Liebe Frau Ubbens,
ich benötige Ihren Rat und vor allem Verhaltenstipps für den zurzeit sehr schwierigen Umgang mit meinem großen Sohn (im Dezember wird er 5 Jahre alt).
Zur weiteren Situationserläuterung: Wir haben noch einen 1,5 Jährigen Sohn. Bestimmt kommt der Große schon seit Längerem zu kurz. Ich versuche mir aber vermehrt Zeit für ihn zu nehmen. Beide Kinder gehen in den Kindergarten. Mein Sohn macht außerdem regelmäßig Sport (Karate, hat er sich selbst ausgesucht)
Mein Sohn war schon immer ein selbstbewusster Charakter, der immer schon mit großen Emotionalitäten zu kämpfe hatte. Er ist sehr sensibel aber auch extrem standhaft in seinen Entscheidungen. Eigentlich kam ich damit soweit immer zurecht und fand es toll, auch wenn es mich an meine Grenzen gebracht hat. Ich war immer an „der richtigen Erziehung“ interessiert und wollte immer mit viel Liebe, Verständnis, Zuneigung reagieren und Situationen lösen. Ich hatte eigentlich immer eine starke und feste Bindung zu meinem Sohn. Mittlerweile aber geht diese in die Brüche -so empfinde ich es. Natürlich gibt es mit solchen „schwierigen Phasen“ auch immer auf und abs. Das weiß ich, aber momentan ist es einfach wieder besonders schwer und es nimmt in der Intensität zu.
Ich habe keine Lust mehr auf Bockigkeiten und Wutausbrüche. Insbesondere, weil diese momentan so ausarten, dass unser Sohn schlägt, tritt, spuckt, Sachen durch die Gegend wirft oder auf mich. Gestern habe ich sogar einen blauen Fleck bekommen, weil er mich so fest gekniffen hat. Er versucht wissentlich und willentlich Sachen kaputt zu machen, droht uns, versucht uns zu erpressen und geht uns richtig körperlich an. Er schreit natürlich auch. Insgesamt wütet er einfach richtig herum. Ich versuche ihm zu erklären, dass es ok ist, wenn man wütend ist. Wir haben es schon oft thematisiert und Bücher gelesen. Ich versuche ihm zu erklären, dass er Stampfen kann, in Kissen boxen und und und. Er will diese Möglichkeiten in den Situationen aber einfach nicht annehmen...
Ich muss sagen, mir platzt mittlerweile wirklich auch der Kragen. Ich werde laut und schimpfe. Ich bestrafe damit, dass er etwas nicht bekommt und drohe ebenfalls. Gestern zb. hat er mich mit Müslipackungen beworfen. Daraufhin durfte er das Müsli nicht mehr essen (ist das richtig oder falsch?). Ich verhalte mich schlecht und schimpfe ihn an und werde zum Teil auch richtig grob, wenn er mich wieder körperlich angehen will. Ich habe ihn auch schon auf die Terrasse geschoben und die Tür zugemacht – für einen kurzen Augenblick. Sowas war früher für mich undenkbar. Ich habe das Gefühl richtig „hart“ zu werden. Irgendwie geht mir die Empathie verloren. Das hätte ich niemals gedacht…
Grundsätzlich bin ich eigentlich gegen Strafen und natürlich auch gegen Gewalt.
Aber ich lasse mich nicht schlagen. Das versuche ich natürlich zu erklären. Aber wenn es nicht hilft, habe ich ihn schon weggeschubst oder wirklich hart angefasst und weggetragen. Immer schreit er dabei so laut und unerbittlich AUA als würde man ihn massakrieren. Tatsächlich habe ich ihn auch schon fest in den Oberarm gekniffen. Das war wirklich nicht gut aber es passierte aus der Situation heraus. Ich bin verzweifelt und weiß einfach nicht, wie ich mich gut verhalten soll. Oder vielleicht fehlt mir auch einfach die Kraft… Ich merke, wie ich mich anstecken lasse und auch aggressiv werde. Es ist irgendwie ein blöder Kreislauf. Wenn ich eine Pause von der Situation will, um einen klaren Kopf zu bekommen, krallt er sich an mir fest und hängt sich an mein Bein, damit ich bloß nicht kurz den Raum verlasse.
Es fällt mir schwer ihn zu beruhigen, weil ich selbst so wütend werde. Oft hilft es, wenn ich ihm ein Kuscheltier bringe. Das fordert er auch oft ein. Aber es sieht dann so aus, dass er mich kommandiert und mir Befehle erteilt welches Kuscheltier ich zu bringen habe. Irgendwie will ich mich dann aber auch nicht rumkommandieren lassen. Aber nur so lässt sich dann eine Lösung finden. Oft biete ich ihn schon vorher ein Kuscheltier an, selber holen will er es aber nie. Ich mag ihn in solchen momentan eigentlich auch nicht mehr gerne in den Arm nehmen. Meist mache ich es natürlich doch irgendwann, aber ich bin einfach selber beleidigt…(wenn sich irgendwann alles beruhigt nehme ich ihn immer nochmal in den Arm)
Schlimm ist auch, dass unser kleiner Sohn immer in den Situationen dabei ist und schon beginnt es genauso zu machen bzw. meinem großen Sohn in den Situationen zu folgen und mitzumachen.
Ich hätte nie gedacht, dass es so ausarten würde. Ich war immer überzeugt alles gut im Griff zu haben. Ich weiß einfach nicht, wie wir das wieder gradebiegen können…
Ich hoffe, Sie haben einen Rat für mich.
Vielen Dank schon jetzt für Ihre Zeit. DANKE
von
aannilii
am 07.09.2023, 09:35
Antwort auf:
Kind schlägt, tritt und wütet - und ich bekomme die Situation nicht in den Griff
Liebe aannillii,
als erstes sollten Sie versuchen, sich nicht auf die gleiche Ebene wie Ihr Sohn zu begeben. Das heißt, dass Sie nicht laut werden sollten, nicht kneifen und möglichst auch nicht grob werden. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Dennoch befeuert die elterliche Wut, das elterliche Verzweifeltsein, die Wut des Kindes.
Sie haben gemerkt, dass Ihr Sohn sich eigentlich ganz gut mit einem Kuscheltier beruhigen lässt. Dann bringen Sie ihm sein Kuscheltier und lassen sich für einige Zeit auf die Position eines Laufburschen herab. Bzgl. der Wutregulierung mit Stampfen oder auf ein Kissen boxen usw. heißt es, als Eltern genau dieses mitzumachen und nicht nur Worte zu benutzen. Bedeutet, Ihr Sohn wird wütend und Sie nehmen ihn an die Hand, wenn er es zulässt, und sagen, dass Sie verstehen, dass er wütend ist uns sie gemeinsam die Wut ordentlich wegstampfen. Ihr Sohn braucht eine praktische Anleitung.
Was sind das für Situationen, in den Ihr Sohn wütend wird? Können diese im Vorfeld minimiert werden, in dem beispielsweise eine Alternative angeboten wird? "Einen Keks kannst du jetzt nicht bekommen. Ich kann dir einen Apfel klein schneiden." Oder "Fernsehen kannst du nach dem Mittagessen ein wenig. Jetzt können wir uns noch ein Buch angucken / kannst du mir helfen das Mittagessen zuzubereiten." So und ähnlich können Sie sicherlich schon einige Wutausbrüche verhindern, da Ihr Sohn nicht mit einem Nein umgehen muss, sondern über die Alternative nachdenken kann.
Bzgl. dessen, dass Ihr Sohn nicht immer auf Ansprache reagiert, beispielsweise nicht gleich zum Essen kommt usw., gehen Sie immer direkt zu Ihrem Sohn, um ihm entsprechendes mitzuteilen und rufen nicht von weitem. Kündigen Sie das Ende des Spielezeit zudem vorher an. "Das Essen ist gleich fertig. Du kannst die Autos noch einparken und dann wollen wir essen." So wird Ihr Sohn nicht direkt aus dem Spiel gerissen und muss auch nicht wütend werden, wenn alle anderen schon mit dem Essen angefangen haben und er zu spät kommt.
Ihr Sohn ist erst vier Jahre alt, da dürfen Sie ihm gerne entgegen kommen. Vor allem sitzt er gerade in dieser Wutfalle fest. Es ist für ihn zur Normalität geworden, erst einmal wütend zu werden. Aus dieser Spirale kommt er nur durch elterliche Zugeständnisse raus, was nicht heißt, dass ihm alles recht gemacht werden muss. Nur braucht er Unterstützung, um aus dieser Wutfalle wieder herauszukommen.
Viele Grüße Sylvia
von
Sylvia Ubbens
am 09.09.2023
Antwort auf:
Kind schlägt, tritt und wütet - und ich bekomme die Situation nicht in den Griff
Gibt es einen Vater, der sich auch kümmert und wie verhält sich euer Sohn ihm gegenüber?
Wie ist sein Verhalten im KiGa und beim Karat?
Es wäre hilfreich zu wissen, ob er sich grundsätzlich besser beherrschen kann oder das überallein Problem ist.
Auch unabhängig davon finde ich aber sein Verhalten schon krass und ich würde eine Erziehungsberatung in Anspruch nehmen, ggf. auch einen KJP zu Rate ziehen.
von
suityourself
am 07.09.2023, 14:14
Antwort auf:
Kind schlägt, tritt und wütet - und ich bekomme die Situation nicht in den Griff
Hallo :)
also im Kindergarten und auch sonst kann sich mein Sohn sehr gut verhalten. Beim Karate bisher auch keine Probleme - dort lernt er ja sogar Dinge zu Respekt etc. Hat er mir selber schon erzählt. Im Kindergarten gab es schon mal Wutausbrüche mit Weinen und Schreien, und einmal hat er wohl auch dabei gehauen. Aber sonst ist nichts derartiges bekannt. Und über das Hauen neulich waren die Erzieher auch sehr erstaunt. Er kann sich eigentlich gut unterordnen und ist im allgemeinen sehr sozial. Er Teilt gerne etc. Nur mit dem kleinen Bruder wird natürlich auch um Spielzug gestritten.
Auch bei den Großeltern verhält er sich prima - aber auch da gab es schon Wutanfälle - das ist ja ansonsten auch nichts unnormales. Er verhält sich woanders nicht so krass wie Zuhause.
Der Vater kümmert sich auch und kennt das gleiche Verhalten wie ich.
Er stellt übrigens seine Ohren gerne auch auf Durchzug und es wird nicht geantwortet oder zugehört. Manchmal auch, wenn es z.B. darum geht zum Abendbrot zu kommen, Zähne zu putzen etc. Wenn ich dann schon anfange und er verzögert dazukommt, weil er natürlich doch etwas gehört hat, kann der Wutanfall schon losgehen...
von
aannilii
am 07.09.2023, 14:20
Antwort auf:
Kind schlägt, tritt und wütet - und ich bekomme die Situation nicht in den Griff
Also grundsätzlich kann er es und tut es idR auch - nur zu Hause nicht.
5 ist ja ein Alter, wo gerne von der Wackelzahnpubertät gesprochen wird;-)
KiGa geht zu Ende, Schule wird immer öfter ein Thema usw.
Das wirft viele Kinder in dieser Zeit aus der Bahn und Rückfälle in Kleinkinder-Wutanfälle sind nicht selten.
Aber was du beschreibst, geht meiner Meinung nach darüber hinaus. Oder wird evt. inzwischen noch dadurch befeuert, dass euch/dir langsam auch der Geduldsfaden reißt.
Deshalb würde ich wirklich zu einer Erziehungsberatung neigen. So ein Blick von außen kann Wunder wirken. Manchmal sind es dann doch nur Kleinigkeiten, die man ändern muss und der Laden läuft wieder :-)
Das Positive ist ja, dass er es grundsätzlich kann.
Bin aber gespannt, was Frau Übbens rät.
von
suityourself
am 07.09.2023, 14:29