annarick
Guten Tag Frau Traub.
Mein Mann und ich haben zwei Kinder (3,5 J, 6 M).
Der Große ist ein toller und sehr cleverer Junge (das sage nicht nur ich als Mutter ;) ). Er hat einen starken Willen, ist sehr selbstbewusst, traut sich viel und ist topfit. Das ist wirklich toll, aber oft auch anstrengend. Ich selber kann ihn gut händeln. Schon in der Schwangerschaft habe ich mich mit Erziehung beschäftigt. Mir ist die Bindung wichtig und ich versuche, ihn bedürfnisorientiert zu erziehen.
Ich habe bewusst "ich" geschrieben, weil ich die meiste Zeit zu Hause bin. Mein Mann arbeitet oft lange und ist selten vor 18 Uhr zu Hause. Ich entscheide, wann und wieviel Süßkram es gibt, ob er was gucken darf und wie lange und was usw.
Abends und am Wochenende ist mein Mann da. Er möchte und soll auch mit entscheiden, wie es läuft. Manchmal habe ich aber das Gefühl "er mischt sich ein". Der Junge soll funktionieren und wenn er was sagt, muss es so laufen. Er hält wenig von Kompromissen. In der Öffentlichkeit und besonders vor Freunden/Bekannten scheint es ihm peinlich zu sein, wenn unser Sohn Sachen macht, die Kinder halt machen. Der Junge ist natürlich nicht immer vorsichtig oder rücksichtsvoll, hat manchmal wutanfälle, wenn er seinen Willen nicht durchbekommt etc. Aber alles im Rahmen und normal für sein Alter.
Jetzt zu dem "Einmischen" meines Mannes. Ein Beispiel: Wir brauchen einen Kindersitz. Ich habe mich informiert zu Sicherheit, Ökotest, Handhabung... Mein Mann will, dass das Ding möglichst wenig Platz im Auto einnimmt. Darüber gibt es dann Streit, weil er völlig uninformiert mitmischen will.
Und so kann man sich andere Themen auch vorstellen. Wieviel und was darf der Junge gucken? Ich war auf einem Vortrag zu Umgang mit Medien. Mein Mann hat sich dazu nicht informiert...
Wie kann ich meinem Mann begegnen? Er soll auf jeden Fall mitentscheiden. Er soll die Kinder miterziehen und ich will mit ihm an einem Strang ziehen. Aber manchmal sind die Meinungen so weit auseinander, dass ich keinen Kompromiss eingehen kann...
Mein Mann ist hier nicht so gut weggekommen. Aber er ist ein wirklich guter Kerl. Das zeigt nur eins der wenigen Streitpunkte in unserer Ehe
Vielen Dank schonmal für ihre Antwort.
Lg Anna
Hallo Anna, vielen Dank für deine Anfrage. Es ist erfreulich zu lesen, dass du dich viel mit Bindung und Erziehung auseinandersetzt und dich an den Bedürfnissen deiner Kinder orientierst. Das ist sicher sehr wertvoll für sie. Ungerechtigkeiten bezüglich der Aufgabenteilung gibt es in vielen Beziehungen. Es ist gut, dass du deine Unsicherheiten und Frust adressierst. Du hast viel Zeit und Arbeit in diese Aufgabe reingesteckt und dir ein eigenes Expertinnenwissen zu Erziehung und Entwicklung erarbeitet. Das sollte von deinem Mann anerkannt und wertgeschätzt werden. Alles, was im Haushalt und Erziehung so anfällt und “nebenbei” gemacht werden muss, wird als Sorgearbeit bezeichnet. Sorgearbeit ist leider noch immer unbezahlt und wird so unsichtbar. Sie wird dann oftmals von Männern, die Lohnarbeit leisten, nicht wahrgenommen und als selbstverständlich angesehen. Dies geht auch traditionelle Rollenbilder zurück, die sich hartnäckig halten. Dabei ist Sorgearbeit gleich viel wert wie bezahlte Lohnarbeit und gehört genauso dazu, um ein Familiensystem aufrecht zu erhalten. Um einen Überblick über deine Aufgaben in Haushalt und Erziehung (zum Beispiel Recherchezeit) zu bekommen, kann es hilfreich sein, diese aufzuschreiben. So wird klar, wer wieviel Zeit in den Erhalt eures Familiensystems investiert. Dafür gibt es auch technische Hilfsmittel. Vielleicht habt ihr Lust, die Who cares? App mal auszuprobieren? (https://whocares-app.de/). So erhält dein Mann einen Einblick, wieviel Arbeit und Zeit du tatsächlich investierst. Das mag vielleicht auf den ersten Blick etwas unromantisch oder bürokratisch klingen. Aber neben Beziehungspartner*innen seid ihr ja auch Partner*innen bei der Organisation eures gemeinsamen Lebens. Eine faire Beziehung kann nur gelingen, wenn beide Personen und ihre Aufgaben in der Beziehung wertgeschätzt und anerkannt werden. Und du bist bei euch die Expertin für Erziehung! Du beschreibst, dass dein Mann wenig von Kompromissen hält. Ihr seid ein Team, wichtige Themen müssen verhandelt werden. Ein regelmäßiges "Beziehungsgespräch" kann wertvolle Veränderung bewirken: Plant gemeinsam einen festen Termin, zum Beispiel alle zwei Wochen. So könnt ihr vorbereiten, was wichtige Anliegen sind und was euch beschäftigt. In dieser geschützten Zeit könnt ihr in Ruhe und ohne Ablenkung über eure Gefühle sprechen und Dinge klären, die euch als Paar bewegen. Ihr scheint eine gute Basis zu haben, um ins Gespräch zu gehen. Eine Beziehung kann sich immer weiterentwickeln und Paare können als Team zusammenwachsen. Dafür viel Erfolg und alles Gute! Viele Grüße Xenia und Leonie