Frage im Expertenforum Erziehung an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens:

Kind 4,5 Jahre außer Rand und Band

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens
Diplom Sozialpädagogin

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Frage: Kind 4,5 Jahre außer Rand und Band

Pistazie123

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Hallo Frau Ubbens, meine Tochter ist jetzt 4,5 Jahre alt. Von Anfang an war sie ein sehr aufgewecktes (bis aufgedrehtes), extrem wissbegieriges und lebhaftes Baby. Im Laufe der Zeit hat sie sich rasend schnell entwickelt, konnte mit 10 Monaten schon sprechen und laufen. Es ist sehr auffällig, dass sie keine Sekunde ruhig sitzen kann. Sie bewegt sich wirklich permanent, es sei denn sie schaut TV oder schläft. Sie hat ein sehr sehr gutes Gedächtnis, erinnert sich an Dinge, die Jahre (wirklich Jahre) zurück liegen, an kleinste Details, das ist bemerkenswert. Doch jetzt kommt das große ABER. Sie hört wirklich null. Egal was ich zu ihr sage. Sobald es ein Verbot gibt, rastet sie aus, schreit in den höchsten Tönen, wirft mit Spielzeug, schlägt mich, beleidigt mich (seit sie im Kindergarten ist hat sie angefangen, Schimpfwörter zu benutzen), sie versucht zu beißen, sie macht Theater. Sie ist auch extrem provokativ. Ich gebe mal Beispiele: Heute Morgen war sie bei der Oma für 40 Minuten, weil ich etwas erledigen musste. Als wir gehen wollten, hat sie mit dem grünen Filzstift auf die weiße Wand gemalt und richtig frech dazu gelacht. Danach hat sie, als meine Mutter das versucht hat wegzuputzen, noch mehr gelacht und Äußerungen von sich gegeben wie: „Haha Oma du machst deine Wand kaputt!“ Oder zu ihrer kleinen Schwester: „Hör nicht mehr auf die Oma oder die Mama, mach was du willst.“ Als wir gestern Abend zum Abendessen alle bei der Uroma saßen, ist sie permanent an den Stühlen hochgeklettert, hat sich kopfüber an die Stuhllehnen gehangen, ihren Onkels dabei die Füße ins Gesicht gestreckt, hat ihre Hände an den Oberteilen der anderen abgeputzt und gelacht mit der Behauptung, das würde ja niemanden stören. Ihren Papa nimmt sie nicht für ernst, der wird sofort beleidigt und sie spuckt ihm sogar ins Gesicht. Kleidung trägt sie auch kaum, zuhause rennt sie meist nackt durch die Wohnung, weil angeblich alle Kleidung kratzt, zwickt oder sonst irgendwie unangenehm ist. Sobald ich mich mit anderen Menschen unterhalte (mit dem Papa, oder telefoniere oder Besuch da ist), pfeift sie ganz arg laut oder singt so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Ich bin immer noch in Elternzeit, wir unternehmen auch zusammen einiges. An Aufmerksamkeit kann es ihr nicht mangeln, denn die bekommt sie. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich nirgendwo mehr mit ihr hingehen möchte, weil sie sich so benimmt. Sie eckt überall an, wirkt immer aufgedreht und rotzfrech. Jeder ermahnt sie, was ich einerseits verstehen kann (wer will schon einen Fuß von ihr im Gesicht haben, wenn er beim Essen sitzt?), andererseits macht es mich traurig, weil ich sie über alles liebe und natürlich stolz sein will. Wir haben schon ein Belohnungssystem entwickelt mit Sternen die sie bekommt, wenn sie keine Schimpfwörter gesagt hat, nicht geschlagen hat und gehört hat am Tag. Ich spreche sie auch direkt an, gehe auf Augenhöhe runter und achte auch darauf, dass sie mich ansieht, wenn wir reden. Denn andernfalls lässt sie sich von allem ablenken und hört mir nichtmal zu. Aber sie macht trotzdem nie, wirklich nie, was ich zu ihr sage. Sie springt bestimmt 10 mal am Tag auf dem Sofa (was sie nicht darf) und ich ermahne sie, woraufhin sie runter muss vom Sofa. Ein paar Minuten später scheint es vergessen und sie hüpft wieder drauf herum. Es ist zum Verzweifeln. Der Kinderarzt ist davon überzeugt, dass sie ADHS hat, kann das aber in dem Alter nicht diagnostizieren. Was mache ich falsch? Was kann ich besser machen? Vielen lieben Dank im Voraus.


Sylvia Ubbens

Sylvia Ubbens

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Liebe Pistazie123, wichtige Frage bei ADHS ist, ob Ihre Tochter das Verhalten auch im Kindergarten zeigt oder "nur" in Ihrem Beisein. Stellen Sie Ihre Tochter, wie meine Vorrednerin schon geschrieben hat, gerne in einem SPZ vor. Evtl. kann Ergotherapie oder Frühförderung hilfreich sein. Dies können Sie aber auch mit Ihrem Kinderarzt besprechen, da die Wartezeiten im SPZ längere sein können. Wie verhält sich Ihre Tochter, wenn Sie mit ihr draußen unterwegs sind? Spielplatz, Wald, Fahrrad fahren usw.. Ihre Tochter sollte sich viel bewegen können. Probieren Sie aus, ob sich das Verhalten Ihrer Tochter entspannt, wenn Sie täglich längere Zeiten mit ihr draußen sind. Ist Ihre Tochter so unausgeglichen, weil sie unterfordert ist und Herausforderungen braucht? Sprechen Sie gerne mit den Erziehern im Kindergarten. Spielt Ihre Tochter altersentsprechend oder ist sie eher den älteren Kindern zugewandt? Viele Grüße Sylvia


cube

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Ich finde auch, das hört sich nach ADHS an. Vielleicht stellst du sie mal in einem SPZ vor - auch, wenn in dem Alter keine konkreten Diagnosen gestellt werden bzw. die Tests erst ab Grundschulalter wirklich aussagekräftig sind. Dennoch kann dort die Tendenz bestätigt werden und entsprechende Beratung und Unterstützung geboten werden.


Ashey

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Ich habe da auch schon einiges durch bezogen auf meinen älteren Sohn. Er ist eigentlich so, wie du deine Tochter beschreibst... Das mit dem ADHS ist so eine Sache. Wir waren bei vielen Experten. Nein - es ist kein ADHS (er ist jetzt alt genug, daher kann es diagnostiziert werden). Was Aufmerksamkeit angeht: Ja, ich dachte auch immer, er bekommt genug Aufmerksamkeit. Aber es geht gar nicht so sehr um die Menge, sondern um die Qualität. Wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist, hört man manchmal ja doch nicht so richtig zu oder ist in Gedanken woanders. Das merken die Kinder. Und dann ist der kleine Bruder bei uns oft dabei und der Große ist dann eifersüchtig auf so ziemlich alles. Was kann man besser machen? Das ist wirklich schwierig. Ich habe mit ihm zusammen ein Achtsamkeitskurs besucht und wir arbeiten beide daran. Vorher wollte ich immer SEIN Verhalten ändern, in dem Kurs habe ich aber auch meine Wahrnehmung verändert. Bei Achtsamkeit geht es ja gerade darum, wertungsfrei zu sein. Und so Aussagen wie "er hört nicht" hab ich früher auch getätigt. Mittlerweile ist mir klar, dass er nicht hören bzw. gehorchen muss. Er ist ein eigenständiges Individuum, dass ich nicht dressieren kann. Es geht ja vielmehr um Kooperation, nicht um Gehorchen (also mit zumindest, er ist ja kein Hund). Seit ich mir das klar gemacht habe, läuft es soooooo viel besser. Wir versuchen beide Kompromisse einzugehen und ich schaffe es viel besser die Bedürfnisse hinter seinem Verhalten zu sehen. Er hat so seinen Frust ausgelebt und wollte gesehen werden, so richtig gesehen. Naja, nach einem Jahr "Training" klappte es besser :) Er ist und bleibt sehr gefühlsstark - das wird sich nie ändern. Es gibt heute noch Tage an denen bin ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch (sein kleiner Bruder ist da völlig anders). Aber es ist so viel besser geworden und er fühlt sich auch besser angenommen. Es ist ja auch nicht schön für ein Kind, wenn es ständig das Gefühl bekommt, dass es alles falsch macht...


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