Frage im Expertenforum Erziehung an Christiane Schuster:

Bitte um Rat

Christiane Schuster

 Christiane Schuster
Sozialpädagogin
Frage: Bitte um Rat

Mitglied inaktiv

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Liebe Frau Schuster, Biggi riet mir, mich einmal bei Ihnen zu melden, Sie kennt meine im Moment etwas angespannte Lage. Es geht um Emma, letzte Woche 4 geworden. In Kurzform Emmas sicherlich etwas unruhiger Lebensweg. 5 Wochen nach ihrer Geburt verstarb mein Vater sehr plötzlich, natürlich waren die Gefühle überwältigend, was sie sicher mitbekommen hat. Dieses Gefühlstief hielt recht lang, meinerseits aber keine Depression, sondern normale Trauer. Als sie 20 Monate alt war kam ihr Bruder auf die Welt. Da habe ich sicher oft den Fehler gemacht, sie als "Große" zu sehen und habe anfangs zuviel von ihr verlangt. Gleichzeitig hatten wir mit Hausbau begonnen, das Haus wurde zwei Monate vor ihrem 3. Geburtstag fertig, als wir dann umzogen von der Stadt aufs Land fing bei ihr auch direkt der Kindergarten an und ein paar Wochen später habe ich mich selbständig gemacht. Mein Mann hat viel im Haus gearbeitet, war wenig für die Kinder da und ist nun beruflich sehr eingespannt. Momentan ist er fast nur am Wochenende da, weil er von Montags bis Freitags auf Geschäftsreise ist. Das ist aber nur ein vorübergehender Zustand und SOLL Ende September vorbei sein. Dann wäre er wie bisher täglich zum Frühstück und Abendessen zuhause. Nun zu Emmas Verhalten, welches sich ungefähr mit dem 1.Geburtstags ihres Bruders veränderte, also gut 1 Jahr und 3 Monate nun anstrengend ist. Sie ist sehr explosiv, kann von einer Sekunde auf die andere ihre Stimmung von gut gelaunt zu absolut wütend wechseln, oft ohne ersichtlichen Grund (dass es einen Grund gibt ist mir klar, aber ich sehe ihn nicht). Dann schreit sie in einer Lautstärke, dass ich die Fenster schließen muss, damit die Nachbarn nicht wach werden. Das ist leider nicht übertrieben. Ihre Lieblingsschreiwörter sind NEEEEEIIIIN und ICH WILL ABER. Es ist an 5 Tagen die Woche so, dass sie aufwacht (wir schlafen zu viert im Familienbett), die Augen aufschlägt und schreit: Ich hab Hunger! oder ähnliches. Aber sie flippt auch manchmal völlig wegen "nichts" aus, z.B. wollte sie letztens nicht, dass ICH eine Unterhose anziehe. Als ich dann doch eine anzog, schrie sie, bis sie sich übergab. Wenn sie einen ihrer seltenen guten Tage hat, dann ist sie nicht wieder zu erkennen: sie ist dann ein absolut liebenswertes, hilfreiches und lustiges Kind, macht Witze, ist süß zu ihrem Bruder, spielt interessante Spiele, erzählt Geschichten. Matscht nicht mit dem Essen, hört, wenn ich was sage und ist ein ganz anderes Wesen. Das ist leider sehr selten, nicht mal 1x pro Woche. Ich reagiere so ruhig wie es geht, allerdings merke ich, dass (auch durch die ungewohnte Situation, alleine zu sein die Woche über) meine Nerven immer blanker liegen und mir doch immer häufiger ein netter Umgangston schwerfällt. Ich versuche ihr, auch in einer Schreisituation zu sagen, dass ich sie liebe und dass ich ihr jetzt helfe, aus dieser Situation wieder rauszukommen. Ich WEISS, dass sie das nicht tut, um mich zu ärgern, sondern es geht ihr in dieser Schreisituation ganz ganz schlecht. Oft hilft das Nette aber nicht, dann trage ich sie in ihr Zimmer und bitte sie, wieder zu kommen, wenn sie sich beruhigt hat. Oder ich gebe ihr in ihrem Zimmer den Ratschlag, sich für a) oder b) zu entscheiden (wenn der Schreianlass z.B. war, dass sie zwei Bücher lesen will, ich aber nur für eins Zeit habe). Das klappt manchmal, manchmal nicht (dann kommt sie schreiend wieder runter). Ich lobe JEDES noch so kleine lobenswerte Verhalten, erwähne es in ihrer Gegenwart gegenüber anderen, biete ihr an guten Tagen an, Oma ...anzurufen, um zu erzählen, was es für ein toller Tag war. Das macht sie dann auch ganz stolz, aber es ändert nichts daran, dass die guten Tage rar sind. Leonard wird noch gestillt (ist jetzt 2,3 J), aber ich versuche, ihr die gleiche Nähe zu geben durch kuscheln, vorlesen.... Seit einiger Zeit, vielleicht seit 8 Wochen, klammert sie an mir. Nicht, dass sie immer an mir hängt, aber wenn wir essen soll ich neben ihr sitzen, ich soll ihr die Zähne putzen, ich soll mit ihr im Bett lesen und kuscheln. Mich verwundert das, da sie doch zumindest am Wochenende froh sein sollte, dass ihr Papa mal da ist. Das Verhältnis zum Papa ist gespalten. Sie liebt ihn und ist traurig, das er so oft weg ist, allerdings scheint sie sich daran mittlerweile zu gewöhnen. Aber wenn er dann da ist, streiten sie sich viel. Das Verhältnis zu ihrem Bruder ist eher positiv bis auf normale Geschwisterrivalität. Wir waren auch schon bei einer Erziehungsberatung, die war aber wenig hilfreich, fand das Verhalten unserer Tochter nicht sonderlich auffällig. Bei der U-Untersuchung zum 3. Lebensjahr wurde mal in Richtung ADHS gedacht, allerdings habe ich beruflich mit ADHS Kindern zu tun und sehe nur wenig Symptome dafür. Was raten Sie mir? Was kann ich ändern? Wie kann ich ihr helfen? Vielen Dank Esther


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Hallo Esther Auf Grund der beschriebenen, für Emma sicherlich negativ aufgenommenen Erfahrungen (Tod, Geburt, Umzug, Kiga-Start, Selbstständigkeit, häufige Abwesenheit des Papas) innerhalb recht kurzer Zeit scheint Ihre Tochter eine recht geringe Frustrationstoleranz entwickelt zu haben. Sie beobachtet die zunehmende Mobilität von Leonard und sieht sich immer mehr benachteiligt. Wenn ich nicht genau wüßte, dass sie bestmmt genauso viel liebevolle Zuwendung wie ihr Bruder von Ihnen erhält, würde ich den Tipp geben, ihr mehr liebevolle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie mit ihrem Verhalten geradezu einfordert. Als Soforthilfe schlage ich Ihnen vor, wenn sie schreit, ihr nicht zu sagen, wie lieb Sie Emma haben, sondern Sie nach Möglichkeit fest in Ihren Arm zu nehmen, zu streicheln und leise zu summen. Auf ein NEEEEEIIIIN halten Sie sie möglichst fest und antworten ebenso mit einem lächelnden, singenden NEIN (mit der Melodie eines ihr bekannten Kinderliedes?); auf ein ICH WILL ABER antworten Sie mit einem ICH MÖCHTE AUCH. Dann überlegen Sie gemeinsam, was Sie denn möchten. Bezüglich dem Anziehen der Unterhose: wie hätte Emma wohl reagiert, wenn Sie gefragt hätten, ob sie es lustig fände, wenn Sie mit nacktem Po durch`s Haus, auf die Straße o.Ä. liefen? Evtl. hätten Sie ein wenig vor ihr hin und her tänzeln müssen, die Lacher wären auf beiden Seiten gewesen und Sie hätten sich anschließend in Ruhe anziehen können. Statt sie in ihr Zimmer zu schicken, nehmen Sie Emma bitte fest in Ihren Arm um sich zu beruhigen. Weggeschickt wird sich ihr Verhalten eher noch verstärken.- Das Klammern wird vermutlich von alleine verschwinden, wenn Ihre Tochter sieht, dass sie in Situationen, die sie hilflos machen, auch (auf Ihrem Schoß) klammern DARF. Der Papa wird durch häufige Abwesenheit zunehmend zu einer Person, die für Ihre Tochter eine Konkurrenz um Ihre Liebe darstellt und die als "Bestimmer" mehr und mehr abgelehnt wird, was unweigerlich zu Konflikten auf beiden Seiten führt. Der Unterschied ist, dass ein Kind spontan reagiert und ein Erwachsener gelernt hat überlegt zu handeln. Dieser Punkt wird sich dann aber bald wieder zunehmend positiv ändern.:-)) Mit einem ADHS hat dieses Verhalten aus meiner Sicht wenig gemeinsam, wie Sie selbst bereits auch herausfinden konnten. Liebe Grüße und: bis bald?


Mitglied inaktiv

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Liebe Frau Schuster, vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Emma zu halten gefällt mir auch besser, als sie weg zu schicken, ich werde das konsequent mal für ein paar Wochen versuchen und Ihnen berichten, was sich verändert. Zudem beginne ich im September den Kurs "starke Eltern - starke Kinder" und hoffe, da noch weitere Anregungen zu bekommen. Bis bald! EstherK


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Hallo Esther Die Teilnahme an diesem Kurs kann ich nur befürworten.:-) Für ebenso geeignet halte ich: http://www.kess-erziehen.de/menu_fl.html Auf ein Feedback freue ich mich. Erholsames Wochenende erst einmal!


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