Hallo Frau Ubbens,
wenn ich meine Tochter (21 m) bei der Tagesmutter abhole (wo sie 3x pro Woche für 4,5 h ist), reagiert sie kaum. Sieht mich zwar an, aber sehr selten läuft sie auf mich zu in meine Arme. Sie schaut eher. Mir kommt es so vor als wäre es ihr etwas gleichgültig, dass ich komme. Oft mag sie dann auch noch weiter spielen oder fetzt los und haut ab, sodass ich sie aus dem Wohnzimmer holen muss.
Beim Abgeben läuft sie rein ohne kuss und tschüss oder winken. Das beschäftigt mich.
Ansonsten habe ich das gefühl, dass wir eine gute bindung haben und sie sich wirklich immer auf mich verlassen kann.
Nun habe ich in diesem Forum einen Post von Herr Dr. Rüdiger Posth im Internet gefunden, als Antwort auf eine Frage, warum die Reaktion der Kinder in der Kita beim Abholen so unterschiedlich ist:
"Hallo, was Sie hier feststellen, sind klassische Reaktionen im Sinne der Bindungstheorie. Kinder, die ihre Eltern beim Abholen ignorieren, haben es gelernt, ihr Gefühle unter Kontrolle zu halten (letztlich zu verdrängen) aus Angst, sie würden wieder dieselben Enttäuschungen erleben (wie z.B. Abweisung), wenn sie sie beim Abgeben erlebt haben. Gefühle wurden gezeigt und haben ihnen nichts genützt. Und zweimal denselben Stress zu erleben meiden sie aus Angst vor der Belastung. Ihnen entgeht dabei der Fakt, dass es diesmal anders ist und sie abgeholt werden. Aber so funktioniert die Psyche eben nicht. Die rationale Feststellung, was diemal anders ist, erreicht noch nicht ihre Gedankenwelt. Aber auch im späteren Leben entstehen diese Verhaltensmuster der Vermeidung. Vermieden wird nicht mehr nur aus taktischem Kalkül, sondern grundsätzlich. Es wird eine Lebenshaltung daraus.
Kinder, die sanft abgelöst worden sind, haben ihr Vertrauen in die Bindungs- und Bezugspersonen erhalten können. Sie trennen sich im Bewusstsein, am neuen Ort sicher aufgehoben zu sein und von ihren Eltern jederzeit wieder nach Hause geholt zu werden. Also können sie entspannt am Ki-ga-Alttag teilnehmen und sich über die Rückkehr der Mutter freuen. Ja, sie wollen dann sogar noch ein bisschen länger bleiben. Ihre Gefühle können sie jederzeit zeigen im Wissen, dass diese erhört werden. Das ist der Grund, warum sanfte Ablösung in diesem Alter unverzichtbar ist. Viele Grüße
PS: ambivalent gebundene Kinder weinen übrigens und kämpfen sogar gegen ihre Mütter, wenn sie zum Abholen wiederkommen."
Das klingt schrecklich. Verdrängen von emotionen usw. Wir reagieren natürlich IMMER auf das Weinen, die Bedürfnisse unserer Tochter!!!! Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, auf welche Literatur o.ä. der Dr. Posth sich hier beruft, denn ich würde mich hier gerne einlesen! Ich möchte auf keinen Fall, dass meine Tochter eine Lebenshaltung der Gefühlsvermeidung entwickelt ?!?!?!?!
Ich bitte Sie um eine Antwort und Danke im Voraus,
von
Cton
am 23.09.2019, 14:56
Antwort auf:
Kind zeigt beim Abholen eine Reaktion
Liebe Cton,
Sie haben schon eine sehr gute Antwort von meiner Vorrednerin erhalten. Sie hat die beiden großen Bindungstheoretiker angesprochen, worauf sicherlich auch Dr. Posth seine Antworten gestützt hat.
Sie haben das Gefühl, eine gute Bindung zu Ihrer Tochter zu haben. Dann hören Sie gerne auf Ihr Gefühl. Wissenschaftliche, angelesene Theorien sollten keinen großen Einfluss auf die praktische Erziehung haben. Sie gehen auf die Gefühle Ihrer Tochter ein. Sie fühlt sich sicher. Sie weiß, dass Sie sie wieder abholen und Sie für sie eine richtige Entscheidung getroffen haben. Sie weiß auch, dass Sie auf sie warten werden, wenn sie noch ein wenig spielen möchte. Das Weglaufen ist ein Spiel. Würde Ihre Tochter tatsächlich nicht nach Hause (zu Ihnen) wollen, würde sie sich lautstark mit Händen und Füßen wehren, wobei das auch nicht immer ein Garant für eine nicht so gute Bindung ist. Vieles ist auch einfach nur Charaktersache.
Viele Grüße Sylvia
von
Sylvia Ubbens
am 24.09.2019
Antwort auf:
Kind zeigt beim Abholen eine Reaktion
Ich schätze den verstorbenen Dr. Posth sehr und gehe weitgehend konform mit seinen Abhandlungen und Kommentaren/Antworten.
Aber: du darfst nicht vergessen, dass Wissenschaftler, Ärzte etc nicht so zu verstehen sind (sein sollten), dass ihre Meinung die einzig gültige und passende für jedes einzelne Kind ist. Es ist eine grundsätzliche Meinung/Erkenntnis, auf Basis derer dann verschiedene Fragen beantwortet werden.
Der Fremde-Situations-Test zB, den M. Ainsworth in standartisierter Form durchgeführt hat, sollte die Bindungstheorie von Bowlby bestätigen.
Hierzu wurden aber Familien/Kinder ausgesucht, bei denen man ein bestimmtes Bindunsgverhalten bereits ausgemacht hatte, um dann über den Test zu bestätigen, dass Kinder aus einer familiären Situation x tatsächlich überwiegend Bindungsverhalten y zeigen.
Auf diesen Test beziehen fast alle modernen Kinderpsychologen im Rahmen von Bindungsverhalten bzw. dessen Einordnung - auch Dr. Posth.
Was du aber machst, ist den unzulässigen Umkehrschluss zu bilden: du nimmst das Erscheinungsbild "unsicher Bindung" (freut sich nicht beim Abholen) und schließt auf Basis dessen auf eure Bindung rück.
Der Test funktioniert genau anders herum und diente dazu, eine Theorie über Bindungsformen zu bestätigen - nicht dazu zu sagen, jedes Kind, das sich beim Abholen so verhält, ist bindungsgestört.
Um das zu sagen, muss man viel mehr über das Zusammenleben Mutter/Kind wissen. Dieser eine Punkt ist einfach Charakter deiner Tochter. Sie ist vertieft in ihr Spiel. Sie registriert dich und fühlt sich sicher genug, weiter spielen zu können. Vielleicht will sie auch noch nicht nach Hause, weil sie eben gerade noch spielt. das alleine ist aber ganz sicher kein Grund, dir sorgen über eine Bindung zu machen, die du selbst anhand eures gesamten Zusammenlebens als "sicher" einstufst.
von
cube
am 24.09.2019, 09:09