Frage im Expertenforum Erziehung an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens:

Zwangshandlungen

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens
Diplom Sozialpädagogin

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Frage: Zwangshandlungen

CaroBen1711

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Guten Abend Frau Ubbens, mein Sohn (fast 4) zeigt seit geraumer Zeit immer wieder wechselnde „Zwangshandlungen“. Es dreht sich häufig um Kleidung- so sollten zu Beginn die Größenschilder entfernt werden (was nun später gar kein Thema mehr ist), dann ging es um Knoten in Hosen, falsch sitzende Socken und der Zwang genau das selbe zu tragen wie Papa. Zudem werden ständig Fragen gestellt zum Thema „Verletzungen“. Wochenlang ob er Nasenbluten hat, danach ob er einen Zahn verloren hat, dann ob er Kratzer oder Blut hat, etc. Es nimmt so „krasse“ Ausmaße an, dass er aktuell wirklich alle 5 Minuten fragt, ob er etwas hat. Ich mache mir mittlerweile echt Sorgen um eine Zwangserkrankung, denn ich glaube, ihn strengt es auch extrem an. Im Kiga kommen die Fragen wohl gar nicht auf. Er ist seit kurzer Zeit trocken, was auch ein schwieriger Prozess für ihn war, sich von der Windel zu trennen (seine kleine Schwester trägt noch Windeln). Ich mache mir wirkliche Sorgen, da es mir einfach für ihn leid tut, von sich selbst so eingeengt zu sein. Haben Sie einen Rat, wie ich auf seine Fragen „hab ich da was“ reagieren kann und sehen Sie Handlungsbedarf zwecks „Zwangsstörung“? Viele Grüße Caro


Sylvia Ubbens

Sylvia Ubbens

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Liebe CaroBen1711, da Ihr Sohn das Verhalten im Kindergarten nicht zeigt, wird es sich nicht um Zwangshandlungen handeln, sondern vielmehr, wie meine Vorrednerinnen schon geschrieben haben, um die unbewusste Suche nach Aufmerksamkeit. Sie haben selbst schon geschrieben, dass Exclusivzeit vielleicht Abhilfe schafft. Probieren Sie es aus und binden vielleicht eine Oma oder andere Verwandte mit ein, die sich stundenweise um Ihre Tochter kümmern kann oder der Papa hat nach der Arbeit Zeit, um sich mit seiner Tochter zu beschäftigen. Die Fragen werden nicht von heute auf morgen aufhören. Ihr Sohn wird für sich erst verarbeiten müssen, dass sich an den Umständen - er bekommt mehr Exclusivzeit - etwas geändert hat. Viele Grüße Sylvia


Mamamaike

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Hallo, unser Sohn hatte sich an Dornen geritzt und leicht geblutet. Er konnte die Wunde nicht sehen, darum hat er immer wieder danach gefragt und war besorgt. Ich habe ihm erklärt, dass ich ihn ja dauernd angucke und somit auch auf die Wunde aufpasse. Mir würde ja sofort auffallen, wenn etwas nicht stimmt, darum braucht er keine Sorge zu haben, ich passe auf. Er muss sich nicht mehr darum "kümmern", dass ist meine "Mama-Aufgabe". Das hat ihn beruhigt, und ab da war ihm der (harmlose) Kratzer egal. Vielleicht würde Deinem Sohn so eine Zusicherung, die Du ganz explizit ausspricht, auch "erleichtern" oder beruhigen? Und nur eine Idee: Du schreibst von einer kleinen Schwester: Ist das vielleicht für ihn ein Weg, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen? "Wunden" sind ja so "schlimm", dass sofort geguckt wird, da "musst" Du Dich ihm ja zu- und von der Schwester abwenden. Vielleicht liegt auch da ein Ansatzpunkt... Viele Grüße


CaroBen1711

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Wie lieb, danke für deine Nachricht. Zufällig habe ich heute morgen genau das zu ihm gesagt. Dass er sich keine Sorgen machen muss und dass, sobald etwas ist, ich Bescheid geben werde. Die Formulierung „Mama-Aufgabe“ find ich super :-) Zur kleinen Schwester, das kann natürlich immer gut sein! Allerdings in der Intensität? Kann natürlich ein Ansatz sein. Dann wäre vielleicht Exklusivzeit eine Idee. Vielen Dank für deine Nachricht und liebe Grüße


SuJam

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Da im Kiga diese Fragen scheinbar kein Thema sind, ist das Grundproblem daheim zu suchen. Und ich schliesse mich an. Dein Sohn hat eine wunderbare Methode gefunden dauerhaft deine volle Aufmerksamkeit zu erhalten. Unter Umständen ist seine unbewusste Angst tatsächlich deine Aufmerksamkeit an die Schwester zu verlieren, wenn er nicht aufpasst und sich diese nicht sichert. Muss er denn vielleicht auch häufig zurückstecken hinter der Schwester oder dem Papa, wenn er etwas möchte, braucht,… ? Und genau darüber würde ich mit ihm sprechen ;-)


CaroBen1711

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Guten Abend, nochmal ein kurzer Nachtrag, nach erneuten Gesprächen im Kiga (nach Teamsitzung) sind alle Erzieher sensibilisiert und die Fragen treten nun doch auch gehäuft im Kiga- selbst an andere Kinder gerichtet auf. Liebe Grüße


SuJam

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Ich bin kein Fachmann. Kenne mich aber aus privaten Gründen mit Zwängen ein wenig aus. In aller Regel äussern sich diese dadurch, dass etwas eine ganz bestimmte Ordnung haben muss, etwas in einer ganz bestimmten Reihenfolge getan oder gesagt werden muss, bis Zahl x gezählt werden muss, sich ständig waschen oder kontrollieren. Zwänge sind eine Art Angststörung mit Verknüpfung der Angst im Gehirn an eine beruhigende Tat (zählen, waschen,…sie oben). Die Taten stehen nicht mehr im konkreten Zusammenhang mit der Angst selbst. Deshalb wirken sie von außen auch übertrieben und sinnlos. Das ist deinen Schilderungen insofern ähnlich, dass dein Kind den starken Drang hat immer wieder nachzufragen. Auch hier steckt eine Angst dahinter. Aber der Zusammenhang zur Angst ist noch ganz konkret: Angst vor Liebesverlust, Suche nach Aufmerksamkeit. Und dann passt es auch durchaus, dass das Verhalten auch im Kiga auftritt. Denn dort hat dein Sohn keine Kontrolle mehr darüber, ob die Schwester nun deine Liebe und Aufmerksamkeit an sich reißt. Seine Angst ist unbewusst, ebenso sein dadurch auftretender Drang und von daher sucht er Aufmerksamkeit dort mit den ihm bekannten Strategien. Manchmal ist es einfacher eine Erkrankung beim Kind zu diagnostizieren, weil man sich dann nicht reflektieren muss, nichts ändern muss, sich quasi zum Opfer der Umstände machen kann. Den Kindern ist damit aber am wenigsten geholfen. Ansprechen und das eigene Verhalten reflektieren. Manchmal reicht Kindern ein Satz wie: Nein, du siehst doch, dass ich mit deiner Schwester beschäftigt bin. Oder: man erwartet viel Selbständigkeit oder Erwartung an Verhalten vom älteren Kind, währenddessen das jüngere allles gemacht bekommt oder dort mit viel Nachsicht reagiert wird (Essen, Anziehen, Wickeln, Regeln…). Auch mal das Ältere mehr umsorgen, auch mal das Jüngere warten lassen, Zeit zu zweit mit ungeteilter Aufmerksamkeit, mehr Nachsicht/ gucken ob er nicht doch auch mehr Hilfe benötigt, Vorteile nur für den Großen weil er groß ist (später ins Bett, mit Papa zu einer Aktivität für ältere Kinder, ein kleiner Film, … da muss man sicher ausprobieren). Und auch drüber reden. Die Angst damit bewusst machen. Nur nicht die Angst wegreden a la “das brauchst du doch nicht befürchten “. Erst wenn sich in euren Taten beweist, dass seine Angst unbegründet ist, wird er sie und sein damit zusammenhängendes Verhalten aufgeben. Wenn du dennoch Zwangshandlungen vermutest, dann ist der Kinderarzt oder kurzfristig das Psychologieforum hier der richtige Ansprechpartner.


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