Liebe Expertinnen,
unser Sohn, 9 Monate ist schon immer ein richtiger Wirbelwind und schafft es nur mit sehr viel Unterstützung runterzukommen. Das er abends ruhig und selig beim Stillen einschläft, davon kann ich nur träumen. Nach unserem kurzen Abendritual und der festen zu-Bett-geh-Zeit (nach vorne flexibel, wenn er vorher gähnt, starrt, Augen oder Ohren reibt) wird er täglich versuchsweise auf dem Schaukelstuhl in den Schlaf gestillt. Die Stunde vorm zu Bett gehen ist er die meiste Zeit im Tuch, damit er sich entspannt. Beim Einschlafstillen schmeißt er Wahlweise Füße und Arme in die Luft oder reibt sich seine angespannten Füße, zieht an meinen Haaren, dreht sich weg usw.... Nach 7 Minuten zum Teil gierigem Trinken und gleichzeitig wildem toben (Abendbrei gab es ca. 45 Minuten vorher) und einem Bäuerchen dreht er dann meist richtig auf. Meist schaffe ich es ihn dann nur im Tragetuch im dunklen Zimmer zu beruhigen... dabei muss ich die Kapuze über seine Augen ziehen und schwungvoll wippen... dann ist er meist in 20 Minuten weg. Muss dann nur die erste Schlafphase abwarten und dann kann ich ihn nochmal anlegen/in sein Bettchen legen. Nachts wacht er zwischen 3-8 Mal auf was an sich kein großes Problem darstellt. Manchmal nuckelt er nur - 2-3x trinkt er gut. Er schläft dann meist ein und lässt sich in seinen Babybalkon ablegen. Meine rechte Brust nimmt er auch nur in der Nacht... tagsüber wird diese fast immer verweigert. Hat sich aber nach mehreren Milchstaus eingependelt.
Er wird noch viel gestillt. Alle Breie sind eingeführt - er isst zwischen 60-150 Gramm und wird ca. 20 min nach jeder Mahlzeit gestillt/in den schlaf gestillt. Er ist recht groß und „muskulös“ ca. 77 cm bei 10 kg. Das tagsüber in den Schlaf klappt hingegen einigermaßen gut, da er dann auf mir oder im tuch schläft )-: Jeder Ablegeversuch tagsüber ist bisher gescheitert.
Er wird dann entweder sofort oder nach 10 Minuten wieder wach.
Wir haben schon einen sehr gleichmäßigen ruhigen Tagesverlauf mit zwei Spaziergängen, ich verzichte auf jeglichen Koffein (tee,Schokolade, kaffee) und weiß einfach nicht weiter und möchte kein falsches Schlafverhalten anerziehen...
Eine aufgesuchte Schlafberaterin empfahl:
-Nachts abstillen
-Vater drei Nächte das Kind in den Schlaf wiegen lassen (damit er keine Milch riecht)
Babybett weit vom Bett wegstellen
Das kam mir recht hart vor, will aber auch dem Kind nicht schaden. Habe ihn daraufhin schon 2x versucht einfach ins Bett zu legen und mich direkt daneben zu legen und ihn zu beruhigen (singen, streicheln) . Er wird dann nur noch wilder, es gipfelt dann darin, dass er sich im Bett übergibt (nach ca.1,5 Stunden) rumtoben... obwohl er dabei nicht weint/schreit: es ist stress pur. Für ihn, für mich.
Er schläft tagsüber morgens und mittags 2x ca. 1 Stunde und Nachts 12-13 Stunden mit kleinen Unterbrechungen und ist vor dem Schlafengehen 3,5-4 Stunden am Stück wach...
Tagsüber ist er ein fröhlicher, quirliger Kerl der alles aufsaugt wie ein kleiner Schwamm...
Gibt es Tipps/Rat wie ich das zu Bett bringen beruhigen kann, ihm helfen kann abends entspannt in den Schlaf zu finden?
Vielen lieben Dank für Ihren Rat!
von
Kraki
am 10.03.2020, 13:55
Antwort auf:
Einschlafstillen Baby 9 Monate
Liebe Kraki,
es steht absolut außer Frage, dass unruhige Nächte und zu wenig Schlaf ein Wahnsinnsproblem sind und vermutlich wissen die meisten Mütter nur zu gut, wie es ist, wenn man sich nach mehr Schlaf, bitte nur ein bisschen mehr Schlaf, sehnt. Aber es gibt nun mal keine Patentrezepte, die das Kind dazu bringen, länger zu schlafen, auch nicht die Schlaftrainingsprogramme à la "jedes Kind kann". Wären diese Programme übrigens wirklich so wirkungsvoll, dann müssten sie nicht immer wieder wiederholt werden.
Du kannst jetzt mit vielen Tricks versuchen, die Situation zu verändern, aber es wird nur Stress und Tränen geben, denn dein Kind IST einfach in der Phase, in der es dich so viel braucht.
In dieser Zeit verarbeiten Kinder vieles in der Nacht, und brauchen die Bestätigung, dass Mama ganz nah ist, und die beruhigende Milch, noch ziemlich. Es ist kein Rückschritt, wie es scheint, sondern zeigt, dass sich dein Kleines weiter entwickelt!
Ein Baby muss eine gewisse Reife erreichen, um längere Zeit schlafen zu können. Wann dieser Zeitpunkt erreicht wird, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Eine Flasche mit künstlicher
Säuglingsnahrung (oder ein Abendbrei) verbessern das Schlafverhalten nicht (das wurde in
Studien nachgewiesen).
Seit Jahrtausenden und in unzähligen Kulturen ist es so, dass Mütter ihre Babys in den Schlaf stillen. Das Saugen wirkt beruhigend und nicht umsonst wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten Brustattrappen (z.B. Schnuller s.o.) erfunden. Von der Natur ist es nicht vorgesehen, dass ein Baby oder Kleinkind allein ist und alleine einschläft. Nur passt dieses „natürliche" Verhalten des Babys nicht in unsere derzeitige Zeitströmung und damit haben wir ein (von uns selbst produziertes) Problem: Babys wissen nicht, was zur Zeit „Mode" ist und benehmen sich so, wie sie es seit Anbeginn der Menschheit getan haben.
Es hat seinen Grund, warum stillende Mütter die besten Einschlafhilfen SIND. Beim Saugen an der Brust findet ein Baby das, was es braucht: Trost, Nahrung, Sicherheit. Es liegt vermutlich an einer gewissen neurologischen Unreife, wenn einige Babys das mehr brauchen als andere, und es "verwächst" sich wirklich von alleine!!
Dein Baby braucht also vor allem eines: Zeit zum Reifen. Vielleicht "schenkst" Du ihm einfach noch ein bisschen von dieser Zeit, in der du ihm gestattest, so zu sein, wie es ist. Du machst nichts falsch!
Die Kinder beginnen um diesen Zeitraum die Welt sehr konkret zu erleben, sie müssen das am Tag Erlebte in der Nacht verarbeiten, sie lernen neue Fähigkeiten (umdrehen, robben, krabbeln, gezieltes Greifen ...), sie beginnen den Unterschied zwischen fremd und bekannt zu erkennen. All dies ist ungeheuer aufregend und auch anstrengend. Dazu kommt, dass sich die Zähne verstärkt bemerkbar machen, dass vielleicht die erste Erkältung kommt und, und, und ...
Der scheinbare Rückschritt im Schlafverhalten ist eigentlich ein Fortschritt, denn er zeigt, dass die Entwicklung des Kindes voranschreitet.
Ein Baby muss eine gewisse Reife erreichen, um längere Zeit schlafen zu können. Wann dieser Zeitpunkt erreicht wird, ist von Kind zu Kind unterschiedlich.
Wichtig ist auch, dass Du weißt, dass dies zwar eine lange Phase ist, aber sie WIRD vorbei gehen! Bis dahin ist es meist einfacher, das Drumherum zu ändern, als das Baby.
• Nimm ALLE Hilfe an, die Du bekommen kannst. Erkundige dich mal, ob Du nicht eine Haushaltshilfe bekommen kannst (wegen absoluter und chronischer Erschöpfung). Möglicherweise kann dir auch deine Mutter, Schwiegermutter, Schwester oder eine Freundin (selbstverständlich auch das männliche Pendant dazu) etwas unter die Arme greifen. Das können ganz simple Dinge sein z.B. einmal alle Fenster putzen, deinen Bügelkorb leerbügeln, einige vorgekochte Mahlzeiten für deine Tiefkühltruhe, ein Nachmittag Babysitten während Du in die Sauna gehst oder sonst etwas für dich tust ...
• Vielleicht findest Du auch einen verantwortungsbewussten Teenager, der gegen geringes Entgelt bereit ist, mit deinem Kind zu spielen oder spazieren zu gehen. In dieser Zeit solltest Du dann aber wirklich entweder schlafen (bzw. ruhen) oder DIR etwas Gutes tun.
• Lass den Haushalt auf Sparflamme laufen. Nicht alles muss gebügelt werden. Wenn Handtücher nach dem Baden und Duschen wieder aufgehängt werden, statt auf dem Fußboden zu landen, können sie mehrmals benutzt werden, das spart Wäsche. Es ist nicht wesentlich mehr Arbeit die doppelte Menge Spaghettisoße zu kochen, aber Du hast dann eine fast fertige Mahlzeit für die Tiefkühltruhe. Es schadet nicht der Gesundheit der Familie, wenn Du die Fenster erst wieder im nächsten Jahr putzt. Du wirst sicher einiges finden, was im Haushalt nicht so perfekt gemacht werden muss.
Achte darauf, dass Du genügend isst und trinkst. Du musst keine perfekten Menüs kochen und essen, einigermaßen ausgewogen reicht und es darf auch Tiefkühlgemüse statt frischem Gemüse sein (dann sparst Du dir auch das Schälen und Putzen). Eine hungrige Mutter ist nicht so belastbar.
Sehr empfehlenswert ist von Sibylle Lüpold das Buch: "Ich will bei euch schlafen - Ruhige Nächte für Eltern und Kinder.“
Ich hoffe, der Text war dir jetzt nicht zu lange und wenn Du noch Lust zum Lesen hast, dann schau dir auch den angehängten Text von Dr. Paky an.
Ich hoffe, die Antwort hilft dir weiter.
LLLiebe Grüße
Biggi
Die Kunst, sein Kind schlafen zu lassen
Prim. Dr. Franz Paky, Leiter der Schreiambulanz (Ambulanz für Schreien und Schlafstörungen) der Kinderabteilung des LKH Mödling
Schlafen, Alleinsein, Finsternis
Für ein Kind gibt es nichts Schlimmeres, als den Schutz und die elterliche Geborgenheit zu verlieren. Mit der Finsternis der Nacht reißt die Gewißheit ab, dass der elterliche Schutz gegeben ist. Nichts ist leichter verständlich, als dass sowohl das Einschlafen als auch das nächtliche Aufwachen für ein Kind mit Angst verbunden ist. Es ist ebensowenig verwunderlich, dass viele Methoden entwickelt wurden, den Übergang vom Wachzustand in den Schlaf für das Kind zu erleichtern. All diesen Riten ist gemeinsam, dass sie die elterliche Gegenwart in den Schlaf hinein zu erhalten suchen (Wiegenlied, Gute Nacht Geschichte, Gute Nacht Kuß, Kuscheltier als Übergangsobjekt usw.).
Schlafen Loslassen
Nicht nur für das Kind ist mit dem Einschlafen eine Trennung von den Eltern verbunden. In ähnlicher Weise erleben die Eltern das Einschlafen des Kindes als Trennung. Insgeheim stellt sich die Frage: Wird das Kind ohne unsere Hilfe einschlafen? Wird sich das Kind ohne weiteres (?) von mir trennen? Wird es auch wieder von selbst wach?
Zwei Arten von guten Schläfern die echten und die resignativen
Nicht alle Kinder, die unkompliziert einschlafen und durchschlafen, sind zu beneiden. Wenn Babys spüren, dass ihr Schreien in der Nacht die Eltern unter keinen Umständen auf den Plan rufen kann, geben sie auf und schlafen den Schlaf der Resignation. Auf diesem Mechanismus beruht der scheinbare Erfolg der älteren Generation, ein Kind beim Einschlafen unbegrenzt schreien zu lassen.
Die Entwicklung des Babys und das
Schlafproblem
Um das sechste Lebensmonat erweitern Babys ihren sozialen Horizont beträchtlich. Sie lernen zwischen ihren vertrauten Eltern und fremden Menschen zu unterscheiden ("Fremdeln"). Die Angst, die damit einhergeht ("Achtmonatsangst"), führt nicht selten zu einer Störung des Schlafes. Kinder, die in den ersten Lebensmonaten zur Freude ihrer Eltern bereits durchgeschlafen haben, beginnen dann nachts mehrmals wach zu werden. Oft brauchen sie nicht mehr als die Versicherung, dass alles in Ordnung ist. Ein kurzes Nuckeln an der Brust oder allein der Zuspruch einer vertrauten Stimme genügen, dass das Kind weiterschläft. Häufig führt aber die Schlafstörung zur Sorge der Mutter, dass das schon größer gewordene Kind mit ihrer Milch nicht mehr genug hat. Dann erhält das Kind an Stelle des Trostes, den es braucht, mehrere Mahlzeiten, die eigentlich überflüssig sind. Welcher Erwachsene, der gut schlafen will, würde sich absichtlich zu diesem Zweck den Bauch voll schlagen?
Das Schlafparadoxon
Wenn wir den Schlaf dringend herbeisehnen, stellt er sich am zögerndsten ein. Eine ganz ähnliche Erfahrung machen wir mit unseren Kindern. Wenn wir am wenigsten darauf angewiesen sind, schläft unser Kind am leichtesten ein. Brauchen wir dagegen unseren eigenen Schlaf dringend, weil wir am nächsten Tag früh aufstehen müssen oder einen schwierigen Termin haben, dann spielt das Kind nicht mit. Es will und will nicht einschlafen. Und noch weniger gönnt es uns einen ununterbrochenen Schlaf. Man gewinnt fast den Eindruck, als würden wir das Kind mit unserer Aura des Schlafzwanges am Schlaf hindern.
Wenn sich ein Vater, der sein Kind mit allergrößten Mühen zum Einschlafen gebracht hat, auf leisesten Sohlen vom Bett fortschleicht, weckt er das Kind mit seiner Angst, dass es wieder wach werden könnte, tatsächlich auf. Dieses Phänomen zwingt uns dazu, über den eigenen Schatten zu springen. Wir müssen uns nach dem Rhythmus des Kindes richten und aufhören, ihm unsere Bedürfnisse aufzuzwingen.
Individueller Schlafbedarf
Jedes Kind braucht wie übrigens erwachsene Menschen auch eine individuelle Zahl von Schlafstunden. Die Spannbreite liegt bei Kindern im zweiten Lebenshalbjahr bei 9 bis 14 Stunden (Largo Kinderjahre 1999, S. 27).
Behinderung der Selbstregulation
Groß ist die Gefahr, dass sich Eltern in guter Absicht in Vorgänge einmischen, über deren Ablauf das Kind selbst bestimmen soll. Als Beispiele seien das Essen und das Trinken, die Kleidung und die Kontrolle von Stuhl und Harnausscheidung genannt. Die Selbstregulation über diese Vorgänge wird vom Kind im Lauf seiner normalen Entwicklung übernommen. Greifen die Eltern allerdings in diese Entwicklung ein, wird die Selbständigkeit nicht erreicht. Den Eltern bleibt damit die Bürde der Kontrolle erhalten, und das Kind bleibt in Abhängigkeit.
In typischer Weise tritt dieser Mechanismus beim Schlaf auf. In der Meinung, dass die Eltern die volle Verantwortung für die Tiefe und die Dauer des Schlafes ihres Kindes tragen, wird dem Kind seine Selbständigkeit verwehrt und die Eltern zerbrechen an der Bürde der Kontrolle, die sie selbst nicht abgeben können.
Die Kunst, sein Kind schlafen zu lassen
Auf übermüdete und erschöpfte Eltern wirkt es vermutlich zynisch, wenn ich davon spreche, dass es bei der Kunst, sein Kind schlafen zu lassen, um die eigene Gelassenheit und das Loslassen des Kindes geht. Nach allem, was man schon versucht hat, sollte es gerade mit dem Loslassen funktionieren, wo man doch weiß, dass nichts schwerer ist im Leben als das Loslassen.
Vertrauen in die Selbstregulation des Kindes ist der Schlüssel zum Loslassen und damit auch zum Schlafenlassen des Kindes. Wenn man dieses Vertrauen erwirbt, wird man sich vom Kind für die Zeit des Schlafes trennen können, ohne den Kontakt ganz zu verlieren. Das Kind wird auch in einer unruhigen Umgebung und ohne großes Geschrei einschlafen können. Vor allem wird es möglich sein, das Kind im Elternbett schlafen zu lassen und auf diese Weise das Stillen nach dem natürlichen Bedarf von Mutter und Kind beizubehalten.
Jedes Kind kann schlafen lernen
Weil es schwierig ist, diese Zusammenhänge bewusst zu machen, erfreuen sich Bücher, die sich auf ein Training bzw. auf eine Dressur des kindlichen Verhaltens beschränken, großer Beliebtheit.
Am populärsten sind zur Zeit wohl Methoden der dosierten Frustration. Anstatt bei sich selber anzufangen, lässt man das Kind etwas länger schreien, so lange, bis es davon überzeugt ist, dass man als Nachtwächter oder Tröster nicht in Frage kommt. Der Erfolg stellt sich scheinbar ein, indem das Kind den Schlaf der Resignation schläft. Die Chance, dass sowohl die Eltern als auch das Kind aus dem Problem des gestörten Schlafes etwas lernen und auch für sich gewinnen, wird damit aber vertan.
Wir sollten die Chance wahrnehmen, die darin liegt, die Kunst zu erwerben, sein Kind schlafen zu lassen
von
Biggi Welter
am 10.03.2020