Mucksilia
Wenn ich mir hier so einige Sachen durchlese (auch meine eigenen) muss ich immer an meinen Bruder denken. Der war schon immer total speziell. Er hat zB als Kind nichts mit Knöpfen getragen und redet wenig bis nix.Genau genommen war er zumindest hochsensibel mit ADS, wahrscheinlich Autismus-Spektrum, würde ich sagen. Meine Mutter hat sich immer viel Sorgen um ihn gemacht, aber früher kam doch keiner auf die Idee, ihn bei einem Kinderpsychologen vorzustellen. Das wäre sicherlich gut gewesen, denn er bekommt seitdem er 55 ist, eine EU-Rente, da er schwere Depressionen hat. Ich selber zeige bis heute Merkmale von ADHS. Aber auch da hieß es nur, ich sei eben unordentlich, schmiere (=schlecht schreiben) etc. Vllt hätte ich es leichter gehabt, wenn man mir Ritalin gegeben hätte. Wahnsinn, was sich da in den letzten 45 Jahren getan hat. Was wohl anders gelaufen wäre, wenn man schon mehr kinderpsychologisch geacht hätte? (nicht falsch verstehen, wir haben beide studiert u sind nicht völlig daneben, aber trotzdem)
Das ist ja genau das Ergebnis, was unbehandelte ADHS mit sich bringt. Depressionen zb, oder strafrechtliche Auffälligkeiten. Über mich selbst will ich garnicht nachdenken, es bringt weder mir noch meiner Tochter etwas. Aber an was ich mich zu meiner Kinderzeit erinnere, dass es richtig viele Kinder gab, die als schwer erziehbar galten, und auch im Heim landeten. Dort "erzogen" wurden. Wer weiß, wie es denen heute als Erwachsene geht, oder deren Kindern...
Ach echt? Das wusste ich gar nicht. Habe gerade gegoogelt, das ist ja krass.
Oh, das kann ich gut nachvollziehen. Mein Bruder war der Hauptgrund, wieso wir sehr lange nicht nachgeforscht haben. Er war damals ein Latetalker und ist im allgemeinen recht "schrullig", hat neben LRS allerdings keine Diagnosen, daher sah ich sehr lange überhaupt keine Auffälligkeiten bei unserem Sohn.
Jetzt, nachdem ich mich viel mit Autismus und ADHS auseinander setzen "durfte", sehe ich sehr, sehr viele Parallelen bei meinem Bruder, aber auch bei mir.
Für meinen Sohn freut es mich sehr, dass es inzwischen mehr Hilfe gibt und hoffe sehr, dass er dadurch einen etwas leichteren Weg durchs Leben hat als mein Bruder, der ständig überall aneckte und auch die ein oder andere sehr blöde Entscheidung traf.
Ich finde es schlimm, dass viele erst und nur durch ihre Kinder darauf kommen, was mit ihnen oder Verwandten los sein könnte.
In Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die durch nicht erkanntes ADHS entstehen können, bis hin zu einem erhöhten Risiko für Selbstmord, müsste man eigentlich eine allgemeine Warnung aussprechen, dass ADHS auch bei Erwachsenen verbreitet ist und welche Symptome es haben kann.
Selbst, wenn die Leute sich nicht diagnostizieren lassen wollen oder keine Termine bekommen, halten die sich hoffentlich wenigstens nicht mehr für zu blöd für diese Welt, wenn sie diese Symptome bei sich beobachten.
Außerdem haben andere Leute dann hoffentlich auch mehr Verständnis.
Ich meine, man warnt ja auch vor den Anzeichen eines Burnouts oder einer Depression.
Es gibt einige Menschen in meinem Umfeld, die ich im Verdacht habe, ebenfalls betroffen zu sein.
Bei denen hagelt es gerade ADHS-Diagnosen unter ihren Kindern und Neffen, meistens plus Autismus.
Ich habe übrigens gestern eine Bekannte 1 Meter neben mir beim Bäcker übersehen, weil mein Gehirn mit der Auslage, der Verkäuferin und dem im Auge behalten des Hundes zu 100% ausgelastet war.
Sie dachte natürlich, ich hätte sie absichtlich übersehen.
Sowas glaubt einem keiner, der nicht selbst betroffen ist.
Die Jugendämter traumatisieren auch heute noch viele Kinder und Eltern durch ungerechtfertigte Maßnahmen. Wenn man sich mit Leuten unterhält, die da Einblick haben, ist das gruselig. Aber zu ADHS früher. Ich habe z.B. keine Erinnerung an Kinder, die einfach in Heime verfrachtet wurden. Ich kannte ein ADHS-Kind, das adoptiert war. Gut, da weiß ich nicht, wie das zustande kam. Jedenfalls wurde er schon als Baby adoptiert, und seine Adoptiveltern haben alles getan, damit er im Leben klar kam. Ob er eine ADHS-Diagnose hatte, weiß ich nicht, aber zumindest war er in Behandlung. Ich selbst habe eine halbe ADS-Diagnose von der Therapeutin unseres Sohnes, die aber keine Erwachsenen diagnostiziert. Etwas Autismus könnte auch dabei sein. Hochsensibel bin ich definitiv. Ich war immer das viel zu sensible, viel zu schüchterne Kind, das in der Schule viel zu still war. Meine schlimmsten Baustellen sind das geistige Abdriften bei Gesprächen mit mehreren Personen oder über uninteressante Themen, das Vergessen von Dingen, die gerade gesagt wurden, z.T. Unsicherheit im Umgang mit Menschen, zu wenig Selbstbewusstsein, Motivationsprobleme, Multitasking fällt sehr schwer, langsames Arbeiten aus Angst, Fehler zu machen oder zu übersehen und allgemein Ängste. Ich bin sehr ungern im Mittelpunkt, sondern am liebsten wo, wo ich nicht auffalle. Kein Mensch kam auf die Idee, mich als Kind irgendwo vorzustellen. Es hieß immer nur, ich müsste einfach mehr aus mir heraus gehen. Ja, klar, ganz einfach... In den 80ern gingen die Leute allgemein kaum zum Arzt wegen psychischer Probleme. Man war schließlich nicht verrückt und wenn das die Nachbarn erfahren... Was AD(H)S angeht, war Deutschland damals Entwicklungsland. Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt jemand ein Mädchen ohne H als Betroffene diagnostiziert hätte, für verschwindend gering. Wenn ich damals diagnostiziert und behandelt worden wäre, wäre ich (hoffentlich) selbstbewusster, konzentrierter bei uninteressanten Themen, hätte nicht vor allem Neuen im Bereich Beruf Angst und wäre allgemein nicht so super darin, mir selbst im Weg zu stehen. Trotz erfolgreichem Studium und einer anspruchsvollen Ausbildung empfinde ich das Berufsleben als extrem stressig und schwierig und bin da zur Zeit in einer Sackgasse gelandet, aus der ich keinen Ausweg finde, weil ich mich die ganze Zeit mit Bedenken über Bedenken selbst blockiere. Ich glaube, die unbehandelten/nicht diagnostizierten erwachsenen AD(H)Sler in Deutschland stellen ein viel größeres Problem für den Staat dar, als der ahnt. Schätzungen gehen dahin, dass bis zu 10% der Bevölkerung davon betroffen sein könnten. Unbehandelte AD(H)Sler müssen sich oft sehr anstrengen, um im Beruf mithalten zu können. Wenn man nicht weiß, warum man so schlecht funktioniert, hält man sich auch noch für zu blöd und wird immer gefrusteter über sich selbst. Das führt schneller zu Überlastung als bei anderen Menschen und zu Burnout oder anderen gravierenden psychischen Problemen bis hin zur Frühverrentnung. Einige versuchen ihre Gehirn-Defizite mit Alkohol oder illegalen Drogen zu kompensieren. Das alles verursacht nicht nur Leid bei den Betroffenen, sondern auch hohe Kosten im Gesundheitssystem und fehlende Arbeitskräfte. In den Generationen vor uns gab es zumindest mehr Nischen in der Arbeitswelt für Leute mit Special Effects. Aber ich denke, auch da gab es schon viele Menschen, die durch ihr AD(H)S im Leben gescheitert sind. Meine Mutter ist wohl eine davon. Ich finde, dass es im Bereich AD(H)S immer noch eine deutliche Unterversorgung und zu viele Fachleute mit einem Wissensstand von Anno Pief gibt, besonders für Erwachsene. Da werden immer noch reihenweise Menschen ohne H falsch diagnostiziert. Wer Abitur oder sogar ein abgeschlossenes Studium hat, kann kein AD(H)S haben. Wer es schafft, seinen Job über Jahre zu behalten, auch nicht und ähnlicher Schwachsinn. Wenigstens hat man heute die Möglichkeit, dass Kinder überhaupt diagnostiziert und behandelt werden. Ich hoffe sehr, dass unser Sohn später besser im Berufsleben klar kommt, als ich.
< < Ich war immer das viel zu sensible, viel zu schüchterne Kind, das in der Schule viel zu still war. Meine schlimmsten Baustellen sind das geistige Abdriften bei Gesprächen mit mehreren Personen oder über uninteressante Themen, das Vergessen von Dingen, die gerade gesagt wurden, z.T. Unsicherheit im Umgang mit Menschen, zu wenig Selbstbewusstsein, Motivationsprobleme, Multitasking fällt sehr schwer, langsames Arbeiten aus Angst, Fehler zu machen oder zu übersehen und allgemein Ängste. Ich bin sehr ungern im Mittelpunkt, sondern am liebsten wo, wo ich nicht auffalle.>> der Text könnte von mir sein, nur das es kein geistiges Abdriften war/ist, sondern wenn viele am Tisch sitzen kann ich die Gespräche nicht voneinander filtern. Was andere am Tisch sagen, die nicht unmittelbar in der Nähe (neben oder vor mir) sitzen kann ich schon nicht mehr mitverfolgen. Dann denken bestimmt viele ich würde mich einfach nicht dafür intressieren, weil ich ja nicht mitrede. Meine Schüchterinheit, also das ich zB.nie von mir aus irgendwelche Muttis am Rande des Sportplatzes ansprechen würde, wo unsere Kinder Sport machen, führt oft dazu das die Leute denken ich hätte kein Intresse daran mit denen in Kontakt zu treten. Wenn viele reden komm ich ja eh durcheinander und krieg nichts mehr richtig mit... Dabei ist es gar nicht so das ich nicht mitreden möchte, bin aber überfordert damit. Diese Angst Fehler zu machen krieg ich auch nicht aus mir raus und beeinträchtigt mich bis heute, weil ich dadurch für vieles länger brauche. Wenn ich zb. was mit Zahlen mache, muss ich zb immer mehrmals drüberschauen damit ich mir sicher bin das kein Zahlendreher oder so drin ist... Ich sage mir zwar immer (gedanklich) selbst, das ich eigentlich keine Angst davor haben muss was falsch zu machen, aber richtig raus geht es trotzdem nicht aus mir. Hochsensibel bin ich wahrscheinlich, ADS könnte ich mir bei mir auch gut vorstellen, wurde aber als Kind/Jugendliche nie bei mir diagnostiziert. Dabei war ich schon als Kind ein paarmal in Therapie, aber gebracht hat es mir nie wirklich was. Jetzt habe ich ein Kind mit ADS, aber ich finde auch man denkt bei AD(H)S immer eher an die Hyperaktiven Kinder nicht an die stillen, träumerischen. Jetzt wo wir die Diagnose haben und sie auch Medikamete deswegen bekommt, hoffe ich auch sie hat es später leichter im Berufsleben als ich und zu allerst in der Schulzeit!
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