Stillen nach Bedarf oder alle 2 Stunden

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Stillen nach Bedarf oder alle 2 Stunden

Guten Tag, Vielleicht können Sie mir helfen meine Verwandten zu überzeugen. Ich stille meinen 9 Wochen alten Sohn nach Bedarf. Das heißt er kommt manchmal alle 30 Minuten, manchmal später, man will er auch ein paar Stunden vor sich hin nuckeln. Nachts ca. alle 2 - 2,5 Stunden. Meine Familie meint ,dass das komplett falsch ist. Er soll nur alle 2 Stunden etwas bekommen, dann kann sich sein Magen erholen und er hätte keine Koliken und ich bin also quasi Schuld dass er Schmerzen hat. Sie haben Ihre Info aus dem Internet, auch sei es laut TCM besser nur alle 2 Stunden zu stillen Ich bin der Meinung , wer Hunger hat bekommt sein Essen, egal wie alt. Leicht ins Zweifeln bin ich aber doch gekommen. Auch Arzt rät zu 2 Stunden und die Sprechstundenhilfe, selbst Mutter, meinte , dass ein Kind auch mal schreien darf. Durch sein Bauchweh schreit er schon viel, dass muss ich doch durch hungern nicht verschärfen oder?

von Poan am 27.10.2022, 11:13



Antwort auf: Stillen nach Bedarf oder alle 2 Stunden

Liebe Poan, ein Baby sollte nach Bedarf gestillt werden. Alle Stillexperten sind sich einige, dass Stillen nach Bedarf für Mutter und Kind am besten ist. So wird sichergestellt, dass das Baby die Nahrung, die es braucht, genau dann bekommt, wenn es sie braucht und sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einstellen kann. Während eines Wachstumsschubs kann es durchaus sein, dass ein Baby alle Stunde an die Brust möchte. Es gibt keinen Grund einen Mindestabstand zwischen zwei Stillmahlzeiteneinzuhalten. Im Extremfall kann das „Hinhalten" des Babys zu Gedeihstörungen führen. All die Erzählungen von einem bestimmten Rhythmus eines Babys sind schlicht und ergreifend falsch. Muttermilch ist innerhalb von 60 bis 90 Minuten verdaut und der Organismus eines Babys ist auf häufige Mahlzeiten eingestellt. So kleine Babys wollen im Schnitt zwischen acht und zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden. Im Schnitt heißt, es gibt Babys die seltener nach der Brust verlangen (eher wenige Babys) und es gibt Babys, die häufiger an die Brust wollen (die Mehrzahl). Nun ist es jedoch nicht so, dass ein Kind zügig zwanzig Minuten trinkt und sich dann nach drei Stunden das nächste Mal rührt, sondern es kommt immer wieder zu Stillepisoden, die so ablaufen: das Kind trinkt eine kurze Weile, hört auf, döst vielleicht sogar weg und beginnt erneut kurz zu trinken usw. Dieses Verhalten heißt Clusterfeeding und ist absolut normal für kleine Babys. Besonders gehäuft treten diese Stillepisoden am Nachmittag und Abend auf, wie überhaupt die Abstände zwischen den Stillzeiten im Verlauf des Tages immer kürzer werden. Dazu kommt, dass in bestimmten Altersstufen Wachstumsschübe zu erwarten sind, in denen die Baby manchmal schier ununterbrochen an die Brust wollen. Wachstumsschübe sind Zeiten erhöhter Nachfrage, in denen das Baby sehr oft gestillt werden möchte. Wird das Baby dann auch häufig angelegt (etwa alle zwei Stunden, manchmal sogar noch häufiger), erhält der Körper der Frau das Signal „mehr Milch bilden" und nach ein paar Tagen ist der Spuk vorbei und die Milchmenge hat sich dem Bedarf des Babys wieder angepasst. Stillen funktioniert nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wird in dieser Situation zugefüttert, wird der Brust kein erhöhter Bedarf signalisiert und die Milchmenge kann sich auch nicht auf den erhöhten Bedarf einstellen. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird gestört und es kann der Beginn eines unfreiwilligen Abstillens sein. Darum raten wir erst dann zur Gabe von künstlicher Milch, wenn keine andere Maßnahme geholfen hat - oder das Kind deutlich zu wenig zugenommen hat! Aber auch ohne Wachstumsschub ist es normal, dass ein so kleines Baby mindestens acht bis zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden will. Das Dauerstillen kann sehr anstrengend und auch nervend sein, aber es hat seinen Sinn. Rein wissenschaftlich gesehen ist es so, dass das Baby durch den Stillmarathon die Prolaktinausschüttung anregt und so dafür sorgt, dass die Milchbildung angeregt wird und genügend Milch für das Kind zur Verfügung steht. Liebe Grüße Biggi Woher kommt der Mythos vom „Mindestabstand" ? Von Denise Both, IBCLC „Sie dürfen nicht so oft anlegen, dann hat die Brust ja keine Zeit, sich wieder zu füllen." „Zwischen zwei Stillzeiten MUSS ein Abstand vom mindestens zwei Stunden liegen sonst bekommt das Kind Bauchschmerzen" „Frische Milch darf sich nicht mit bereits angedauter Milch vermischen, deshalb dürfen Babys frühesten nach zwei Stunden wieder angelegt werden" Wohl jede Stillberaterin ist schon mit diesen Aussagen konfrontiert worden. KinderärztInnen, Hebammen und auch wohlmeinende Mitmenschen kommen immer wieder damit. Ist ein Mindestabstand wirklich notwendig oder sinnvoll? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares NEIN. Ein Baby sollte nach Bedarf gestillt werden. Alle Stillexperten sind sich einig, dass Stillen nach Bedarf für Mutter und Kind am Besten ist. So wird sichergestellt, dass das Baby die Nahrung, die es braucht, genau dann bekommt, wenn es sie braucht und sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einstellen kann. Es ist nicht sinnvoll, den Abstand zwischen den Stillzeiten lange zu halten „damit sich mehr Milch ansammelt", denn die Brust funktioniert nicht wie eine Flasche, die wieder aufgefüllt werden muss. Der größte Teil der Milch wird während des Stillens gebildet. Ebenso ist es ein Ammenmärchen, dass ein Baby einen Mindestabstand zwischen zwei Stillzeiten einhalten müsse, um zu verhindern, dass frische Milch auf angedaute Milch kommt. Im Extremfall kann das „Hinhalten" des Babys zu Gedeihstörungen führen. Es gibt keinen Beweis, für die „Frische Milch auf halbverdaute Milch Theorie", die besagt, dass zwischen zwei Stillmahlzeiten ein Mindestabstand von zwei Stunden eingehalten werden müsste, weil das Baby sonst Bauchschmerzen bekäme. Doch woher kommt diese Meinung? Die Vorstellung, dass der Magen zwischen zwei Mahlzeiten vollständig geleert werden müsse, geht wahrscheinlich auf den Kinderarzt Prof. Adalbert Czerny (1863 – 1941) zurück, vor allem auf das, was er in seiner 1893 erschienen Veröffentlichung „Die Ernährung des Säuglings auf Grundlagen der physiologischen Funktionen des Magens" und seinem 1922 veröffentlichten Buch „Der Arzt als Erzieher des Kindes" geschrieben hat. Czerny hielt es einerseits für absolut notwendig feste Abstände zwischen den Stillmahlzeiten einzuhalten, damit sich zwischen den Mahlzeiten der Magen komplett entleert und sich die Magensäure (Salzsäure) ansammeln und antiseptisch wirken kann und andererseits maß er dem streng einzuhaltenden Stillrhythmus einen hohen erzieherischen Wert bei. Nach seinen Beobachtungen entwickelten sich mit künstlicher Säuglingsnahrung (zur damaligen Zeit überwiegend Kuhmilch) gefütterte Babys besser, wenn zwischen den Mahlzeiten ein Abstand von vier Stunden eingehalten wurde. Daraus schloss er, dass es auch für gestillte Kinder besser sei, einen Mindestabstand und festen Rhythmus einzuhalten. Nachdem er festgestellt hatte, dass Muttermilch nach eineinhalb bis zwei Stunden den Magen vollständig verlassen hatte und Kuhmilch nach drei Stunden, legte er die Abstände der Mahlzeiten für gestillte Kinder auf mindestens drei Stunden, für kuhmilchgefütterte Kinder auf mindestens vier Stunden fest. Es wurde – wie so oft – einfach eine Vorgehensweise, die für nicht gestillte Kinder sinnvoll sein konnte, auf gestillte Kinder übertragen und bis heute hält sich die Vorstellung von dem Mindestabstand in vielen Köpfen, zum Leidwesen vieler junger Mütter und ihrer Babys.

von Biggi Welter am 27.10.2022



Ähnliche Fragen ähnliche Fragen

Stillen nach Zeit oder Bedarf?

Hallo, mein Sohn ist jetzt 4 Monate alt und ist 61cm groß und wiegt 5400 kg. Er nimmt nicht viel zu, ist aber Kerngesund. gestern meinte die Ärztin ich soll im 3 Stunden Abstand stillen damit er mehr Hunger hat und mehr isst. Bisher hab ich nach Bedarf gestillt und denke das es auch das beste ist. Was meinen Sie? Viele Grüße Jasmin


Stillen nach Plan oder nach Bedarf

Guten Tag, ich bin momentan bisschen verzweifelt und wende mich an Sie, weil ich gerne Ihre Meinung zum Thema Stillen hätte. Meine kleine Paulina ist nun 3 1/2 Wochen alt. Meine Hebamme hat mir einen „Plan“ an die Hand gegeben, wie ich am besten stillen soll. 20 Minuten eine Seite, abdocken, wickeln gehen, 20 Minuten die andere Seite. Und das...


Milchmenge an Bedarf anpassen

Liebe Frau Welter, meine Tochter ist 15 Monate alt und ich stille noch immer gern und regelmäßig. Allerdings gibt es gerade Tage, an denen sie viel isst und spielt und kaum an die Brust möchte und dann wieder Tage, an denen sie ganz viel stillen möchte. Bei meiner größeren Tochter war das auch so und meine Brust hat sich scheinbar problemlos ständ...


Abfall der Perzentile mit Stillen nach Bedarf erklärbar?

Liebe Biggi, Ich lese immer sehr gerne deine Antworten und habe schon viel für mich mitgenommen. Meine Tochter ist jetzt etwas über 1 Jahr und ist von der 50. Perzentile beim Gewicht/Größe auf etwas über der 3. Perzentile gerutscht. Sie isst Beikost und wird noch nach Bedarf gestillt, also zum Mittagsschlaf, Abends, 1-2x Nachts und am Morgen...


Re: Abfall der Perzentile mit Stillen nach Bedarf erklärbar?

Liebe Biggi, Vielen Dank für deine Antwort. Das beruhigt mich und bestätigt mich in meiner Meinung. Es ist schön, das Stillen unbesorgt weiter genießen zu können. U.a. die Vertretung des Kinderarztes (ein älterer Herr) hat mir das Abstillen sehr Nahe gelegt und mich dadurch doch verunsichert. Beikost isst sie neuerdings sehr gut, seit ic...


Stillen nach Bedarf und Abwesenheit

Liebe Biggi, nachdem du mir mit einer Antwort schon einmal sehr geholfen hast, würde ich mich noch einmal über deinen Rat zu folgender Fragestellung freuen: Unser Sohn ist 7 Monate alt. Mit Beikost haben wir begonnen, er isst aber bisher kaum etwas. Nach seinem ersten Geburtstag möchte ich weiter nach Bedarf stillen, arbeite aber an zwei Vo...


Stillen bei Bedarf und zur Beruhigung

Liebe Biggi, erstmal vielen Dank, dass du hier so viel Zeit investierst und so liebevoll und ausführlich die Fragen beantwortest. Ich habe schon viele Einträge aus dem Forum gelesen und habe so viel gelernt, sowohl zum Thema Stillen als auch über Baby-spezifische Verhalten. Also nochmal ein großes Dankeschön, dass du dieses Wissen mit uns teilst...


Ab wann nur noch stillen nach Bedarf

Hallo Biggi, Meine Tochter ist nun 4 Tage alt und das stillen klappt gut. Sie hat bereits ihr Geburtsgewicht wieder erreicht. Ich stille mindestens alle 2-3 Stunden (stelle einen Timer), je nach bedarf natürlich noch öfter wenn sie sich zwischendurch meldet. Jetzt zu meiner Frage: ab wann kann ich (nachts) nur noch nach Bedarf Stillen anstatt na...


Stillen nach Bedarf oder im regelmäßigen Rhythmus?

Hallo, Ich habe gerade mein 2. Kind bekommen (7 Wochen alt). Wie beim 1. Kind klappt es mit dem Stillen toll und Wie beim 1. Kind handelt es sich um eine Raupe Nimmersatt (er möchte eigentlich wenn er wach ist alle 30 min angelegt werden. Nur wenn er länger schläft, gibt’s mal längere Pausen. Vor allem in den Abendstunden von ca 17 Uhr bis 22 Uhr ...


Stillen nach Bedarf auch gleich Einschlafstillen

Hallo, ich hoffe ich bekomme meine Frage gut formuliert, weil Momentan habe ich etwas Chaos im Kopf. Meine Tochter ist nun 3 Monate alt und wir stillen von Anfang an und nach Bedarf. Eigentlich lief es bis jetzt immer gut. Zwischen den jahren mussten wir nun ins Krankenhaus mit ihr und ich hatte sie dort häufiger an der Brust. Nun seit wir zuha...