Frage im Expertenforum Ernährung in der Schwangerschaft an Prof. Dr. med. Serban-Dan Costa:

Alkoholdehydrogenasemangel beim Baby

Prof. Dr. med. Serban-Dan Costa

Prof. Dr. med. Serban-Dan Costa
Ehemaliger Chefarzt und Direktor der Universitätsfrauenklinik Magdeburg

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Frage: Alkoholdehydrogenasemangel beim Baby

Mitglied inaktiv

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Zwei meiner Kolleginnen sind schwanger (wir sind alle Ärztinnen ;)) und nun stellen wir uns die Frage: Laut einer Ihrer bisherigen Antworten ist ein Glas Wein pro Woche erlaubt (was beide mit großer Freude gelesen haben)---nun erwartet die eine ein halbkoreanisches Baby und nun fragen wir uns, ob das Baby einen Alkoholdehydrogenasemangel haben könnte, bzw, ob das dominant vererbt wird und ob SIE deshalb KEIN Glas Wein haben darf ;) Können Sie da spontan was zu sagen? Danke schön und liebe Grüße


Prof. Dr. med. Serban-Dan Costa

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Es war mir immer schon klar, dass der "Dolchstoß" bei den Fragen von Kolleginnen kommen musste, also eine schwierige, fast nicht zu beantwortende Frage, die einem Grenzen aufzeigt. Alkohol und meine "Erlaubnis" (in Anführungsstrichen, weil ich die Tragweite meiner Empfehlungen nicht überschätze), ein Glas Wein / Bier pro Woche trinken zu dürfen, hat schon mal für viel Wirbel gesorgt - es meldeten sich Asketen, militante "Anti-" Leute und solche, die genau wissen, wie schädlich dies oder jenes ist. Es klingt so einfach, an die Vernunft zu appelieren und unter zu empfehlen, ein normales Leben in der Schwangerschaft zu führen, ohne Exzesse, ohne einseitige Ernährung, Diäten, Gewichtsabnahme, etc. Wenn man über Drogen, Zigaretten und Alkohol spricht, hängt vieles, ja fast alles davon ab, wer die Frage stellt und was diejenige eigentlich wissen möchte. Natürlich sind diese drei Abhängigkeiten ungesund und schädlich für das Kind und die ärztliche Empfehlung müsste lauten: Niet ! Keine Kompromisse, keine Zugeständnisse, basta ! Aber das wirkliche Leben ist nunmal nicht schwarz-weiss, alles oder nichts, es ist viel komplizierter, weil es Schattierungen und Grauzonen gibt. Ein Beispiel: einem vernünftigen Menschen, der ab und zu ein Bier oder ein Glas Wein trinkt zu sagen "Eins pro Woche schadet nicht" ist etwas anderes, als wenn man es mit Alkoholabhängigen oder mit Menschen zu tun hat, die sich nicht auf dieses eine Glas beschränken können. Bei der zweiten Gruppe wäre es richtig zu sagen - nichts trinken, die 9 Monate aushalten, sonst gibt es Katastrophen. Im übrigen gibt es viele Hinweise darauf, dass Alkoholismus genetisch bedingt ist und Forscher sind nicht weit davon entfernt, die Gene zu entdecken, die für diese Abhängigkeit verantwortlich sind. Damit ist die echte Therapie fast schon in Sichtweite, aber das nützt den Schwangeren zur Zeit nicht. Eine "spontane" Antwort auf Ihre Frage war mir nicht möglich. Also musste ich Literatur wälzen und mit Spezialisten sprechen (Humangenetiker, Kinderärzte). Einige Dinge habe ich herausgefunden. Die Alkoholdehydrogenase (ADH) beim ungeborenen Kind ist zwar viel höher exprimiert als bei Erwachsenen, sie scheint aber nicht reif und funktionsfähig zu sein. Auch ein weiteres Enzym, die Catalase, spielt beim Alkoholabbau eine wichtige Rolle. Einige neuere Studien haben gezeit, dass die Häufigkeit eines ADH-Defektes bei Asiaten nicht höher als bei Europäern ist und sie liegt also in beiden Bevölkerungsgruppen etwa unter 10%. Das Problem ist, dass es sowohl kleine, seltenere Defekte (Polymorphismen) als auch Mutationen der Gene gibt. Man müsste also sehr genaue Gen-Untersuchungen durchführen, um valide Aussagen treffen zu können. Ihre Frage zu Ihrer Freundin, die ein Kind von einem Koreaner erwartet, könnte man nur beantworten, wenn man genetische Informationen über das ADH-Gen beim Kindesvater und vom ungeborenen Kind hätte. Das wäre reichlich übertrieben, wenn es um ein Glas pro Woche geht, finden Sie nicht auch ? Ein Professor für Pädiatrie sagte mir, dass meine Empfehlung "1 Glas pro Woche" so bemessen sei, dass dies auch beim ADH-Defekt keine größeren Probleme verursacht. Wenn man bedenkt, dass ein Schaden beim Kind durch Alkoholkonsum in den ersten 3-4 Monaten gesetzt wird (es heisst ja auch "Alkoholembryopathie" und wir sprechen vom Embryo bis zur 12 Woche, danach ist es ein Foet), würde man auf Nummer sicher gehen, wenn man in den ersten 3 Monaten komplett auf Alkohol verzichtet. Was nicht wirklich möglich ist, weil auch manche Obstsäfte gären und geringste Alkoholmengen enthalten. Von manchen Kuchensorten mal ganz abzusehen. In meiner ganzen Karriere als Frauenarzt habe ich 3 durch Alkohol geschädigte Kinder gesehen, deren Mütter ausnahmslos Schwangere mit schwerem, nicht zu behandelndem Alkoholismus waren. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die vielen Tausend Schwangeren allesamt in der Schwangerschaft auf jeden Tropfen und auch auf das Trinken von Obstsäften, Tiramisu, Schwarzwälder-Kirschtorte, usw. verzichtet haben. Lange Rede kurzer Sinn - nach der 12. Schwangerschaftswoche können Sie zusammen mit Ihren beiden Freundinnen ein Gläschen pro Woche trinken, ohne Angst zu haben, dass Sie etwas Falsches machen. Gemeint ist auch Ihre Freundin, es sei denn, Ihr Mann wird schon nach dem ersten Schluck Bier völlig "gaga" - dann würde meine Empfehlung anders lauten....


Mitglied inaktiv

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Vielen Dank für die ausführliche Antwort und die Mühe, die Sie sich mit der Recherche gemacht haben! Es hat uns tatsächlich ganz unschuldig und ohne irgendwelche Hintergedanken (schon gar nicht i.S. eines Dolchstoßes!!!) interessiert, Sie kennen das sicher, wie man unter Kollegen immer wieder, selbst bei ganz abwegigen Themen, in seltsame medizinische Gedankengänge und Diskussionen verfällt. Bei meinen beiden lieben Kolleginnen (und Freundinnen ;)) ist sicher ein "normaler", bewusster und "ungefährlicher" Umgang mit Alkohol gegeben, allerdings kommen selbstverständlich dann eben die von Ihnen genannten Diskussionen über "gar nicht/ ein bisschen/ manchmal/ ja, aber wieviel ist denn nun erlaubt" auf. Da ich schon ein Kind habe, bin ich ein bisschen das "Mama-Lexikon", werde viel gfefragt und habe deshalb zumindest in ernährungstechnischer Hinsicht auf Ihr Forum verwiesen, weil ich Sie für einen ausgesprochen kompetenten, netten und sehr humorvollen Berater und Experten in diesen Dingen halte- und da beide damit auch sehr zufrieden sind und schon mehrfach beruhigt bzw. "gewarnt" wurden (die eine sagt schon immer mit Augenzwinkern "Prof. Costa hat mir das aber erlaubt"), stellten wir bei dieser abstrusen Diskussion eben direkt die Frage an Sie. Nochmal vielen Dank, ich denke, meine Freundin mit dem halbkoreanischen Baby wird erleichtert sein, das zu lesen ;) Kollegiale Grüße Leewja


Prof. Dr. med. Serban-Dan Costa

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Ich bin alles andere als verägert gewesen, ganz klar und hoffe, dass Sie das auch so vernommen haben. Dieses Forum genieße ich persönlich sehr, auch weil ich selbst gezwungen werde, mein Wissen zu aktualisieren, zu lesen, nachzufragen, etc. Außerdem habe ich in 2.5 Jahren keine einzige "blöde Frage" bekommen - man kann es kaum glauben, ist aber so. Hier noch die Stellungnahme meines von mir sehr geschätzten Kollegen, Prof. Zenker, Direktor des Institutes für Humangenetik aus Magdeburg - wie Sie sehen, haben Sie eine Frage gestellt, die überhaupt nicht einfach zu beantworten ist. Viele Grüsse, auch an Ihre Freundinnen, SC Lieber Herr Costa, ich bin da leider kein Experte, würde die Frage aber wie folgt beantworten. Die am besten bekannte ADH-Variante (R47H), die mit einer erhöhten Alkohol-Empfindlichkeit (Flush) einhergeht, und die in der (süd)asiatischen Bevölkerung besonders häufig vorkommt, führt zu diesem Phänotyp bereits bei Heterozygotie. Nach den Informationen, die ich aus dem Internet auf die Schnelle bekommen habe, könnte die Allelfrequenz in Korea etwa bei 70% liegen. Das würde bedeuten knapp 50% Homozygote und 40% Heterozygote. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach diesen Zahlen ein Kind das "Risikoallel" von eimem koreanischen Vater erbt, liegt bei 35%. Nun muss man aber auch sagen, dass es sich hier nicht um ein monogenes Krankheitsbild mit klassischer Mendel'scher Vererbung handelt, sondern um ein multifaktorielles Geschehen, in dem dieser ADH-Polymorphismus nicht die einzige Rolle spielt. Im Übrigen ist mir nicht bekannt (und ich konnte auch keine Literaturhinweise darauf finden), dass die ADH1-Variante R47H ein erhöhtes Risiko für eine Alkoholembryopathie mit sich bringt. In sofern wird man der Ratsuchenden empfehlen, es so zu halten wie man es jeder anderen Schwangeren auch raten würde. Eine Rationale für besondere Empfehlungen kann ich aus dem, was ich darüber weiß und finden konnte, nicht ableiten. Schöne Grüße, Martin Zenker


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