage ist eigentlich: Wie stellt sich die Bindungssituation im ersten Jahr dar, wenn beide Elternteile ihn gleich eng betreuen und wie funktioniert das mit der Ablösung?
Mitglied inaktiv - 25.09.2006, 08:06
Antwort auf:
Ablösung bei Bindung an beide Elternteile
Stichwort: Bindungsverwirrung
Hallo, als die Bindungstheorie entwickelt wurde, wurde einfach vorausgesetzt, daß es eine feste Rollenverteilung unter den Eltern gibt. Solche Modelle, wie Sie sie praktizieren, kamen so gut wie nicht vor. Heutzutage braucht man eine Antwort auf wechselnde bindungsverhältnisse, und es gibt erst wenige Konzepte, die hierfür bereitgehalten werden. Das Konzept, das auch ich vertrete, ist das der drohenden Bindungsverwirrung. Um einer solchen Bindungsverwirrung zu entgehen, schreibt, das Kind seinen Eltern Rollen vor (so gut es diesen Vorschriften machen kann). Die andere Möglichkeit ist die hierarchische Abstufung der Bindungspersonen bei Prallelbetreuung.
Schaut man sehr genau hin, was ein Kind in einer solchen Situation macht, dann kann man diese Elemente entdecken.
So scheint es auch im Fall Ihres Sohnes zu sein. Offenbar hat er seinen Vater als primäre Bezugsperson erkoren und verhält sich nun wie ein junges Kleinkind, das seine Mutter entbehrt.
Beinahe noch spannender als die Frage des "wie" ist die des "warum". Warum erkürt ein Säugling/Kleinkind Mutter oder Vater als primäre Bezugsperson und dann den anderen als Loslösungvorbild. Neben dem rein quantitativen Einfluß darauf kommen meines Erachtens auch Chrakterzüge der Eltern zum Tragen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 25.09.2006