Liebe Biggi!
Erstmal möchte ich mich sehr für Ihre letzte Antwort bedanken. Mein "Problem" war das nächtliche Dauerstillen. Durch Ihre ausführliche und liebe Antwort habe ich neue Energie und neuen Mut geschöpft, weiterzumachen. Mein Sohn ist mittlerweile 11 Monate alt, wird immernoch in den Schlaf gestillt und auch nachts - und sei es 10mal - wird er zur Beruhigung gestillt. Inzwischen ist es absolut in Ordnung für mich. Er schläft bei mir im großen Doppelbett (ringsrum gesichert) und so erleichtern wir uns die Nächte.
Tagsüber hatte ich ja angefangen - weil ich meinte vom Stillen endlich etwas loskommen zu müssen - mein Sohn mit dem Buggy durch die Wohnung zu schieben bis er schlief. Das hat auch eine Weile ganz gut funktioniert. Aber plötzlich von heute auf morgen fing er ganz arg zu weinen an, wenn er müde war und ich wollte ihn in den Buggy legen. Kurzum - tagsüber wird er auch wieder in den Schlaf gestillt! Einmal vormittags und einmal nachmittags! Und auch das ist für mich ganz ok! Er freut sich immer so sehr, wenn er trinken darf, seufzt dann ganz genüßlich und schläft dann nach ca. 15 min ganz friedlich ein und ich kann aufstehen und etwas entspannen! Ich finde es so schade, dass es einer stillenden Mutter so schwer gemacht wird. Je älter das Baby wird, um so mehr habe ich den Eindruck muß sie sich für das Stillen rechtfertigen. Kommentare wie "Du verwöhnst Dein Kind zu sehr", "das ist nicht normal", "du machst das falsch", "wenn Du nicht mehr stillen würdest, würde Dein Kind schon längst durchschlafen", "Du erschwerst Deinem Kind die Loslösung", "Dein Kind tanzt Dir ja ganz schön auf der Nase herum";...usw.! Ich habe 11 Monate gebraucht und meinen Weg mit meinem Kind zu finden! Das finde ich tragisch! Wie oft war ich verzweifelt, weil ich nicht mehr wußte, was richtig und was falsch ist! Nun höre ich einfach auf meine innere Stimme und handle nach Gefühl! Unverständnis und blöde Kommentare zu meinem "Noch Stillen" ignoriere ich! Mein Söhnchen braucht es einfach noch und das ist auch in Ordnung! 11 Monate habe ich dafür gebraucht! Das ist eine lange Zeit gewesen voller Unsicherheiten, vieler Tränen und oft ganz große Verzweiflung! Nun habe ich meinen inneren Frieden endlich gefunden - bin zufrieden mit mir und meinem Baby - dafür möchte ich Ihnen liebe Biggi und diesem Forum (meistens habe ich still mitgelesen) von Herzen Danke sagen! Auch Ihre Empfehlung des Buches "Schlafen und Wachen" habe ich befolgt - das Lesen tat so gut!
Aber eine Frage habe ich noch zum Thema "Fremdeln". Kann es sein das das Kind aufgrund einer Stillbeziehung stärker fremdelt als es ohne stillen tun würde? Gibt es da Zusammenhänge? Und bedeutet es für meinen Sohn einen Rückschritt in der Entwicklung, wenn er nun wieder öfter gestillt wird?
Viele Grüße!
Anne
Mitglied inaktiv - 08.06.2009, 12:15
Antwort auf:
Ein großes Dankeschön/Fremdeln und Entwicklung
Liebe Anne,
ich danke Ihnen sehr für diese tollen Zeilen, die mich wirklich berühren.
Es ist eine Sache der Einstellung, ob ich mein Kind als "Feind", der mich "drangsalieren" will ansehe und so schnell wie möglich diesem Kind klar machen will, dass ich am längeren Hebel sitze und in der Lage bin, es zu etwas zu zwingen, was dann für mich vielleicht von Vorteil ist, aber die Bedürfnisse und Persönlichkeit des Kindes in keinster Weise berücksichtigt oder ob ich das Kind und mich, ja die ganze Familie, als gleichberechtigtes "Team" sehe, in dem auf das schwächste Glied Rücksicht genommen wird und dem Kind und seinen Bedürfnissen Achtung entgegengebracht wird.
Die meisten Mütter haben durchaus noch ein Gefühl dafür, was ihre Kinder brauchen und schaffen es, trotz aller Ratschläge von außen, doch ihrem Gefühl zu folgen. Einige Frauen haben zwar noch das Gefühl, dass ihr Kind Bedürfnisse hat, die gestillt (ist es nicht interessant, dass hier von "stillen" gesprochen wird) werden müssen, sind aber so verunsichert, dass sie gegen ihre innere Stimme handeln.
Es freut mich, dass Sie nun voll innerer Ruhe und Zuversicht sind :-).
Es ist sicherlich auch kein Rückschritt, wenn Ihr Baby weder vermehrt gestillt werden möchte!
Ich zitiere jetzt einmal aus einem älteren GEO . Titelthema war "Berührung - Tasten, Erfahren, Begreifen: Wie Körperkontakt den Menschen prägt". Dieser Artikel ist sehr interessant mit seinen Aussagen wie "Erste Berührungen sind das ABC künftiger Gefühle".
"Von Geburt an haben menschliche Primaten einen Greifreflex - nicht anders als die Vettern, deren Mütter ein Fell tragen. Er ist stark genug, das Körpergewicht eines Säuglings zu tragen, als hinge sein Leben davon ab. Trotzdem liegt er im Kinderwagen, auf doppelte Armeslänge von der Mutter entfernt, schläft im eigenen Bett oder sogar im eigenen Zimmer, bestenfalls getröstet von Kuscheltierzoo und Schmusedecke, statt sich an einen warmen, atmenden Körper zu schmiegen und weiche Haut ertasten zu dürfen. In der Meinung, es richtig zu machen, praktizieren moderne junge Eltern, was sie bei anderen Paaren abschauen.
Sofort da zu sein, wenn ein Säugling schreibt, ihn zu halten, umherzutragen, ihm, wann immer er danach verlangt, durch Nähe zu versichern, dass er nicht verlassen ist, widerspricht dem, was viele Eltern möglich selber als Kinder lernen mussten: Rücksicht nehmen auf die Interessen anderer, allein zurechtkommen.
Solche Ansprüche, besonders des westlichen Lebensstils, kontrastieren mit dem Bild, das Anthropologen wie Meredith Small vom Menschen entwerfen. "Abhängig" sagt sie, sei er von Natur aus. Ausgerichtet auf engen Bindungen, auf das Gefühl der Zugehörigkeit. Und für Säuglinge gelte dies erst recht."
Es passt nicht immer in unseren Lebensentwurf und manchmal lässt es sich auch nicht anders machen, aber: Babys sind zunächst einmal so konzipiert, dass sie nicht eine Vielzahl von Betreuungspersonen haben wollen, sondern zuerst eine (extrem) enge Bindung mit einer Person eingehen. Aus dieser sicheren Bindung heraus sind sie dann später - wann das ist lässt sich nicht vorhersagen, denn da hat jedes Kind seinen individuellen Zeitplan, wie für andere Entwicklungsschritte auch - in der Lage, Beziehungen zu anderen einzugehen. Ihr Kind bekommt bzw. hat keine "zu starke" Bindung an Sie, sondern es hat die für eine gute Entwicklung wünschenswerte Bindung an Sie. Vielleicht schauen Sie mal in das Entwicklungsforum von Dr. Post und lesen die Texte zum Thema "Emotionales Bewusstsein". Dann verstehen Sie vielleicht, dass es gar nicht sinnvoll ist, diese "Fixierung" vorzeitig zu lösen.
Ein Kind, das sicher gebunden ist, wird irgendwann von selbst erwartungsvoll und neugierig auf andere zugehen. Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass Sie, wenn Sie sein Bedürfnis nach Ihrer Nähe und der Geborgenheit bei Ihnen nun stillen, damit eine jahrelange Abhängigkeit schaffen. Ihr Kind ist ohnehin von Ihnen abhängig und dies ganz unabhängig davon, ob es gestillt wird oder nicht. Der Unterschied ist lediglich der, dass es theoretisch leichter ist, ein nicht gestilltes Kind abzugeben, als ein gestilltes Kind, aber von den Grundbedürfnissen und dem ursprünglichen Verhalten ist bei den Kindern kein Unterschied zu erwarten. "Emanzipierte" Babys sind in der Evolution noch nicht vorgesehen und da unsere Kinder mit der gleichen genetischen Ausstattung auf die Welt kommen, wie in grauer Vorzeit, funktioniert nicht alles sofort so, wie es in unsere moderne Welt passen würde.
Leider wird in unserer Gesellschaft immer wieder propagiert wird, dass es ja alles "ganz easy" ist und selbstverständlich lassen sich Kinder und Beruf und Haushalt und noch zusätzlich ein Ehrenamt und ich weiß nicht was sonst noch kombinieren. Dass diese Belastungen zu Lasten des Kindes und der Frau gehen, das wird meist diskret verschwiegen. Und wenn dann ein Baby eben nicht so mitmacht, wie es in vielen Hochglanzbroschüren beschrieben und von vielen Menschen behauptet wird, dann kommt "Aber das Baby MUSS doch". Das Kind ist das schwächste Glied in der Kette und es gibt leider viel zu wenig Menschen, die daran denken, dass Babys Babys sind und die Bedürfnisse von Müttern und Babys werden nicht anerkannt.
Ich weiß, dass es viele Familien gibt, die keine Wahl haben. Doch diesen Familien soll dann nicht erzählt werden, dass "alles easy" ist und dass "das Kind muss". Zu oft erlebe ich Frauen, die denken, sie hätten versagt, weil sich ihr Kind so verhält, wie es von einem Baby zu erwarten ist und damit nicht den Vorstellungen und Erwartungen von großen Teilen unserer Gesellschaft entspricht. Mutter und Kind sind unglücklich und verzweifelt versuchen die Eltern dann ein Verhalten zu erzwingen, das bei allen zu viel Frustration führt.
Wie schnell oder langsam das Kind dann seine Fühler ausstreckt und Kontakt zu anderen aufnimmt und dort Bindungen knüpft ist ebenso wie das Laufenlernen oder Sprechen von Kind zu Kind verschieden. Jedes Kind hat da seinen eigenen Zeitplan.
Sie würden niemals an einer Blume ziehen, damit sie schneller wächst, denn Sie wüßten, dass sie dadurch verkümmern oder sogar sterben würde. Genau so wenig können wir an unseren Kinder "ziehen", um ihre Entwicklung zu beschleunigen.
Keine Angst, Ihr Sohn wird weder ein Muttersöhnchen noch ein ewig unselbstständiger Mensch, sondern Sie legen jetzt den Grundstock für einen in sich ruhenden, selbstbewussten und selbstständigen Menschen.
LLLiebe Grüße
Biggi
von
Biggi Welter
am 08.06.2009