
Mein Kind verträgt keine Milch! Das hören Kinderärzt:innen häufig von Eltern. Bei dem Thema gibt es aber manchmal Unklarheiten. Wichtig ist, dass Sie sich zunächst klar machen, dass es bezüglich Kuhmilch solche Unverträglichkeiten gibt an denen unser Immunsystem beteiligt ist und solche, die mit dem Immunsystem gar nichts zu tun haben – hier geht es um Kuhmilchallergie oder Laktoseunverträglichkeit.
Nicht verwechseln: Kuhmilchallergie und Laktoseintoleranz
Bei der Laktoseunverträglichkeit ist das Immunsystem nicht beteiligt. Der Zweifachzucker Laktose kann von dem Enzym, das für die Laktosespaltung im Dünndarm zuständig ist, nicht oder nur unvollständig gespalten werden. Die Folge ist, dass ungespaltene Laktose in den Dickdarm gelangt und dort den Bakterien als „Futter“ dient. Dabei entstehen Gase und der Stuhlgang wird weicher oder flüssiger – unangenehm, aber nicht schlimm.
Laktose hat einen schlechten Ruf, dabei ist es ein natürlicherweise in Muttermilch vorkommendes Präbiotikum. Laktose ist das Hauptkohlenhydrat in Muttermilch. Nur in extrem seltenen Fällen (bei einem angeborenen Enzymdefekt) ist es notwendig, Babys laktosefrei oder laktosearm zu ernähren. Das ist auch der Grund, warum genetische Tests auf „Laktoseunverträglichkeit“ bei Babys und Kleinkindern völlig unnötig sind. Selbst bei Menschen mit einer genetisch bedingten Laktoseunveträglichkeit ist das Enzym im Dünndarm bis zum Alter von 5 Jahren völlig intakt und erst ab dem Schulalter sinkt die Aktivität des Enzyms, wie übrigens auch bei älteren Menschen. Dann muss man gegebenenfalls auf laktoseärmere Produkte zurückgreifen oder sich mehr auf fermentierte Milchprodukte konzentrieren. Ein völliger Verzicht auf Kuhmilch ist bei einer Laktoseunverträglichkeit fast nie notwendig.
Kuhmilchallergie: ein bis zwei Prozent aller Babys in Deutschland betroffen
Das ist bei der Kuhmilchallergie anders. Hier wird das Immunsystem durch den Kontakt mit Kuhmilcheiweiß aktiviert. Die Kuhmilch kann aus Babynahrung stammen, die in aller Regel mit Kuhmilcheiweiß hergestellt wird, aber auch aus der Muttermilch, da Kuhmilcheiweiß, das die stillenden Mutter zu sich nimmt, in kleinen Mengen auch in die Muttermilch übergehen kann.
Das Immunsystem aktiviert dann entweder sogenannte IgE Antikörper oder reagiert allergisch auf eine andere Weise und produziert eine „Nicht-IgE-vermittelte Kuhmilchallergie“.
Eine Kuhmilchallergie tritt in Deutschland bei ca. ein bis zwei Prozent aller Babys auf. In anderen Länder ist sie häufiger, in Griechenland zum Beispiel viel seltener. Eine Kuhmilchallergie tritt häufig im ersten Lebensjahr auf, danach wird sie immer seltener.
Symptome einer Kuhmilchallergie sind sehr vielfältig
Die Symptome einer Kuhmilchallergie sind sehr vielfältig. Die klassische IgE-vermittelte Kuhmilchallergie ist selten zu übersehen. Die Babys reagieren mit einem akuten Hautausschlag, geschwollenen Augen, dicken Lippen und gelegentlich mit Atemnot.
Die Diagnose wird über einen Bluttest oder – bei Säuglingen seltener – über einen Hauttest gestellt und die Babys müssen dann streng kuhmilcheiweißfrei ernährt werden. Dazu benötigt man Nahrungen, bei denen entweder das Kuhmilcheiweiß in so kleine Bausteine zerlegt wird, dass der Körper das Eiweiß nicht mehr als Kuhmilcheiweiß erkennt. Diese Nahrungen nennt man extensiv hydrolysierte Nahrungen (eHF). In schweren Fällen sind Aminosäuren-basierte Nahrungen (AAF) empfohlen. Diese Nahrungen bekommt man in der Apotheke und die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Eine HA-Nahrung, die im Drogeriemarkt angeboten wird, reicht in den Fällen nicht aus.
Die Nicht-IgE-vermittelte Kuhmilchallergie dagegen ist nicht immer einfach zu erkennen.
Diagnose einer Nicht-IgE-vermittelten Kuhmilchallergie ist schwieriger
Oft weniger dramatisch verlaufen Nicht-IgE-vermittelte Kuhmilchallergien. Diese können mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen: Hautausschlag, Blähungen, vermehrtes Spucken, Koliken, Verstopfung, Durchfall oder sogar blutige Stühle.
Das bunte Bild an Symptomen macht es manchmal schwer auf die Diagnose zu kommen, weshalb ein Bewertungsschema (CoMiSS®) entwickelt wurde, um Symptome mit Punkten zu bewerten und am Ende eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Kuhmilchallergie zu erhalten. Bei erhöhter Wahrscheinlichkeit ist eine weitere Diagnose notwendig, um die Kuhmilchallergie zu bestätigen.
Labortests helfen bei dieser Art Allergie nur wenig. Die Kuhmilch IgE Antikörper können, müssen aber nicht positiv sein. Auch wenn keine Antikörper nachgewiesen werden, ist eine Kuhmilchallergie nicht auszuschließen. Erst durch eine deutliche Verbesserung der Symptome während einer Eliminationsdiät mit einer eHF- oder AAF-Spezialnahrung für 2-4 Wochen ist die Diagnose bestätigt. Ist dies der Fall übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Spezialnahrungen – unabhängig von Laborergebnissen.
Erfreulicherweise ist die Prognose der Nicht-IgE-vermittelten Kuhmilchallergien besser als die der IgE-vermittelten Allergien. In aller Regel vertragen die Kinder bereits nach dem ersten Lebensjahr wieder Kuhmilch. Erfreulich ist auch, dass „Diätfehler“ weniger schlimm sind, da sie weniger dramatische Symptome verursachen. Besonders die von Eltern als dramatisch empfundene Reaktion mit blutigen Stühlen ist oft harmlos und verschwindet rasch wieder, häufig bereits mit der Einführung der Beikost.
Gute Aussichten: Prognose für eine Kuhmilchallergie
Die Prognose ist langfristig gut, aber es gibt durchaus Kinder, die noch im Kindergartenalter kuhmilchfrei ernährt werden müssen. Die Familien dieser Kinder benötigen eine Aufklärung und Schulung zum Umgang mit einer möglichen allergischen Reaktion inklusive Rezeptierung und Schulung einer Notfallausrüstung. Die Betreuungspersonen im Kindergarten müssen gegebenenfalls ebenfalls geschult werden und alle Erwachsenen, die diese Kinder betreuen, sollten wissen, was zu tun ist und wer im Notfall informiert werden muss.
Bei Kindern, die klassisch allergisch reagiert haben, benötigt man vor der Wiedereinführung der Milch eine Nahrungsmittelprovokation, die meist nur stationär durchgeführt wird.
Zu guter Letzt noch ein Hinweis zum Schluss: Bei allen Sorgen um Unverträglichkeiten ist mir als Kinder- und Jugendarzt aber wichtig, dass nicht alles, was man an einem Säugling beobachtet und was man nicht gut erklären kann, mit einer Allergie oder Unverträglichkeit in Verbindung gebracht wird. Auch Kinder haben mal gute und schlechte Tage – wie wir Erwachsenen auch – und nicht immer gibt es für alles eine Erklärung.