lieber dr. posth,
meine 18 monate alte tochter geht seit kurzem in eine kita mit sehr guten eingewöhnungskonzept (berliner modell). sie akzeptiert die erzieherin als bezugsperson, lässt sich von ihr trösten, will in meiner gegenwart von ihr hochgenommen werden etc.
beim morgendlichen abschied weint sie aber sehr und beruhigt sich erst nach ein paar minuten. ich habe Ihre ausführungen zu dem thema gelesen und möchte nun gerne wissen, wodurch man echtes getröstetsein durch die ersatzbezugsperson und eine reine anpassungsleistung voneinander unterscheiden kann.
wenn ich meine tochter abhole, verhält sie sich wie folgt: sie schaut kurz vom spiel hoch, lächelt, bringt mir ein spielzeug und geht wieder zu den kindern. oder sie zieht mich mit den zu spielsachen. vor dem gehen will sie noch die kinder und die erzieherin umarmen. sehe ich das richtig, dass dies zeichen einer gelungenen eingewöhnung sind?
vielen dank für Ihre arbeit!
susan
Mitglied inaktiv - 12.09.2005, 12:45
Antwort auf:
Auch Kiga-Abschied
Liebe Susan, die Unterscheidung zwischen echter Akzeptanz von Ersatzbezugspersonen und geschickter Anpassungsleistung ist sehr schwierig. Ich behaupte einmal, auch Fachleute irren sich da häufig. Das geht soweit, daß gesagt wird, die gute Anpassungsleitung sei ja die Akzeptanz. Das hieße aber, daß jemand, der zur Strafe eine Arbeit leistet, diese Strafarbeit automaitsch als berechtigt ansieht, nur weil er sich nicht offenkundig gegen sie wehrt. Ist das die richtige Psychologie?
Im Verhalten Ihrer Tochter würde ich Anteile sogenannter "Vermeidung" erkennen. Solche Kinder bringen es fertig, der Mutter vorzuspielen, sie seien dort glücklich, wo sie in Wirklichkeit unglücklich sind. Sie tun es einerseits, um die Erwartungen ihrer Mutter zu erfüllen, dafür werden sie ja auch gelobt. Sie tun es aber auch, weil sie gelernt haben, daß ihr Protest von der Mutter, den Eltern nicht erhört wird. Ich nenne diese Kinder die stillen Erdulder. Glücklich sind sie nicht, sie haben viel zu verdrängen.
Bei dem aktuellen, politischen Wunsch nach Frühbetreuung wird es in Zukunft viel mehr solcher stiller Erdulder geben. Vielleicht sind Sie auf die frühe Fremdbetreuung angewiesen, was soll ich da sagen. Vielleicht sind Sie es nicht, und dann würde ich Ihnen raten, das Experiment erst einmal wieder abzubrechen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 14.09.2005