Frage: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Sehr geehrte Frau Höfel, Ich habe am 9.12.14 meinen Sohn geboren. Nach einer schnellen und meiner Meinung nach komplikationslosen Geburt bekam er einen Apgar von 8-9-10 (er hatte nicht gleich nach der Geburt geschrien). Den ersten Tag konnten wir sorgenfrei auf der Wochenbettstation verbringen. Doch am zweiten Tag sorgten seine Geburtswerte für Aufruhr. Er hatte einen pH von 7,14. Dreimal wurde ihm Blut aus der Ferse genommen, nach einem Anfangswert von 42 waren die weiteren Werte unauffällig und wir wurden nach 3 Tagen und einer unauffälligen U2 entlassen. Da mir die Werte keine Ruhe gelassen haben, bat ich das Krankenhaus mir den Geburtsbericht zukommen zu lassen. Anders als erwartet fand ich dort keinen venösen pH wert und einen BE von -9,6. Nun meine Fragen, wie kann es sein, dass kein venöser pH wert erfasst wurde? Kann ich dann sicher sein, dass der angegebene Wert von 7,14 tatsächlich der arterielle ist oder kann dieser womöglich noch schlimmer gewesen sein? Muss ich bei diesen Werten, insbesondere dem BE, mit Folgeschäden rechnen? Gibt es Entwicklungsschritte meines Kindes, die mir zeigen, dass es zu keinerlei Schädigungen gekommn ist? Mit freundlichen Grüßen, Julia.

von Juli141109 am 20.02.2015, 13:56



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Liebe Juli, wenn ich ehrlich bin, dann verstehe ich den Aufruhr nicht. Der pH-Wert paßt zum Apgar. Der Blutzucker (ich nehme an, dass das der Wert aus der Ferse war) war auch okay. Sie finden keinen venösen pH, da es dem Kind nach der Geburt absolut gut ging. Es gibt leider (bzw. ich habe keinen) einfachen Text, der den komplexen Zusammenhang zwischen Basen-Säure-Haushalt erklärt. Ich habe aber ein paar interessante Seiten im Netz gefunden. "Beim Apgar Index handelt es sich um ein Scoresystem, bei dem 1, 5 und 10 Minuten post partum Herzfrequenz, Atmung, Tonus, Reflexe und die Hautfarbe des Kindes mit jeweils 0 bis 2 Punkten beurteilt werden. Er liegt somit zwischen 0 und 10 Punkten, wobei 10 Punkte das beste Ergebnis sind. Bei Ergebnissen zwischen 7 und 10 gelten die Kinder als „lebensfrisch“ (Apgar 1953). Dieser Index dient der schnellen Erfassung des klinischen Zustands des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt (0 Minuten) und ggf. für die Effizienz der Reanimation (5 und 10 Minuten) (ACOG 1996, Casey et al. 2001, Leitlinie 2003), insbesondere ist der Befund eines lebensfrischen Kindes nicht mit der Annahme einer schweren intrapartalen Asphyxie vereinbar (Helwig 1996). In verschiedenen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass insbesondere der 5-Minuten-Wert mit der späteren Mortalität (Apgar 1953, Drage et al. 1964, Nelson et al. 1981, Portman et al. 1990, Toh 2000, Casey et al. 2001) und Morbidität korreliert (Portman et al. 1990, Toh 2000). Somit stellt der Apgar-Index seit nun mehr als 50 Jahren ein valides, einfach zu ermittelndes, klinisches Maß für den Zustand des Kindes und somit der Ergebnisqualität dar, das aufgrund einer aktuellen Leitlinie immer erhoben werden soll (Leitlinie 2003). Der mittlere pH-Wert von (gesunden) Neugeborenen im Nabelarterienblut wird in der Literatur mit 7,21 bis 7,31 angegeben (Vandenbussche et al. 1999, Helwig 1996). Bei einem Absinken des Blut-pH-Wertes unterhalb des Normalbereichs sprechen wir von einer Azidose. Von einer signifikanten Azidose bei Neugeborenen wird ab einem pH-Wert < 7,1 (Roemer 2002) bzw. < 7,0 (Sehdev et al. 1997, Low 1993, ACOG 1994) ausgegangen. Wir unterscheiden die respiratorische und die metabolische Azidose. Bei der respiratorischen Form führt ein erhöhter CO2-Spiegel zu einem erhöhten Niveau von HCO3- im Blut, womit der pH absinkt. Dies geschieht, wenn das CO2 nicht über die Atmung abgegeben werden kann und ansteigt (Hyperkapnie). Die metabolische Form ist dem gegenüber auf einen erhöhten Anfall von sauren Valenzen (z. B. Hypoxämie mit Umschalten auf anaeroben Stoffwechsel, Diabetes mellitus) oder darauf zurück zu führen, dass die Valenzen nicht über die Nieren ausgeschieden werden können (z. B. Urämie). Hypoxämie kann zwar kombiniert mit Hyperkapnie auftreten, der Grad des Schadens zeigt sich aber vor allem in der Kumulation von Säuren in den Zellen (Ross et al. 2002). Zur Unterscheidung dieser beiden Formen wird der Base Excess herangezogen. Dieser ist definiert als die Menge an Base, die benötigt wird, um das Blut bei 37 Grad und einem pCO2 von 40 mmHg auf den Normalwert von 7,4 zu titrieren (mMol/l) (Siggaard Andersen et al. 1960, 1963). Dieser Wert ändert sich bei einer rein respiratorischen Azidose defintionsgemäß nicht. Das Basendefizit in der Nabelschnur des gesunden Neugeborenen entspricht 4 - 5 mmol/l (Helwig 1996, Arikan et al. 2000, 2000a). Für eine klinisch bedeutsame metabolische Azidose beim Säugling wird in der Literatur ein Basendefizit > 12 mmol/l (Low 1997) bzw. > 16 mmol/l veranschlagt (Goldaber et al. 1991). Pathogenetisch ist davon auszugehen, dass bei einschneidender Reduktion der Sauerstoffversorgung mit entsprechendem Abfall des pO2 im fetalen Blut der Fetus zunächst u. a. durch Umstellung der Perfusion und Aktivitätsminderung kompensieren kann. Sind diese Mechanismen erschöpft, entwickelt sich durch anaeroben Metabolismus eine metabolische Azidose und schließlich irreversible Schäden (Myers 1972, Parer 1998, Nijland et al. 1995). Der Zusammenhang zwischen einem pathologischen Base Excess und neurologischen und sonstigen Folgeschäden konnte in verschiedenen Studien erhärtet werden (Low et al. 1994, Low et al. 1995, Low 1997, Toh 2000, Williams und Singh 2002), wobei anzumerken ist, dass zwar einerseits der Zusammenhang zwischen einer ausgeprägten Azidose und Mortalität bzw. Morbidität eindeutig ist, dass aber andererseits die Mehrzahl der Kinder mit Azidose keine Folgeschäden davon trägt (geringe Spezifität (Roemer et al. 1998, 2002)). Aus diesem Grund wird die Grenze für die metabolische Azidose bei der Berechnung des Indikators auf die schlechteren in der Literatur aufgeführten Werte gelegt. In der Kombination dieser Messwerte werden die wesentlichen zum Zeitpunkt der Geburt ohnehin zu erhebenden Ergebnisparameter kombiniert, um den Zustand des Kindes einzuschätzen. Auf das Outcome kann durch rechtzeitige Erkennung der Notlage mittels fetalem Monitoring (Roemer 2003), ggf. rechtzeitige Indikation zur Schnittentbindung und Verkürzung der EE-Zeit Einfluss genommen werden. Mit einem Apgar-Score unter 5 bei fünf Minuten und einem pH unter 7,0 bzw. einem Base Excess < -16, sind die Kriterien für ein auffälliges Outcome relativ strikt, d. h. es werden nur die Kinder mit sehr schlechten Werten erfasst. Daher soll jeder Einzelfall untersucht werden, bei dem bei reif geborenen Kindern ein solch kritisches Outcome auftritt. gefunden unter http://www.bqs-qualitaetsindikatoren.de/2005/ergebnisse/leistungsbereiche/geburtshilfe/indikatoren/11/rationale (Zugriff:10.4.09) http://books.google.de/books?id=UoEzmmyF-esC&pg=PA455&lpg=PA455&ots=fX0IQZf6yT&dq=base+excess+%2B+Fr%C3%BChgeborene&ie=ISO-8859-1&output=html Bei diesem Buch kann man die Seiten weiter blättern. 455 und 456 sind relevant. http://books.google.de/books?id=ayDygS5nOt0C&pg=PA393&lpg=PA393&dq=Azidose+%2B+Neugeborenes&source=bl&ots=G8_-GN-9bn&sig=fby0qNeE8sdAe-1a7gHA8mkASLs&hl=de&ei=DjDfSYSzF4yJsAbotvHWCA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=10 Liebe Grüße Martina Höfel

von Martina Höfel am 21.02.2015



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Also muss ich keine Folgeschäden befürchten?

von Juli141109 am 21.02.2015, 18:55



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Wie ist der BE zu beurteilen?

von Juli141109 am 21.02.2015, 19:54



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Ich möchte dir gern antworten. Arbeite zum einen auf einer neo-intensiv und zum anderen kann ich dir auch aus privater Sicht antworten. Ein niedriger BE zeigt das es kurzzeitiger Stress war, vermutlich einfach nur während der Austreibungsphase. Der Ph ist nicht traumhaft aber in Kombination zu den anderen Werten zu vernachlässigen. Meine Oberärztin würde sagen: wir behandeln keine Zahlen sondern das Kind mit seinen Symptomen. Ein Kind mit dem Apgar 8/9/10 ist perfekt adaptiert. Neurologische Auffälligkeiten treten erst vermehrt auf bei einem 5-Minuten-Apgar von unter 7. Ihr habt also nichts zu befürchten. Es gibt die Möglichkeit die sogenannten General Movements zu beurteilen. Das geht aber nur zwischen 9-12 Wochen. Ich will da aber auch gar nicht so genau ins Detail gehen. Es gibt nämlich keine Indikation bei euch. Diese Beurteilung ist ziemlich aufwändig, die Kasse zahlt sie in aller Regel nicht und leider müssen die Rahmenbedingungen perfekt sein. Mein Sohn wurde nach Einleitung geboren. Die Geburt empfand ich nicht als kompliziert. Dann aber der Schock: Nabel-Ph 6,9. Mehrfache Kontrollen auch venös. Apgar 9/9/10. Ich persönlich hätte ihm die erste 9 nicht gegeben aber das ist ja auch egal :-) der erste Wert ist relativ uninteressant. BE War -18. Mich hätte das Laktat noch interessiert aber in der Klinik wird das nicht mitgemacht :-( die späteren Kontrollen besserten sich rasch. Ich war fix und fertig. Kenne solche Zahlen ja. Und die Kinder die wir aufnehmen mit einem solchen Ph sind in aller Regel reanimationspflichtig. Das liegt aber daran das wir die gut adaptierten natürlich nicht sehen. Genau wie mein Sohn natürlich nicht auf Neo musste. Mit wurde der Psyche halber und der Tatsache das ich nun mal dort arbeite eine Reihe von Untersuchungen zur Beruhigung angeboten. Habe ich auch angenommen. Das warten auf den General Movementstermin im Alter von 12 Wochen war furchtbar. Bis dahin habe ich den armen Zwerg gar nicht richtig genießen können. Jedenfalls hat die Aufzeichnung gar nicht geklappt weil der kleine nur geweint hat aber der Neurologe hat ihn dafür so untersucht und mich wirklich auf den Boden geholt und mich sehr beruhigt. Meine Oberärztin hatte ihn sich auch schon vorher angeguckt und mir versichert das es keine Konsequenz haben wird. Er ist ein extrem schlaues und aufgeschlossenes Kind. Feinmotorisch immer sehr weit. Das hat mich schnell alle Sorgen vergessen lassen. Meine Kleine kam mit einem Ph von 7,09 auf die Welt. Und weißt du was passiert ist: ich habe mit den Schultern gezuckt und gesagt "na und? Ich kann es wohl nicht besser" :-) die hebamme war total geschockt und dachte ich falle vom kreißbett bei dem Wert. Aber mir ging es echt am A..... vorbei und ich habe nicht ein mal darüber nachgedacht. Immerhin habe ich ein perfekt adaptiertes Kind auf der Brust liegen. Ich hoffe ich konnte dich mit meinem Bericht etwas positiv stimmen :-)

von keinnamemehrfrei am 21.02.2015, 21:01



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Vergessen: ein positiver BE würde zeigen das es größere und längere Probleme gab. Wäre also schlechter.

von keinnamemehrfrei am 21.02.2015, 21:27



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Vielen lieben Dank für die Antwort. Sie hat mich wirklich sehr beruhigt. Da ich aber doch nicht so wirklich von den Sorgen loskomme, würde mich doch die Untersuchung interessieren. Brauche ich da eine Überweisung vom Kinderarzt zum Neurologen? Was genau wird dort gemacht und was kostet das?

von Juli141109 am 21.02.2015, 21:31



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

So nun komme ich endlich mal zum schreiben. Also das Kind wird flach hingelegt und ein Video aufgezeichnet über mehrere Minuten. Es gibt schon intrauterin bestimmte Bewegungsabfolgen die immer gleich verlaufen. Nach der Geburt verlieren die sich irgendwann. Ich weiß nicht genau die Zahl aber man sucht dann in dem Video diese bestimmten Abfolgen und wenn man eine gewisse Anzahl gefunden hat, ist das ein gutes Zeichen. Die Untersuchung wird noch ein anderes mal wiederholt und die Videos und somit die Entwicklung verglichen und eine Prognose erstellt. Schäden unter der Geburt (oder auch nach der Geburt) lassen diese typischen Abläufe stören. Das Problem ist aber durchaus das sich die wenigsten Kinder in dem Alter einfach so in einem fremden Raum vor fremden Leuten ablegen lassen. Ging bei meinem Sohn ja auch nicht. Mit Überweisung wäre es zumindest kostenlos, wenn man einfach so zum Neurologen geht weiß ich es nicht. Es gibt auch Physiotherapeuten die diese Untersuchung machen. Was es kostet kann ich dir nicht sagen. Meine Oberärztin hatte mit dem Oberarzt aus der Neurologie für mich diesen Termin vereinbart. Ich habe keinen Schimmer wie das abgerechnet wurde. Bei uns waren die Werte ja aber noch erheblich schlechter. Vielleicht konnte es dadurch vor der Kasse gerechtfertigt werden. Vielleicht kannst du mal mit deinem Kinderarzt darüber in ruhe sprechen. Andernfalls würde ich mal bei einem Neurologen oder in einer kinder-neuro-ambulanz falls ihreine habt anrufen und fragen was das kostet. Ganz andere Idee um deine sorge vielleicht zu bekämpfen ist ein Termin bei einem guten (kinder-?)Physiotherapeuten nach einer allgemeinen Einschätzung zu fragen. Wir hatten eine Überweisung bekommen und ich war erstaunt was die Dame getestet und beurteilt hat. Das ist irre. Können sonst gern auch per pn weiter schreiben. Der Beitrag ist ja bald verschollen :) Liebe grüße

von keinnamemehrfrei am 22.02.2015, 20:35



Antwort auf: Muss ich mit Folgeschäden rechnen?

Pn wäre super...wie funktioniert das hier?

von Juli141109 am 22.02.2015, 21:31