Liebe Biggi,
mich beschäftigt folgendes Problem:
meine Tochter ist 22 Monate alt und wird noch gestillt. Sie akzeptiert weder Schnuller noch Flasche.
Bisher habe ich auch sehr gerne gestillt, jedoch merke in letzter Zeit, dass ich es gerne beenden möchte, da das Stillen oft grob, mit viel Rumturnen, auch beißen verläuft.
Außerdem wäre ich froh, wenn sich mein Zyklus wieder langsam einstellen würde (wg. Geschwisterchen ;-) )
Meine Tochter stillt schon immer relativ oft, ist bis vor einem Vierteljahr nur mit Stillen eingeschlafen und wollte auch nachts sehr oft trinken.
Tagsüber stillt sie ca. ein halbes Jahr nicht mehr.
Ab 17 Uhr besteht sie allerdings auf ihre Stillmahlzeit und das setzt sich eigentlich den ganzen Abend in Form eines Dauerstillens (unterbrochen durch ein bisschen Spielen, auf mir Rumturnen) bis zum Einschlafen fort.
Wenn ich sie ablenken will oder einfach sanft wegdrücke, wurde sie schon immer wütend und hat mich auch oft gebissen.
Die letzten 2 Wochen allerdings ist es extrem: sie möchte wieder tagsüber stillen und lasse ich sie nicht wird sie aggressiv, haut und beißt.
Auch ist es z.B.so dass sie scheinbar problemlos bei meinem Mann/Oma bleibt, wenn ich 2 halbe Tage arbeite, komme ich jedoch heim, "entlädt" sich ihre ganze Wut und sie will entweder sofort gestillt werden oder sie wird grob und wütend.
Wir haben grds. ein sehr liebevolles Verhältnis, aber das Stillen wird mehr und mehr zum Problem zwischen uns...
Sollte ich daher bewusst abstillen oder ist ihre Wut ein Zeichen, dass sie das Stillen noch so sehr braucht?
Mich verunsichert z.B.die Meinung von Hrn. Posth, der schreibt, dass bei Langzeitstillkindern eine gestörte Loslösung von der Mutter vorliegt.
Was meinen Sie?
VLG,
Lumpino
Mitglied inaktiv - 21.03.2012, 21:33
Antwort auf:
Aggressionen wegen Stillen bei fast 2jährigem Kind
Liebe Lumpino,
der Einstellung, dass das Langzeitstillen die Loslösung beeinträchtige oder ein Problem in Hinblick auf die Theorie des Übergangsobjektes darstellt, ist keineswegs Fakt. Dieser Vorstellung liegt eine Hypothese zugrunde, für die es keinen Beweis gibt. Die Überlegungen beruhen auf Beobachtungen in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, die vor langer Zeit gemacht wurden. Dem Stillen oder gar dem längeren Stillen wurde dabei überhaupt keine Aufmerksamkeit entgegengebracht (wohl auch, weil kaum bzw. nicht lange gestillt wurde).
Die Praxis zeigt jedenfalls, dass langzeitgestillte Kinder nicht unselbständiger sind als kurz oder gar nicht gestillte Kinder und auch keine vermehrten Probleme mit der Loslösung haben, im Gegenteil: Oft haben sie ein so starkes Vertrauen in sich und die Welt, dass sie recht forsch die Welt entdecken wollen. Außerdem spricht gegen diese Theorie, dass es dann weltweit gesehen sehr viele Kinder Probleme mit der Selbstregulation haben müssten, denn es gibt ja nun mal viele Kulturen, in denen das lange Stillen deutlich über das Babyalter hinaus üblich ist und es gibt Kulturen, in denen keine Übergangsobjekte bekannt sind.
Das lange Stillen führt definitiv nicht zu einer verspäteten Loslösungsphase, aber Ihr Kind spürt jetzt Ihre Unsicherheit und das ist etwas, was Kinder extrem schlecht vertragen. Kinder brauchen Klarheit und Zweifel sowie Unsicherheit der Eltern verwirren sie und beeinflussen ihr Verhalten, so dass sie z.B. besonders klammern oder eben sehr lange und häufig an der Brust trinken.
Ihr Baby spürt jetzt Ihren Zwiespalt und da es sich nicht hinsetzen und sagen kann "Mama, ich spüre, dass Du dir nicht sicher bist, was jetzt das Richtige ist, deshalb werde ich dir jetzt bei deiner Entscheidungsfindung helfen" reagiert es auf deine Zweifel mit Unruhe, Weinen und Verunsicherung. Es hat keine anderen Ausdrucksmöglichkeiten als Weinen und (vermehrte) Anhänglichkeit. Babys sind für "geordnete Verhältnisse", Unsicherheit und Zweifel bringen sie aus dem Gleichgewicht.
Ich habe jetzt kein Rezept für Sie, wie Sie Ihre Gefühle und die Bedürfnisse Ihres Kindes miteinander in Einklang bringen können. Ich kann Ihnen nur ans Herz legen, in einer stillen Stunde für sich selbst zunächst einmal eine Bestandsaufnahme zu machen und für sich selbst ins Reine kommen, was SIE für sich als wichtig und richtig erkennen. Wenn Sie es erst einmal geschafft haben, Ihre eigene Position gründlich zu bestimmen, dann wird es Ihnen auch leichter fallen, zu erkennen, was für Ihre Tochter absolut wichtig ist und wo sie vielleicht Einschränkungen verkraften kann.
Vielleicht versuchen Sie es damit, die Stillzeiten
beim Einschlafen immer weiter zu verkürzen. Damit meine ich, Sie stillen Ihr Kind eine
bestimmte Zeit und dann nehmen Sie es sanft von der Brust und streicheln es, kuscheln mit
ihm, bieten ihm zusätzlich ein Kuscheltier oder eine Schmusedecke an usw. Im Laufe der Zeit
verkürzen Sie die Zeit an der Brust immer mehr.
Auch wenn dein Mann nicht regelmäßig am Abend da sein sollte, kann er Sie zu den Zeiten zu denen
er verfügbar ist unterstützen. Kinder können ganz deutlich zwischen Mama und Papa
unterscheiden und Ihr Mann kann mit seiner Tochter ein ganz anderes Einschlafritual
durchführen als Sie das machen würden, ohne dass dies Probleme beim Kind geben muss.
Ich möchte Ihnen nun noch ein paar nicht so drastische Methoden ein Kind abzustillen
beschreiben. Vielleicht finden Sie etwas, was Ihnen zusagt.
Eine Methode, die sich beim allmählichen Abstillen bewährt hat heißt "biete nicht an, lehne
nicht ab". Das bedeutet, dass Sie Ihrem Kind die Brust nicht von sich aus anbieten, aber
auch nicht ablehnen, wenn es danach verlangt. Viele Kinder wurden auf diese Weise
abgestillt.
Eine weitere Möglichkeit heißt Ablenkung. Durch Ablenkung abzustillen bedeutet, Ihre
Gewohnheiten von Tag zu Tag erheblich zu verändern. Sie müssen die vertrauten
Stillsituationen vermeiden und neue Betätigungsfelder schaffen. Für das eine Kind kann das
bedeuten, dass Ihr viel häufiger Ausflüge zu Orten unternehmt, die Ihrem Kind gefallen
und wo es viele Menschen und viel Trubel gibt. Für ein anderes Kind bedeutet dies
vielleicht, das Leben erheblich ruhiger zu gestalten, um Situationen, die es als bedrohlich
empfindet, zu verringern.
Es kann auch ablenkend wirken, wenn Sie Ihr übliches Verhalten in bestimmten
Situationen verändern. Wenn Sie zum Beispiel sitzen bleiben anstatt sich hinzulegen, wenn
Sie Ihr Kind zum einschlafen bringen. Andere Möglichkeiten sind Vorlesen, Singen oder
vielleicht ein neues Spielzeug.
Manchmal bringt es Sie auch weiter, wenn Sie das Stillen immer dann, wenn Ihr Kind
diesen Aufschub verkraften kann, für eine Weile verschieben. Das können Sie flexibler
handhaben als den Vorsatz eine bestimmte Stillmahlzeit ausfallen zu lassen.
Sie können auch versuchen die Stillzeiten zu verkürzen. Viele Mütter haben festgestellt, dass
es wirksam und relativ wenig belastend ist, ein Kind so oft anzulegen, wie es möchte, aber
es nicht so lange zu stillen. Sie können Ihre Tochter eine kleine Weile anlegen und sie dann
ablenken oder ihr etwas zu essen anbieten.
Außerdem möchte ich Ihnen das Buch "Wir stillen noch über das Leben mit gestillten
Kleinkindern" von Norma J. Bumgarner empfehlen, das bei La Leche Liga und jeder La
Leche Liga Stillberaterin (auch hier im Mamamilch Shop) und im Buchhandel erhältlich ist.
Zum Schluss noch etwas, was unter Umständen paradox klingt: einige Kinder stillen sich
von alleine ab, sobald ihre Mutter die Abstillbemühungen aufgibt
LLLiebe Grüße
Biggi
von
Biggi Welter
am 21.03.2012