Liebe Biggi,
mein Sohn Eike ist jetzt schon über vier Monate alt. Er schläft abends gegen 20.30 uhr ein und schläft dann oft schon sieben Stunden durch. Meistens schläft er dann wieder bis morgens 7.30 Uhr, wenn wir sowieso aufstehen. Die Nächte sind also ganz prima!
Tagsüber sieht es aber etwas anders aus und zur Zeit bin ich genervt. Es gibt so gut wie keinen Rhythmus, vor allem kann ich mich nie darauf verlassen, daß er jetzt gestillt ist und ich für zwei Stunden oder so meine Ruhe habe. Da ich noch ein Kindergartenkind habe und außerdem studiere, gestaltet sich mein Alltag ein wenig schwierig. Ständig sitze ich irgendwo und stille (im Kindergarten, in der S-Bahn ..). Kann ich meinen Sohn irgendwie zu längeren Abständen "erziehen"? Wenn wir z.B. zum Kindergarten gehen, biete ich ihm vorher die Brust an, er trinkt ein Schlückchen und macht dann 10 Minuten später (unterwegs) ein Mordstheater. Ständig schiebe ich ein brüllendes Kind durch die Gegend! Da es mit meinem ersten Sohn ähnlich war, frage ich mich, ob ich vielleicht irgendwas falsch mache (oder sind es etwa die Gene?).
Ich muß vielleicht dazu sagen, daß beide Kinder sehr groß und schwer sind, Eike wiegt jetzt 8 kg (bei einer Größe von 67 cm), d.h. er braucht auch viel.
Vielen Dank für Deine Antwort, Milena
Mitglied inaktiv - 18.03.2002, 11:18
Antwort auf:
Stillrhythmus
?
Liebe Milena,
es wird sicher Menschen geben, die dir sofort bestätigen, dass Du dein Kind selbstverständlich zu längeren Abständen erziehen kannst. Ich bin da sehr skeptisch.
Ja, vielleicht könntet Ihr das „hinbekommen", doch um welchen Preis? Ein weinendes verzweifeltes Baby, eine Mutter, die zunächst mit einem Milchstau nach dem anderen und schließlich mit zurückgehender Milchmenge kämpft, Mutter und Kind am Rande der Nervenkrise, eventuell eine Gedeihstörung, weil das Kind durch das Hinhalten nicht mehr genügend Kraft hat und nicht mehr gut an der Brust trinkt, die Brust vielleicht sogar ganz verweigert und schließlich das ungewollt frühe Abstillen.
Ich gebe zu, das klingt sehr drastisch, aber genau das ist das Szenario, dass sich vieltausend Mal abgespielt hat (und noch abspielt), wenn ein Kind nicht nach Bedarf, sondern nach der Uhr gestillt wird. Nicht umsonst haben unsere Mütter kaum „stillen können", da sie und ihre Kinder an den starren Regeln eines „Vier-Stunden-Rhythmus" gescheitert sind.
Es gibt hin uns wieder ein Kind, das mit einem solchen Zeitplan zurechtkommt, doch die Mehrzahl kommt nicht damit zurecht.
Weißt Du übrigens, dass viele der immer wieder verbreiteten „Erziehungsvorstellungen" und auch viele der so absolut stillfeindlichen Ratschläge auf den Neuseeländer Dr. Truby King zurückgehen. Kings System der „wissenschaftlichen Kinderernährung" basiert auf den Grundlagen einer Methode, die er für Kälber entwickelt hat. Auch viele der „Rituale" der Brustwarzenbehandlung, die Frauen dazu gebracht haben (immer noch dazu bringen) die seltsame und nicht selten schmerzhaften Dinge zur Vorbereitung der Brust anzustellen gehen auf King zurück. Er hat den gesamten Bereich der Säuglingsernährung und des Zusammenleben von Eltern und Kindern mediziniert und reglementiert und so das Vertrauen der Frauen ins Stillen zerstört und bewirkt, dass sich liebevolle Mütter unzulänglich und schuldig fühlten. Seine Lehre wirkst noch heute (rund 80 Jahre später) nach. Bezeichnend finde ich, dass King selbst keine eigenen Kinder hatte.
Der vielbeschworene Vier-Stunden-Rhythmus stammt übrigens aus einer Zeit, in der es noch keine adaptierte Säuglingsnahrung gab. Die in dieser Zeit übliche Flaschennahrung konnte zu einer Überfütterung führen und durfte deshalb nicht wie bei der Brusternährung nach Bedarf gegeben werden. Nachdem die Flasche ihren Siegeszug angetreten hatte, wurde dieser Rhythmus dann auch auf das Stillen übertragen und so hält sich heute hartnäckig immer noch der Mythos des Vier-Stunden-Rhythmus.
Die Stillprobleme, die sich aus all diesen Einschränkungen ergeben haben und die Tatsache, dass das Wissen über die Kunst des Stillens nicht mehr von der Mutter auf die Tochter weitergegeben wurde hat zur Gründung der La Leche Liga geführt. 1957 haben sich sieben Frauen in den USA zusammengefunden, um sich gegenseitig bei Stillproblemen zu helfen und sich vor allen Dingen gegenseitig gegen Rückhalt zu geben, weil sie gegen die allgemein verbreiteten Regeln, die zu so vielen Stillproblemen geführt haben, gehandelt haben.
Inzwischen sind sich alle Stillexperten einig, dass das Stillen nach Bedarf die beste Lösung für Mutter und Kind ist. Auf diese Weise bekommt ein Baby die Nahrung, die es braucht, dann wann es sie braucht und die Milchmenge der Mutter stellt sich am besten auf den Bedarf des Babys ein.Eine Ausnahme davon ist ein schlecht gedeihendes Kind, das viel schläft. In diesem Fall muss die Mutter die Initiative ergreifen und das Kind zum häufigeren Trinken an der Brust wecken.
Ich weiß, dass es sehr stressig sein kann, mit zwei kleinen Kindern und all den anderen zusätzlichen Verpflichtungen. Doch Du kannst es dir etwas einfacher machen.
Auch ein acht Kilo schweres Kind kann im Tuch getragen werden. Mit einem korrekt gebundenen Tuch verteilt sich die Belastung gut und Du musst ja nicht gleich mit zwei Stunden Tragezeit beginnen. Wenn Du dein Kind bei dir am Körper trägst, stehen die Chancen gut, dass es sehr viel ruhiger sein wird. Außerdem bist Du sehr viel mobiler und hast mindestens eine Hand für dein anderes Kind frei und vor allem auch wieder „Luft" für deine Gedanken, weil dein Kind nicht mehr so viel weint.
Am besten wendest Du dich an eine tucherfahrene Frau, die dir in aller Ruhe demonstriert wie es geht und auch ein paar Mal mit dir übt.
Tucherfahrene Frauen findest Du in fast jeder Stillgruppe. Ich suche dir gerne die nächstgelegene LLL-Stillberaterin heraus, wenn Du mir deinen Wohnort mit Postleitzahl angibst.
LLLiebe Grüße
Biggi
von
Biggi Welter
am 18.03.2002